Katholische Kirche in Berlin - Lobbyist des lieben Gottes

Seit 18 Jahren vertritt der Prälat Karl Jüsten die Katholische Kirche in Berlin. Er gehört längst zum Inventar der Berliner Republik und versteht sein Geschäft

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Karl Jüsten ist der Verbindungsmann zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und der Bundesregierung / Anja Lehmann
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Das Büro ist noch leer, aber die Dame im Vorzimmer bittet schon mal herein in den Raum, der aussieht, als sei sein Bewohner eben erst von seinem Stuhl aufgesprungen. Auf dem Schreibtisch liegt eine aufgeschlagene FAZ vom Tage, darauf ein Fineliner. Ein Buch von Amos Oz ist daneben platziert: „Jesus und Judas“. Eine rote Pudelmütze, eine Kerze und eine Merkel-Büste aus Plastik, die sich bei genauerem Hinsehen als Cookie Cutter entpuppt, runden das Stillleben ab. Aber bevor man dieses weiter auf sich wirken lassen kann, stürmt schon der Hausherr herein. Freundlich, zugewandt. Er nimmt sich den Kollar, den weißen Priesterkragen, vom Hals, nennt kurz den Grund für die Verspätung (er war noch beim Kardinal-Höffner-Kreis) und verwickelt den Gesprächspartner gleitend in einen kleinen aufwärmenden Prolog.

Gestatten: Prälat Karl Jüsten, Chef des Katholischen Büros in Berlin in seinem Element. Katholisches Büro, eine Bezeichnung, so schlicht wie eine Priesterkluft. Man kann es auch anders sagen. Karl Jüsten ist der Lobbyist des lieben Gottes, Verbindungsmann derer, die sich spaßeshalber manchmal als die Rechtgläubigen bezeichnen, der Interessenwalter der Deutschen Bischofskonferenz gegenüber der Regierung und dem Parlament. Er ist einer der Umtriebigsten seiner Zunft und festes Mobiliar der Berliner Republik, seit fast 18 Jahren auf diesem Posten. Wer Karl Jüsten etwa als Parlamentskorrespondent noch nie begegnet ist, sollte sich fragen, ob da nicht was schiefgelaufen ist bei der Berufswahl.

Kontakt auch mit der AfD

Dieser Mann hat irdische Gaben, die seinem Job zugutekommen. Er ist ein Menschenfischer. Oder wie er selbst sagt: „Diese Aufgabe ist mir auf den Leib geschrieben.“ Dabei funkeln seine Augen hinter der runden Brille fröhlich aus seinem jungenhaften Gesicht, dem man die 57 Jahre nicht ansieht.

Es ist ein permanenter Auftrag. Weshalb Jüsten einer der meistgesehenen Gäste bei Empfängen aller Art in der Hauptstadt ist. Zur Kontaktpflege mit den Journalisten lädt er regelmäßig zu einem eigenen Gottesdienst. Den ökumenischen Gottesdienst vor der Kanzlerinnenwahl im Bundestag vor wenigen Wochen hat Jüsten geleitet, und zu seiner angenehmen Überraschung war auch die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel unter den Besuchern. Mit der AfD halte er Kontakt, seit sie im Bundestag sitzt, das erfordere der Respekt vor dem Parlament, auch wenn das in diesem Fall „nicht immer vergnüglich“ ausfalle.

Liberaler Vertreter der Schwangerenberatung

Manchmal aber muss Jüsten auch Feuerwehr spielen. Bei solchen Einsätzen kann er auf ein ganzes Arsenal an Mitteln der Einflussnahme zurückgreifen. Wie zuletzt bei dem in letzter Sekunde vereitelten Versuch der SPD, den Artikel 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, also das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Jüsten hat sich seinerzeit zusammen mit Kardinal Lehmann für die Schwangerenberatung der Kirchen eingesetzt. Er zählt innerhalb der Kirche also zu den Liberalen in dieser Frage. Doch in diesem Fall intervenierte er dagegen, dass Ärzte, die Abtreibungen durchführen, künftig öffentlich dafür werben dürfen. „Lebensschutz ist ein Thema, das ist den Kirchen ins Stammbuch geschrieben“, sagt Jüsten.

Ob denn die Darstellung über die Abläufe im Spiegel stimme, in der von einem Deal in letzter Sekunde zwischen Unionsfraktionschef Volker Kauder und seiner SPD-Kollegin Andrea Nahles die Rede ist? Auch von Karl Jüsten als Akteur wird in diesem Zusammenhang berichtet. Der Prälat bestätigt hierzu lediglich, dass er sich in jedem Verfahrensstadium und auf verschiedenen Kanälen darum bemüht habe, voreilige Entscheidungen zu verhindern. In diesem Zusammenhang sei seine öffentliche Äußerung, die der Spiegel zutreffend zitiert habe, zu sehen. Mehr ist ihm zu dem Sachverhalt nicht zu entlocken.

Neuer Umgang mit Homosexualität

18 Jahre macht Jüsten das jetzt schon – mit 18 Mitarbeitern, darunter 16 Frauen, man könnte also auch von einer Weiberwirtschaft sprechen. Sein Vorgänger, legendär wie er selbst, hat es auf 22 Jahre gebracht. Jüsten ist eben für weitere sechs Jahre gewählt worden, könnte ihn also überflügeln. Das Vertrauen der Bischöfe zu haben, das sei die große Kunst, sagt er, und die Zehn Gebote seien kein wirkliches Hindernis bei der Arbeit.

„Nein!“, versichert er vehement: „Das sind doch wunderbare Compliance-Regeln.“ Er sei gut damit gefahren, noch kein einziges Mal gelogen oder jemandem eine Falle gestellt zu haben. Und manchmal bewegt Jüsten in seinem Tun nicht die Politik, sondern umgekehrt auch seine Kirche. Seit er den Trauergottesdienst für den verstorbenen Guido Westerwelle abgehalten habe, den er gut kannte, seither, so ist jedenfalls sein Eindruck, „gehen wir in den Kirchen anders mit Homosexualität um“.

Dies ist ein Artikel aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.











 

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