Jan Böhmermann auf Twitter - Plötzlich Rechtsextremist

So schnell kann‘s gehen: Der Jungliberale Benedikt Brechtken äußerte sich auf Twitter augenzwinkernd zu einem Tweet von Jan Böhmermann. Und plötzlich rückt der Satiriker den Nachwuchspolitiker in die Nähe von „Kernfaschos“. Für Brechtken stellen sich nun einige Fragen

Der ZDF-Moderator Jan Böhmermann löste in den vergangenen Tagen eine Shitstorm gegen den Jungliberalen Benedikt Brechtken aus / dpa
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Autoreninfo

Benedikt Brechtken, Jahrgang 1999, ist der Vorsitzende der JuLis Kreis Recklinghausen und studiert an der Ruhr-Universität Bochum Sozialwissenschaften.

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„Ich bin dafür, dass jemand, der unter 50 Jahre alt ist und dessen beide Eltern nicht in Deutschland geboren worden sind, die nächste deutsche Bundeskanzlerin wird“ – diesen Tweet des ZDF-Satiriker Jan Böhmermann aus dem Jahr 2018 kommentierte ich vor ein paar Tagen mit der kurzen Frage: „Ivanka Trump?“. Dass ich deswegen in die Nähe von „Kernfaschos der Identitären Bewegung“ gerückt werde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Dass mich ausgerechnet Jan Böhmermann selbst in diese Ecke stellen würde, noch weniger. Aber genau das ist geschehen.

Einen halben Tag nach meinem Tweet reagierte auch der Sprecher der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) Österreichs, Martin Sellner, auf Böhmermanns Forderung nach einer jungen Nachfolgerin mit Migrationshintergrund für Merkel, indem er sich selbst für das Kanzleramt empfahl. Böhmermann verfasste daraufhin den folgenden Tweet, in dem er mich und Sellner in unmittelbaren Zusammenhang stellte.

Die Frage ist, warum hat er das getan?

Die erste Interpretation, die auch von den meisten, die sich an der Diskussion beteiligt haben, vertreten wurde, ist folgende: Jan Böhmermann wollte mich und generell Liberale mit seinem Tweet in die Nähe von Rechtsextremisten rücken. Die Verlinkung des Verfassungsschutzes als Antwort von Böhmermann selbst unter dem Tweet spricht für sich.

Nachdem sich die ersten Nutzer über Böhmermanns Vergleich zuerst wunderten und mich dann verteidigten, tweetete er sarkastisch: „Ein ganz normaler Freitag in der liberalen Kommantarbubble von FDP, NZZ und Welt. Meine Befürchtungen, Liberale hätten Schwierigkeiten sich von Rechtsextremen abzugrenzen, waren vorschnell und falsch. Entschuldigung, es liegt nicht an Euch, es ist alles meine Schuld!“

Linksextreme Hetze ließ Böhmermann zu

Dieser Tweet hatte als Grundlage vier heraus gesuchte Kommentare unter den Tweets, die mich verteidigten, von denen drei völlig unbedenklich waren und nur einer über die Stränge schlug, weil dieser Böhmermann einen „Neonazi“ nannte. Diesen Account habe ich übrigens mittlerweile geblockt, weil derartige persönliche Angriffe eine Unmöglichkeit sind.

Unter Böhmermanns Tweets waren auf der anderen Seite Dutzende Kommentare, die mich und/oder meinen Kreisverband in die rechtsextreme Ecke rückten, mit dem absoluten Höhepunkt, dass ein Kommentar uns „Recklinghausener Zelle“ nannte, also einen klaren Bezug zum Rechtsterrorismus herstellte.

Zu diesen Kommentaren äußerte sich Böhmermann nicht. Im Gegenteil: Er blendete zahllose Kommentare von Liberalen und Konservativen, die sich klar gegen den rechten Rand positionierten, unter seinem Tweet aus, so dass auch andere Twitter-Nutzer diese Positionen nicht mehr lesen konnten. Linksextreme Hetze ließ er also zu, Protest aus der Mitte wurde ausgeblendet, Bravo!

„Scharniere ihrer Ideologie“

Glücklicherweise erhielt ich eine überwältigende Unterstützung während des Shitstorms, angefangen bei der Bundesvorsitzenden der JuLis, Ria Schröder, meinem Landesvorsitzenden Jens Teutrine und dem Bundesverband, vielen FDP-Parteifreunden, über zahlreiche Journalisten wie Ulf Poschardt, Marc Felix Serrao oder Anna Schneider, die Professoren Arnd Diringer, Marius Raabe und Carlo Masala, bis hin zu Grünen und Sozialdemokraten. Ohne diese Unterstützung wären die vergangenen Tage wahrscheinlich noch viel stressiger geworden. Doch zurück zu Böhmermann.

Eine zweite Interpretation seines Ursprungstweets, die später kam und maßgeblich durch Phillip Kreißel (der später auch von Böhmermann retweetet wurde) gepusht wurde, war, dass Böhmermann nur auf die Taktik der IB aufmerksam machen wolle, sich „Freunde“ in der „Mitte“ zu suchen und zu „Scharnieren ihrer Ideologie zu machen“.

These als Feigenblatt

In diesem Text muss gar nicht darauf eingegangen werden, ob diese These stimmt oder nicht und der von Kreißel angeführte Beleg (17,6 Prozent meiner Follower folgen auch Martin Sellner) statistisch haltbar ist. Denn ich behaupte, dass Böhmermann diese These erst als Feigenblatt übernommen hat, als er merkte, dass er mit seinem ursprünglichen Kontaktschuld-Bullshit-Bingo nicht weit kommt und zu viel Gegenwind erhält (übrigens auch von vielen Sozialdemokraten und Grünen).

Woran mache ich das fest? Gehen wir doch mal davon aus, dass Böhmermann wirklich auf diese Taktik der Identitären Bewegung hinweisen wollte und sein logisches Ziel deshalb war, dass die politische Mitte diese Taktik erkennt und sich dagegen positioniert.

Warum blendete Böhmermann liberale Kommentare aus?

Warum markierte er mich dann nicht direkt in seinem Tweet, damit ich auch auf jeden Fall über diese Taktik Bescheid weiß? Warum blendete er so viele liberale und konservative Kommentare aus, unter anderem meinen, die sich klar gegen den rechten Rand positionierten? Warum ging er nicht auf die linksextremen Kommentare ein, wenn sein Ziel doch war, die Mitte im Kampf gegen die Identitäre Bewegung und andere zu vereinen?

Warum schrieb er nicht einmal: „Benedikt Brechtken ist nicht rechtsextrem, ich habe ihn nur als Beispiel genommen, wie die IB versucht, an der Mitte anzudocken, hört auf, ihn in diese Ecke zu rücken“?

Kampf gegen die liberale Mitte

Ich glaube, die Beantwortung dieser Fragen lässt nur einen Schluss zu: Böhmermann versucht, wie Prof. Arnd Diringer das treffend formulierte, „unter dem Deckmantel eines (angebl.) ‘Kampfs gegen Rechtsextr.‘ die bürgerl., insbes. die liberale Mitte zu bekämpfen.“

Gestern fragte Jan Böhmermann auf Twitter: „Es gibt im Netz eine große offene Durchreiche für Empörungstrigger und politische Spins zwischen bürgerlichem Liberalismus und Rechtsextremismus, die von beiden Seiten bedient wird. Wie können wir verhindern, dass rechtsextremistisches Gedankengut so in die Mitte sickert?“

Ich habe eine Gegenfrage: Wie können wir verhindern, dass Linkspopulisten der Identitären Bewegung massive Reichweite geben und „die Mitte“ definitorisch so weit nach links verschieben, dass am Ende keine Mitte mehr vorhanden ist und so ein Konjunkturprogramm für rechte und linke Extremisten schaffen?

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