Jamaika-Sondierung - Besser als Gras

Für Deutschland gibt es aktuell nur den Weg nach Jamaika. Das ist ganz im Sinn einer lange geplanten Mission der Union: Die AfD soll politische Abraumhalde und die SPD verzichtbar sein. Doch von dieser Strategie profitiert vor allem eine Person

Mission geglückt: Angela Merkel versammelt einen bunten Trümmerhaufen / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Diese Tage, in denen aus Deutschland Jamaika wird, halten für Freunde des Schrägen einige ausgesprochene Köstlichkeiten bereit. Die SPD etwa versucht sich gleichzeitig in geschäftsführender Regierungsverantwortung und blindwütigem Oppositionsangriff. In der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages wird hochpolitisch, wer wem wie die Hand schüttelt oder anschaut oder schneidet. Im Deutschlandfunk antwortet der Grünen-Chef auf die Frage, wie er persönlich den Vorschlag der SPD finde, die Kanzlerin künftig im Bundestag Rede und Antwort stehen zu lassen: „Ich hatte noch keine Gelegenheit, die Kanzlerin zu fragen, wie sie diesen Vorschlag findet.“ Und der milde CDU-Vize Armin Laschet droht wegen seiner NRW-Kohle mit Abbruch der Verhandlungen.

Anregender als das beste Kraut

Das kann man tief inhalieren oder schlürfen wie einen Southern Comfort-basierten Cocktail bei Sonnenuntergang. Man könnte ins endlose Kichern ausbrechen. Oder den Kühlschrank plündern in einem Anfall von Fresslust, was gerne einhergeht mit dem Konsum von Cannabis. Das hier ist alles anregender als das beste Kraut auf der berühmten Karibikinsel.

Von der Strauß- zur Jung-Doktrin

Was sich jetzt auf der offenen Bühne des Plenarsaales vor aller Augen abspielt, hat vor etwa drei Jahren begonnen. Diese neue politische Landschaft, die sich jetzt im Bundestag abbildet und an deren Ende mutmaßlich dieses schräge Bündnis steht, ist damals als Modell erschaffen worden. Es war die Zeit, als in der Union an die Stelle der Franz-Josef-Strauß-Doktrin die Matthias-Jung-Doktrin trat. Bis etwa zu dieser Zeit galt der Satz des bayerischen Berserkers, wonach es rechts von der Union keine demokratische legitimierte Kraft geben dürfe.

Matthias Jung, der Hausdemoskop der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel, verkehrte diesen Ansatz in sein Gegenteil. Als die AfD am politischen Horizon auftauchte, bezeichnet er sie als „Chance“ der Union. Als Chance, das „Rechte“ komplett der neuen Partei zu überlassen und damit die unappetitliche Konnotation dieses Wortes gleich mit. Stattdessen sollte sich die Union gezielt nach links auslegen, über die Mitte hinaus, tief hinein in das politische Terrain der SPD. Um mit dieser Landnahme sicherzustellen, dass die SPD immer kleiner bleiben würde als die Union. Und um so die AfD zur Abraumhalde des politischen Igitt zu machen.

Bunter Trümmerhaufen als neue Koalition

Die Mission ist erfüllt. Zwar ist die Union mit müden 32,9 Prozent bei der Bundestagswahl durchs Ziel gegangen. Aber Prozentzahlen sind relativ, die Schwächung der SPD als einziger Konkurrenzpartei um das Kanzleramt ist (unter deren tatkräftiger Mithilfe) geglückt. Die Kollateralschäden dieser Strategie (starke AfD, weitere Zersplitterung des Parteiensystems) lassen sich für die Union urbar machen: Einen Teil des bunten Trümmerhaufens packt man zu einer seltsamen Koalition zusammen. Und die Igitts von der Unionsabraumhalde AfD muss man dafür dann eben aushalten, auch ein Wolfgang Schäuble, wenn ihm Alexander Gauland mit einem Bückling beim Handschlag zur Wahl des Bundestagspräsidenten gratuliert.

Rechts heißt nicht automatisch NPD

Das kann man alles so machen. Aber man muss dann auch die langfristigen Folgewirkungen akzeptieren. Und wenigstens ein bisschen fair bleiben. So ist zum ersten klar, dass die 12,6 Prozent Wähler der AfD nicht allesamt als rechtsradikal abzuhaken sind. Dem ist nicht so. Denn: Wenn ich als Union aktiv den Raum zwischen NPD und mir preisgebe, dann ist nicht alles, was diesen Raum besetzt, automatisch NPD. 

Punkt eins. 

Punkt zwei: Niemand, der die Jung-Doktrin des kompletten Umpflügens der politischen Landschaft für clever und richtig erachtet, möge sich bitte in den kommenden Monaten und Jahren darüber ereifern, wenn die SPD ihr Heil in einem Linksschwenk sucht. Wenn sich eine CDU-Kanzlerin mit willfährigen Grünen und kokett-sperrigen Gelben in der Mitte festsetzt, wo soll die SPD denn bitteschön in dieser neuen politischen Landschaft ihren Platz sonst suchen. Die gescheite Altgrüne Antje Vollmer hat dazu ebenfalls im Deutschlandfunk Sinnstiftendes gesagt.

Punkt drei: Der bunte Wimpel aus vier so unterschiedlichen Parteien namens Jamaika ist die Folge der Jung-Doktrin. Die Folge ist auch, dass die CDU-Vorsitzende sich und ihre Partei in eine schlechte Verhandlungsposition gebracht hat. Denn es gibt für sie nur diese eine Option. Was dabei wiederum behilflich ist: Angela Merkel hat es ohnehin nicht so mit unabdingbaren Positionen. Sie hat nach der Bundestagswahl gesagt, dass sie und die Union das strategische Ziel erreicht habe, dass gegen sie keine Regierung gebildet werden kann

Das stimmt. Man kann dieses Ziel auch noch etwas konkreter formulieren. Dann heißt es: Hauptsache, ich bleibe Kanzlerin. Sieht so aus, als könnte das jedenfalls hinhauen.

Alles zu den Jamaika-Sondierungen lesen im aktuellen Cicero Der Höllenritt.

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