Kritik an der Corona-Berichterstattung - „PR-hörig und regierungslammfromm berichtet“

Medienforscher stellen Journalisten keine guten Noten für ihren Umgang mit der Corona-Krise aus. Sie werfen den Medien vor, sie hätten den Kurs der Bundesregierung mit einer unkritischen Berichterstattung gestärkt. Aber wie kann man der Dynamik einer Pandemie angemessen begegnen?

Haben die Medien ein Meinungsklima erzeugt, das den Shutdown alternativlos erscheinen ließ? / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Stephan Russ-Mohl ist emeritierter Professor für Journalistik und Medienmanagement und Leiter des Europäischen Journalismus-Observatoriums, das Trends in der Medienbranche beobachtet und ländervergleichende Journalismusforschung betreibt. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem mit Susanne Fengler, „Der Journalist als Homo oeconomicus“. Derzeit forscht er zur Berichterstattung über die Corona-Krise. 

Herr Russ-Mohl, Corona ist das Thema in den Medien. Macht es Ihnen noch Spaß, morgens die Zeitung aufzuschlagen?
Nur bedingt, ehrlich gesagt. Wir befinden uns immer noch in einer Corona-monomanen Berichterstattungsphase. Am Anfang war es aber noch schlimmer. Jetzt suchen wir ja wenigstens gemeinsam und vielstimmig nach einem Ausweg aus der Misere. Am Anfang hat mich irritiert, wie gleichgerichtet die Medien berichtet haben – ohne dass es einen Gleichrichter gegeben hätte. 

Liegt der Corona-Overkill daran, dass die Nachfrage so groß ist – oder daran, dass Journalisten denken, Leser, Hörer und TV-Zuschauer interessierten sich für nichts anderes mehr? 
Wenn ich ehrlich sein soll, vermute ich eher letzteres. Und wenn man dann als Medienforscher darauf hinweist, kommt sofort die Reaktion: Ja, das wollen ja die Leser so.   

Sie glauben das nicht?
Nein, ohne Resonanz geht’s im Journalismus zwar nicht. Auf der anderen Seite hat der Journalismus eine Verantwortung, die darüber hinausgeht. Er hat dafür zu sorgen, dass auch andere wichtige Themen präsent bleiben. Ich glaube, dass Journalisten leicht unterschätzen, welche Wirkung mit der Konzentration auf ein Thema erzeugt wird. 

Ihre Kollegen stellen dem Journalismus keine guten Noten aus. Die Bandbreite reicht von „völligem Systemversagen“ bis „Armutszeugnis“. Klaus Meier und Vinzenz Wyss kritisieren, zu Beginn der Krise hätte nicht eine vielfältige Recherche und kritische Distanz die Berichterstattung geprägt, sondern eine Verantwortungsethik. Verlautbarungen von Regierungen und Virologen seien ohne eigene Recherche flankiert worden. Was kritisieren Sie? 
Also, von völligem Systemversagen würde ich nicht reden. Es gibt auch wunderbare Beispiele dafür, was Journalisten im Umgang mit diesem Virus auf die Beine gestellt haben – zum Beispiel Christian Menschs Reflexion zur „Systemrelevanz“ von Journalismus im St. Galler Tagblatt. Trotzdem hat die Institution des Journalismus in der Initialphase vor dem Shutdown und währenddessen ihre Aufgaben zum Teil nicht erfüllt und zu PR-hörig und regierungslammfromm berichtet.   

Aber inzwischen wurde kaum eine Frage so oft gestellt wie die, ob die Schutzmaßnahmen verhältnismäßig sind. Der ehemalige FAZ-Herausgeber Werner d'Inka wirft der Medienforschung vor, sie mache sich lächerlich. 
Inzwischen ist das Gott sei Dank so. Aber es ändert nichts daran, dass wir noch klären müssen, was möglicherweise in der Anfangsphase schiefgelaufen ist. Die Verwerfungen, die dadurch entstanden sind, sind erheblich. Weltweit liegt die Suizidrate immer noch über der Zahl der Corona-Toten.

Was haben Sie noch in der Berichterstattung vermisst?  
Ich hätte mir auch gewünscht, dass mehr Wissenschaftler zu Wort kommen aus anderen Disziplinen und auch mehr Virologen als die üblichen Verdächtigen. Also, das Robert-Koch-Institut ist sehr staatsnah. Was Herr Wieler macht, ist eigentlich Regierungs-PR.   

Virologen werden jetzt beinahe wie Popstars hofiert. Rührt der Personenkult daher, dass Journalisten den Virologen blind vertrauen, weil die meisten selber nichts von Virologie verstehen?  
Ja und nein. Das Bedürfnis, Stars zu kreieren, hat ja auch was mit der Aufmerksamkeitsökonomie zu tun. Die Bereitschaft, Experten zu vertrauen, wenn man selbst keine Expertise hat, ist vermutlich auch bei Journalisten groß. Dieses Ausgeliefertsein ist aber etwas, was wir mit mehr Demut kommunizieren sollten. 

Um die Dynamik der Pandemie zu verstehen und um einzuordnen, ob Schutzmaßnahmen verhältnismäßig sind, müsste man nicht nur Virologie und Epidemiologie studiert haben, sondern am besten auch noch Mathe und Statistik. Die meisten Journalisten haben aber Geistes- oder Gesellschaftswissenschaften studiert. Was bedeutet das für die Berichterstattung? 
Ich habe mir schon in den 80er Jahren den Mund fusselig geredet: Wir brauchen in den Redaktionen mehr Naturwissenschaftler. Die meisten Wissenschaftsressorts wurden aber kaputtgespart. Die Redaktionen sind kaum noch dafür ausgerüstet, um über ein Thema zu reden, bei dem es um Leben und Tod geht. Letztlich sind sie den PR-Abteilungen des Forschungsbetriebs ausgeliefert.

Im Fokus der Öffentlichkeit stehen jetzt die beiden Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck. Zwischen ihnen ist ein Wettstreit um den richtigen Weg entbrannt. Noch weiß niemand, welcher Kurs der richtige ist. Ist es da nicht ziemlich gefährlich, sich für den einen oder anderen zu entscheiden? 
Ich würde sagen, solange ich nicht durch eigene Recherche bestätigen kann, dass der eine Recht und der andere Unrecht hat, muss ich beide Sichtweisen abbilden und darauf vertrauen, dass die Leute, die mehr wissen wollen, auf eigene Faust recherchieren.  

88 Prozent der Deutschen sind noch immer für die Ausgangsbeschränkungen. Dabei sind schon Millionen arbeitslos oder können nicht arbeiten, weil Kitas und Grundschulen noch geschlossen sind. Was sagt das über die Berichterstattung aus? 
Ich glaube, es sagt aus, dass die tägliche Berichterstattung über die Anzahl der Toten und Infizierten Angst auslöst. Viele Menschen sind bereit, alle Freiheitsrechte abzugeben. Ich selber habe natürlich auch Angst, angesteckt zu werden. Aber wir sollten uns sehr genau Statistiken anschauen. Wir kennen noch immer nicht die eigentlich wichtige Zahl, die entscheidet, wie gefährlich das Virus wirklich ist. 

Sie meinen die Gesamtzahl der Infizierten, die sich aus der Zahl der registrierten Erkrankten und der Dunkelziffer ergibt?
Genau, so lange wir die nicht kennen, weil zu wenig getestet wird, müssen wir sagen: Wir wissen viel zu wenig, um das zu rechtfertigen, was hier gerade abgeht. Journalisten müssen das kritisch hinterfragen. Auch in dieser Ausnahmesituation ist es nicht ihre Aufgabe, Politik als alternativlos darzustellen.

Haben die Medien erst ein Meinungsklima erzeugt, das den Shutdown alternativlos erscheinen ließ?   
Das ist meine Forschungshypothese. Ich fürchte, das ist so. Aber wir müssen Inhaltsanalysen machen, um diese Frage beantworten zu können. Ich wollte dazu schon zu Beginn der Shutdown-Phase etwas schreiben, habe aber keine Antwort bekommen oder Absagen kassiert von einer Tageszeitung, einem Nachrichten-Magazin und von drei Medien-Fachmagazinen.

Stephan Russ-Mohl / privat

Weil sich die Medien fürchten, sich selbstkritisch mit ihrer eigenen Rolle auseinanderzusetzen?
Ich vermute, dass das zumindest ein Grund war. Bei der Tageszeitung und beim Nachrichtenmagazin hat aber ganz gewiss auch Stress eine Rolle gespielt. Die Redaktionen arbeiten ja im Ausnahmezustand.  

Gehören Journalisten auf die Liste der systemrelevanten Berufe? 
Ich habe diesen Beruf immer für hochgradig systemrelevant in der Demokratie gehalten. Das Traurige ist nur, dass diese Relevanz wahrscheinlich erst erkannt wird, wenn vermutlich bald neuerlich Tausende Jobs durch die Krise verschwinden. Und ich wage zu bezweifeln, dass diese Relevanz so weit geht, dass man rechtzeitig fragt, wie sich der Journalismus denn in Zukunft finanzieren soll. Und ob man von den vielen Milliarden des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks nichts etwas abzweigen könnte, um dort mehr Journalismus zu machen oder auch, um Medien zu finanzieren, die nicht öffentlich-rechtlich sind und trotzdem im Wettbewerb zur Grundversorgung mit Nachrichten beitragen. Das sind bislang Tabufragen, die man nicht ungestraft öffentlich stellen kann. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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