Klimaklage - Wenn aus Humanisten Jakobiner werden

Aktivisten von „Fridays for Future“ klagen gegen das Klimaschutzgesetz. Damit und mit aggressiver Begleitrhetorik schaden sie ihren Zielen. Hat die Bewegung ihren Kipppunkt erreicht?

Luisa Neubauer bei der Pressekonferenz zur sogenannten Klimaklage / Picture Alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Kaum war das Wort „Klimahysterie“ von politisch interessierter Seite zum Unwort des Jahres erklärt worden, konnte man es besichtigen. Unter der Voraussetzung freilich, dass es auch eine kalte, eine kalkulierte Hysterie gibt. In den Räumen der Bundespressekonferenz gaben gestern Aktivisten der Bewegung „Fridays for Future“ bekannt, dass sie zwei Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hätten. Gemeinsam mit Greenpeace und „Deutscher Umwelthilfe“ soll das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung gekippt und verschärft werden. Wir werden sehen, ob das Vorhaben glückt. Die Klimaklage selbst aber könnte zum Kipppunkt der Bewegung werden – zu jenem Moment, da aus Humanisten Jakobiner wurden.

Juristischer Paradigmenwechsel

Der Gang zum Bundesverfassungsgericht steht Personen, Unternehmen, Vereinen, Lobbygruppen offen. Nur die wenigsten Klagen werden zur Entscheidung angenommen. Dass Karlsruhe sich hierzu äußert, scheint fraglich. Auszuschließen ist es nicht. Auch Gerichte bergen Zeitgeist. Man blicke in die Schweiz, wo die Besetzung einer Großbank durch zwölf Klimaaktivisten von einem Gericht für rechtmäßig erklärt wurde. Begründung: Die ungebeten eingedrungenen Aktivisten könnten sich auf einen „rechtfertigenden Notstand“ berufen. Da zeichnet sich ein juristischer Paradigmenwechsel ab. Hausfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt werden toleriert, weil ein Zukunftsszenario als bereits eingetreten gilt. Wer es philosophisch mag: Weil ist, was sonst sein wird, darf nichts bleiben, wie es war.

Wogegen klagen die deutschen Aktivisten konkret? Das Klimaschutzgesetz ergreife nicht die nötigen Maßnahmen, um die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte zu schützen. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit etwa werde beeinträchtigt, wenn nicht sofort alle Kohlekraftwerke abgeschaltet würden und ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen gelte. Das ist ein sehr hoher Einsatz auf einem winzigen Spieltisch. Welche Maßnahmen auch immer die Bundesrepublik Deutschland jetzt ergreifen mag, am Himmel über Berlin, Rostock, Iserlohn ändert sich dadurch wenig. Es gibt kein deutsches Klima. Deutschland ist ein vergleichsweise kleines Land, 99 von 100 Menschen weltweit leben nicht hier, bei steigender Tendenz. Deutschland wird immer unwichtiger – außer in den Augen und Herzen und Träumen der Klimaaktivisten. Sie sind eine sehr deutsche Angelegenheit.

Eine freundliche Warnung

Mit ihren Anliegen stießen die Aktivisten bisher auf breite Zustimmung. Damit dürfte bald Schluss sein. Mit der Klimaklage und deren Begleitrhetorik haben sie den Bogen überspannt. Unstrittig gibt es einen Klimawandel, und unstrittig hat menschliches Verhalten daran seinen Anteil. Fast niemand leugnet das. Die Rettung des Weltklimas kann jedoch schon aus geographischen Gründen nicht von deutschem Boden ausgehen. Und der Pfad, den die Umweltaktivisten vorzeichnen, ist gespickt mit Angst und Panik, Drohung und Aggressivität. Eine zornige Unduldsamkeit spricht aus den Worten der Protagonisten, Luisa Neubauers vorneweg. Die junge Frau warf der Bundesregierung vor, den Freiheitsraum der jungen Menschen zu „terrorisieren“. Zuvor hatte sie erklärt: Alle Unternehmen, die meinten, sie müssten „die Krise weiter anheizen, als gäbe es kein Morgen“, müssten wissen, „wir werden euch die Zukunft nicht weiter zerstören lassen. Das war erst der Anfang. Das ist keine freundliche Erinnerung, sondern eine freundliche Warnung.“ Vor allem aber ist das der ins Deutsche transponierte Sound der 17-jährigen Schwedin Greta Thunberg, die in Endlosschleife droht, „wir werden euch nicht davon kommen lassen!“

Sprechpuppentexte aus Gretas Universum

Wir gegen sie, wir gegen euch, wir gegen alle: So klingt ein neomoralisches Jakobinertum, das zu einem Armageddon des Klimas ruft. Unfug kippt aus kindlichem Mund auf die Weltbühne des Geschehens. Da sitzt dann in den Räumen der Bundespressekonferenz ein Siebzehnjähriger und erzählt von der Traurigkeit, die ihn befalle, wenn er durch Deutschland fahre, „uns wird auch jetzt schon unser Leben und unsere Zukunft geraubt“ – eine fast wörtliche Übersetzung aus Thunbergs Rede bei den Vereinten Nationen. Oder eine Fünfzehnjährige berichtet vom Traum, „in 60 Jahren noch auf dieser schönen Erde leben zu können.“ Gefühle und Träume in allen Ehren, doch das sind Sprechpuppentexte aus Gretas Universum. Wäre „Fridays for Future“, was die Bewegung nicht ist, authentischer Ausdruck einer ganzen Generation, müsste man dieser Generation zurufen: Wer macht euch so traurig, was hat euch verhext?

Kaum etwas spaltet eine Gesellschaft nachhaltiger, als alle politischen Fragen zu Generationenkonflikten zu erklären – die Oma als „Umweltsau“ lässt grüßen. Wären diese Begriffe nicht für andere Kontexte reserviert, wäre die Schlussfolgerung: „Fridays for Future“ sind Angstprediger, die die Gesellschaft spalten. Bewohner einer Echokammer, in die kein Draußen dringt. Welch wunderbare Zeit also für leidenschaftliche Republikaner und beherzte Demokraten, um zu erkennen und zu bekennen: Panik, Angst und Drohgebärden werden uns nicht helfen. Wir brauchen Vernunft und Nüchternheit und Kreativität. Wer hat’s im Angebot?
 

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