Klimanotstand in deutschen Städten - Gefährliche Symbolpolitik

Immer mehr Kommunen rufen den „Klimanotstand“ aus. Der Effekt ist gleich null, stattdessen wird das eigentliche Problem verschleiert. Und es ist eine Einladung zur Selbstermächtigung

Vor dem Kanzleramt fordern Aktivisten die Ausrufung des Klimanotstandes durch die Regierung / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Im Alarmismus sind die Deutschen zweifellos Weltspitze. Wenn anderswo auch dröger Alltag herrschen mag, dann findet man hierzulande immer noch einen guten Grund, warum der Weltuntergang unmittelbar vor der Tür steht. Saurer Regen, Ozonloch, Artensterben – und jetzt natürlich der Klimawandel: Angesichts solcher Szenarien verbietet sich jeglicher Pragmatismus, jeglicher rationale Annäherungsversuch von selbst. Denn es geht, wie immer, ums Ganze. Und entsprechend dramatisch müssen die Antworten ausfallen. Seit einigen Wochen ist es also der „Notstand“, der beinahe täglich von einer Kommune ausgerufen wird, präziser: der „Klimanotstand“. Am Dienstag war es beispielsweise in Karlsruhe soweit, wobei der Stadtrat mit diesem Beschluss reichlich spät dran ist. Die Kollegen aus Konstanz hatten bereits Anfang Mai ihren kommunalen Klimanotstand erklärt.

Alleine richten wir nichts aus

Es geht mir überhaupt nicht darum, Engagement für den Schutz unserer natürlichen Umwelt kleinzureden oder lächerlich zu machen. Aber wer etwa in der aktuellen Ausgabe von Cicero die Titelgeschichte des Klimaforschers Hans von Storch – der Mann ist eine ausgewiesene Kapazität auf seinem Gebiet – gelesen hat, dem müssen angesichts der täglichen Notstandsausrufungen doch gewisse Zweifel an deren Ernsthaftigkeit kommen. Von Storch stellt nämlich unmissverständlich klar, dass die Europäer sogar bei komplettem Verzicht auf jegliches klimaschädliche Verhalten so gut wie nichts gegen den Klimawandel ausrichten könnten. Der Wissenschaftler schlägt deshalb eine „Innovationsabgabe“ vor, mit deren Erlösen klimafreundliche Technologien entwickelt werden sollten, die anderen Ländern (insbesondere Schwellenländern mit hohen Emissionen) dann umsonst zur Verfügung gestellt werden.

Das Argument muss Wirtschaftlichkeit heißen

Der Klimawandel ist ein Phänomen mit globalen Ursachen. Deswegen kann es auch nur globale Antworten darauf geben. Oder um Hans von Storch an dieser Stelle noch einmal zu zitieren: „Wenn es um Verzichtsstrategien geht oder um die Umstellung von Technologien, dann ist meist auch von einer ,Vorreiterrolle‘ Europas die Rede. Nach dem Motto: Wenn wir Europäer vormachen, wie man emissionsfrei Energie erzeugt, wie man durch eine Umstellung der Konsumgewohnheiten am Ende eine höhere Lebensqualität bekommt, dann wird der Rest der Welt uns folgen. Dem ist aber nicht so. Wer etwas anderes behauptet, versteht die Interessenlage in anderen Ländern der Welt nicht. Das einzig wirksame Argument lautet vielmehr: Wirtschaftlichkeit. Nicht, weil unsere vorgeblich nachhaltige Lebensweise ,geil‘ ist, werden unsere Vorschläge umgesetzt, sondern wegen wirtschaftlicher Vorteile.“

Wenn also zum Beispiel die Stadt Köln den „Klimanotstand“ beschließt (so geschehen am 9. Juli), dann wird mit solch einer Maßnahme vielmehr eine Illusion genährt, die am Ende sogar kontraproduktiv sein könnte. Denn anstatt auf die wahre Dimension des Klimaproblems aufmerksam zu machen, erwecken Kommunalpolitiker bei den Bürgern das Gefühl, man könne mit symbolischen Aktionen tatsächlich etwas bewirken. In Köln geht es konkret darum, dass etwa die Stadtverwaltung „Gespräche mit dem Stadtwerkekonzern aufnehmen soll, mit dem Ziel der Ausweitung regenerativer Energien“ oder um einen „Entwicklungsplan zur Erreichung einer klimaneutralen Energienutzung der städtischen Immobilien“. Das klingt zwar alles sehr schön und sehr engagiert, aber der Effekt aufs Klima liegt bei null. Es ist ungefähr so, als wolle man einer Choleraepidemie mit Kräutertee Herr werden, und zwar ganz offiziell. So etwas grenzt an Volksverdummung.

Geltendes Recht ist nicht verhandelbar

Irritierend ist aber auch der Begriff des „Notstands“. Hiermit wird die Existenz einer akuten und existentiellen Ausnahmesituation suggeriert, die qua deutscher Verfassung außerordentliche Kompetenzen der Exekutive nach sich zieht. Das Ausrufen eines vermeintlichen „Notstands“, und sei es nur durch ein Stadtparlament, könnte aber durchaus auch Aktivisten zu der Annahme verleiten, sich im Sinne der „guten Sache“ über geltendes Recht hinweg setzen zu dürfen. Es wäre nicht das erste Mal, dass staatliche Institutionen den Eindruck erwecken, geltendes Recht sei am Ende immer irgendwie verhandelbar.

Einen Vorgeschmack auf das totalitäre Verständnis mancher „Klimaretter“ findet man etwa auf der Seite www.klimanotstand.com. Dort heißt es in frappierender Deutlichkeit: „Seit Jahrzehnten konnten auch Wahlen nur wenig bewirken, da diese an den realen Machtverhältnissen nichts verändern. In Frankreich haben nun viele Bürger*innen entdeckt, dass ihre politischen Vertreter nicht sie, das Volk vertreten, sondern einzig das ,Establishment‘ im Hintergrund. Zur Verteidigung dieser Macht-Interessen werden von der Politik systemkritische zivile Strukturen bekämpft und das Volk unterdrückt. Schlimmster Terror ist den Mächtigen dienlich, da ein Volk im Chaos durch staatliche Gewalt leichter zu kontrollieren ist.“

Selbstermächtigung im Kampf gegen den Klimawandel? Es ist ein gefährliches Spiel, dass die Städte und Gemeinden mit ihrer symbolhaften Notstands-Politik betreiben.

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