Klimaschutz - Europa muss wieder vorangehen

Ausgerechnet die beiden größten CO2-Sünder, China und die USA, haben Europa beim Klimaschutz überholt. Die EU-Verhandlungen zum Pariser Klimaschutzabkommen sind ins Stocken geraten. Grund dafür sind der Brexit und das nachlassende Engagement Deutschlands

Das Braunkohle-Großkraftwerk Schwarze Pumpe in Brandenburg / picture alliance
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Andreas Sieber ist freier Journalist und schreibt vor allem zu Umwelt- und Klimaschutzthemen.

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Nora Schlagenwerth ist Politikwissenschaftlerin und freie Journalistin. Ihr Fachgebiet sind Umwelt- und Klimapolitik.

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Nicht nur der Juli 2016 war der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Normalerweise sinkt die weltweite Durchschnittstemperatur im August deutlich, doch nicht so in diesem Jahr. Für Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung war diese Entwicklung ein „Schock“. Wegen des aktuellen Rückgangs der El-Niño-Strömungen hatten Experten einen deutlich kühleren August erwartet.

Immerhin: Seit dem Pariser Klimaabkommen im vergangenen Dezember scheint die Weltgemeinschaft erstmals mit dem Tempo des Klimawandels Schritt zu halten. Die globale Erwärmung soll auf maximal 1,5 Grad begrenzt werden. Mit China und den USA haben jetzt die zwei größten CO2-Sünder den Vertrag ratifiziert. Doch die EU hinkt beiden hinterher, ebenso wie hinter der Geschwindigkeit des Klimawandels.

Brexit verunsichert europäische Klimapolitiker

Die Mitgliedsstaaten der EU haben sich im Abkommen von Paris gemeinsam verpflichtet, den Treibhausgas-Ausstoß um 40 Prozent bis 2030 gegenüber dem des Jahres 1990 zu senken. Die Aufteilung, welches Land wie viel einzusparen hat, sollte EU-intern erfolgen. Großbritannien war dabei nicht nur eine wichtige politische Triebfeder. Der Inselstaat übernahm auch überdurchschnittlich viel Verantwortung beim Reduzieren der Treibhausgase. Mit dem Brexit steht das nun auf dem Spiel.

Die Emissions-Ziele der EU-Mitgliedsstaaten basieren im Wesentlichen auf deren Bruttoinlandsprodukt. Bulgarien hat außerhalb des CO2-Zertifikatehandels beispielsweise keinerlei Verpflichtungen, während Länder wie Luxemburg, Schweden und Deutschland die ambitioniertesten Ziele haben. Ein Ausstieg Großbritanniens – mit seinem überdurchschnittlichen Beitrag – würde eine Mehrbelastung der weiteren EU-Staaten bedeuten. Warschau lies bereits verlauten, dass es eine entsprechende Anhebung der eigenen Verpflichtungen ablehne.

Streit um Flüchtlingspolitik heizt die Lage an

Den beim Klimaschutz weitgehend progressiven westeuropäischen Staaten stehen vor allem osteuropäische Regierungen gegenüber, die beim Klimaschutz lieber bremsen. Die Konfliktlinien verlaufen dabei ähnlich denen der Flüchtlingspolitik. Das macht die Situation zusätzlich sensibel. Die britische Regierung war beim Klimaschutz anders als bei der Flüchtlingspolitik eines der drei großen Zugpferde neben Deutschland und Frankreich. Inwieweit ein Rückzug Großbritanniens aus der europäischen Klimapolitik das Machtgefüge verschieben würde, ist schwer abschätzbar.

Es dürfte für die frühere Klimakanzlerin Angela Merkel schwerer werden, ehrgeizige Klimaschutzziele durchzusetzen. Aber auch national scheint sie sich davon zu entfernen.

Fahrplan ohne Ziel

So lange ist es noch nicht her, dass Deutschland visionär war in Sachen Klimaschutz. Davon ist im September 2016 wenig zu spüren. Liest man den aktuellen Klimaschutzplan, verwundert es geradezu, dass Deutschland bei der Pariser Klimakonferenz noch eine treibende Kraft sein konnte. Der Klimaschutzplan 2050 des Umweltministeriums hätte ein konkreter Fahrplan sein können. Doch Wirtschaftsministerium und Kanzleramt haben das Papier stark verwässert.

Fast 40 Prozent der deutschen CO2-Emissionen stammen aus der Energiewirtschaft, besonders aus der Kohleverstromung. Laut einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie des Kölner New Climate Institut müssen die Kohlekraftwerke in Deutschland bis 2025 abgestellt werden, wenn man die Pariser Klimaschutzziele erreichen will. Ein konkretes Ausstiegsdatum ist im Klimaschutzplan aber nicht festgelegt. Ein Fahrplan ohne Ziel ergibt jedoch keinen Sinn.

Deutschland verliert Führungsrolle

Die Energiewende ist nicht die einzige Baustelle der Bundesrepublik. Auch in der Landwirtschaft und im Verkehr tat sich in den vergangenen Jahrzehnten praktisch nichts. Im Verkehrssektor sind die CO2-Emissionen seit 1990 sogar anstiegen. Die Autos auf Deutschlands Straßen wurden zwar effizienter, aber vor allem auch schwerer und verbrauchten dadurch mehr – ein klassischer Rebound-Effekt. Anreize für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln gab es zu wenig. Der Abgas-Skandal macht deutlich, wie zaghaft man in Berlin den Verkehrssektor zur Verantwortung zieht. Dabei ist Klimaschutz für Deutschland weit mehr als ein Gutmenschen-Projekt.

Die Bundesrepublik hat sich im Ausland als Vorzeigeland in Sachen Klimaschutz vermarktet und dadurch viel Anerkennung gewonnen. Wenn aber über Deutschlands politische Rolle in der Welt debattiert wird und darüber, dass es seiner Relevanz politisch nicht ausreichend gerecht wird, ist die Diskussion meist verengt auf die Sicherheitspolitik. Die Bundesrepublik hat aber gerade mit „soft politics“ wie dem Klimaschutz ihren Gestaltungsraum vergrößert und international Verantwortung übernommen. Eine solche Politik aktiv zu betreiben, ist politisch wie wirtschaftlich sinnvoll.

Klimaschutz ist nur gemeinsam möglich

Es ist naiv, die Energiewende primär als nationalstaatliches Projekt zu begreifen. Um das 1,5 Grad-Ziel von Paris zu erreichen, bedarf es nicht weniger als einer globalen Energiewende. Ohne Kooperation auf dem europäischen Energiemarkt wäre die kaum möglich. Die Energiewende in eine aktive Klima-Außenpolitik einzubetten, kann nicht nur Grundlage für verbesserte Beziehungen sein. Es würde Kosten senken und Innovationen fördern. Deutsche Energie- und Klimapolitik benötigt aber einen europäischen Handlungsrahmen. Ein erster Schritt wäre, das Pariser Abkommen zeitnah zu ratifizieren.

Das Pariser Abkommen tritt in Kraft, sobald es mindestens 55 Staaten ratifizieren, die 55 Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes verursachen. China und die USA verursachen gemeinsam fast 40 Prozent des weltweiten Ausstoßes. Würden die 28 Mitgliedsstaaten der EU zustimmen, die für etwa elf Prozent der globalen Emissionen stehen, könnte das Pariser Abkommen noch in diesem Jahr in Kraft treten. Aus internen EU-Kreisen ist zu vernehmen, dass man sich durchaus unter Druck gesetzt fühlt von der Ratifizierung durch die USA, China und Brasilien.

Tusk macht Tempo

EU-Ratspräsident Donald Tusk strebt deshalb angeblich eine Ratifizierung im Eilverfahren an. Schon kommendes Wochenende sollen die EU-Staatschefs bei einem informellen Treffen in Bratislava entsprechende Schritte diskutieren. Großbritannien wird wohl nicht an dem Treffen teilnehmen. Würden alle 28 Staaten zustimmen, wäre eine Ratifizierung durch die EU innerhalb eines Monats möglich. Es wäre gut für das Klima und Europa, wenn die Staatschefs das nutzen würden.

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