Kabinett ohne Ostdeutsche - „Von einem ostdeutschen Minister hätte die Region auch nichts“

Voraussichtlich wird es in der kommenden Bundesregierung keine ostdeutschen Minister geben. Im Interview erklärt der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt, wieso das so ist und warum mehr ostdeutsche Minister die Probleme der Region auch nicht lösen würden

Kein Platz für Ostdeutsche am Kabinettstisch? / picture alliance
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Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Herr Patzelt, Sie lehren als Westdeutscher seit 1991 Politikwissenschaft in Dresden. Die CDU hat ausschließlich westdeutsche Ministerkandidaten aufgestellt, bei der SPD zeichnen sich auch erstmal keine ostdeutschen Minister ab und bei der CSU sowieso nicht – woran liegt das?
Teilweise, muss man sagen, war das tatsächlich ein Zufall. So hätte eigentlich Michael Kretschmer Bildungsminister werden können, wurde aber dann als Ministerpräsident nach Sachsen geholt. Trotzdem gibt es zu denken, dass sich keine Kandidaten mit ostdeutschen Wurzeln aufdrängten, als es um Berliner Ministerämter ging. Andererseits ist es aber auch ein gutes Zeichen, dass es – über ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung – keine Quoten mehr für Ostdeutsche gibt.

Und ohne Quoten schaffen es Ostdeutsche anscheinend nicht in die Regierung. Wieso eigentlich nicht?
Grundsätzlich gibt es im Osten einfach wesentlich weniger Parteimitglieder als im Westen. Die Generation derer, die während oder kurz nach der Friedlichen Revolution aktiv wurden und Ministerämter erreichten – wie Manfred Stolpe und Wolfgang Tiefensee – ist abgetreten. Und durch den seitherigen Schwund parteipolitischen Engagements sind eben nicht ausreichend viele tüchtige Politiker nachgewachsen. Zwar leiden auch Parteien im Westen unter Mitgliederschwund. Doch dort waren sie wenigstens früher gesellschaftlich gut verankert. Im Osten haben die Parteien das nach der Wende nicht geschafft. Das rächt sich nun.

Also sind es die Ostdeutschen selbst Schuld, dass sie keine Minister stellen?

Werner Patzelt ist Professor
für Politikwissenschaft an der TU Dresden.

Das ist zu hart. Doch es ist nicht so, dass arrogante Westdeutsche gute Ossi-Politiker von den Bundesministerien fernhielten. Es gibt nur keine Ossi-Quoten mehr – und somit keinen zwingenden Grund für kompetente Wessis, beim Ringen um Ämter gegenüber ostdeutschen Konkurrenten zurückzustehen. Außerdem ist die Hausmacht ostdeutscher Politiker geringer, weil ihre Landesverbände durchschnittlich weniger Mitglieder haben als die im Westen.

Warum gelingt es denn besser, andere Gruppen, die sich Benachteiligung ausgesetzt sehen, in die Regierung zu integrieren? Die Hälfte von Merkels Ministern etwa ist weiblich.
Hier wirken die Imperative gesellschaftlicher Diskurse. Alles muss doch heute von der Sprache bis zur Ministerbesetzung gendergerecht sein. 

Den Wunsch nach mehr Ostdeutschen in der Regierung hat man bisher tatsächlich mehr von Politikern und Journalisten gehört. Inwieweit interessiert sich denn die ostdeutsche Bevölkerung sich überhaupt dafür?
Die breite Bevölkerung interessieren Ossi-Minister wohl gar nicht so sehr, wie sich die Diskurseliten – sagen wir Journalisten, Wissenschaftler, Politiker – das vorstellen. Das ist vermutlich eher eine Insider-Frage. Kurz nach der Wiedervereinigung war das anders. Doch jetzt sind nicht mehr Ossiquoten, sondern Genderquoten ein populäres Aufregerthema, und in ein paar Jahren werden das wohl Quoten für Menschen mit Migrationshintergrund oder islamischer Religionszugehörigkeit sein. 

Aber Ostdeutschland macht rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung aus. Können diese Leute denn wirklich von einer ausschließlich westdeutschen Regierung vertreten werden?
Wir erwarten doch auch nicht mehr, dass in der Regierung der Konfessionsproporz abgebildet wird! Viel wichtiger ist, dass Politiker Kontakte zu allen Bevölkerungsgruppen halten. Ausschlaggebend dafür ist aber nicht die Geburtsgegend, sondern das Netzwerk, das man um sich herum aufgebaut hat. Und bedenken Sie: Die Kanzlerin selbst ist eine Ostdeutsche.

Aber wenn man sich so ihre Wahlkampfauftritte in Finsterwalde und Apolda anschaut, hat man nicht gerade das Gefühl, dass sie eine Ikone der Ostdeutschen ist.
Nein, denn sie hat sich mit ihrer Migrationspolitik großen Teilen der Bevölkerung entfremdet – besonders in Ostdeutschland. Gerade mit ihrer untypisch emotionalen Herangehensweise ausgerechnet an das Migrationsthema konnten sich viele hier nicht anfreunden. 

Und nach der Wahl hat sich die halbe Republik gefragt, was denn nur mit den Ossis los ist, dass die so stark AfD wählen. Ist das jetzt alles wieder vergessen?
Die Antworten auf diese Frage sind wohl noch nicht überall angekommen. Das Magma des Rechtspopulismus brodelt unter ganz Deutschland und Europa, angeheizt durch die Auswirkungen von Zuwanderung und Globalisierung. Nur ist das Deckgebirge oberhalb des Magmas, beispielsweise die Zivilgesellschaft, im Westen dichter als im Osten und kann Vulkanausbrüche besser unterdrücken. Das heißt aber nicht, dass diese Vulkanausbrüche den Westen nichts angingen. Da wird man noch Überraschungen erleben. Jedenfalls kühlt rein Kosmetisches – wie etwa ein Ossi im Bundeskabinett – das brodelnde Magma im Osten nicht ab. 

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