Was der Terror von Nizza für Lehrer bedeutet - „Wer außer uns sollte die Schüler über Islamismus aufklären?"

Die Enthauptung von Samuel Paty hat auch Deutschlands Lehrer alarmiert. Aus Angst vor Racheakten trauen sich viele nicht mehr, islamische Reizthemen zu behandeln. Eine Lehrerin aus Herford hat es trotzdem getan. Sie lebt jetzt gefährlich.

Mahnwache für den enthaupteten Lehrer: Birgit Ebel solidarisiert sich mit dem Slogan „Je suis Samuel“ / privat
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Birgit Ebel unterrichtet Deutsch und Geschichte an einer Gesamtschule in Herford. 2014 hat sie die Initiative extremdagegen gegründet, die Jugendliche über Islamismus aufklärt. Für ihr Engagement wird Ebel, die seit 24 Jahren Mitglied der Grünen ist, von der Antifa angefeindet. 

Frau Ebel, in Nizza wurde eine 70-jährige Frau in der Kirche von einem Islamisten enthauptet. Erst vor zwei Wochen ist dasselbe einem Lehrer passiert, der im Unterricht das Thema Meinungsfreiheit anhand von Mohammed-Karikaturen behandelt hat. Sie sind selbst Lehrerin und engagieren sich gegen Islamismus, auch im Unterricht. Macht Ihnen der Terror Angst? 

Ich finde es schon ungeheuer beängstigend, was da geschieht. Das passiert ja nicht nur im Nahen Osten oder in Syrien. Der Terror ist auch in Europa angekommen. Allein in Frankreich hat er in den vergangenen Jahren 250 Menschen das Leben gekostet. Auch in Deutschland hat es schon Versuche gegeben, Menschen abzuschlachten. 

Was meinen Sie damit? 

Anfang Oktober hat ein junger Syrer zwei Männer aus Nordrhein-Westfalen in Dresden mit dem Messer angegriffen. Einer von beiden starb. Und diese islamistische Attacke ist kein Einzelfall. Und wenn man dann weiß, dass die Hälfte der salafistischen Gefährder in Deutschland minderjährig ist, dann ist doch vollkommen klar, welche Aufgabe die  Schulen haben müssen. Nämlich aufzuklären. 

Sie unterrichten Deutsch und Geschichte an einer Gesamtschule in Herford. Haben Sie die Terroranschläge im Unterricht thematisiert?  
Ja, natürlich.  

So natürlich ist das offenbar gar nicht. Hans-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hat nach der Enthauptung des Lehrers vor einem Klima der Einschüchterung und der Schere im Kopf gewarnt. Er hat gesagt, der Druck sei besonders an Brennpunktschulen hoch. „Der eine oder andere Lehrer überlegt sich, ob er schwierige Themen überhaupt noch ansprechen soll, um Anfeindungen zu entgehen.“   

Diese Erfahrung habe ich leider auch gemacht. Dabei wurde ich eher zufällig für das Thema sensibilisiert. 

Was ist passiert?

Am 27. Januar 2014 saß in meinem Unterricht für Sprachförderung plötzlich ein 15-jähriger muslimischer Kurde, der behauptete, er sei mein neuer Schüler. Er hat den Unterricht derart gestört, dass ich auf Facebook über ihn recherchiert habe. Wissen Sie, was ich dabei herausgefunden habe. 

Nein. 

Der Junge besuchte eine Schule für sozial und emotional benachteiligte Jugendliche und hat sich einen Spaß daraus gemacht, abwechselnd andere Schulen zu besuchen, um dort zu randalieren. Auf Facebook habe ich Fotos gefunden, auf denen er mit Kalaschnikoffs posierte. 

Echte Waffen?

Nein, offenbar handelte es sich um Attrappen. Wie sich aber herausstellte, hatte der Junge Kontakte zur islamistischen Jugend in Herford und postete Inhalte von Hasspredigern. Ich habe das der Polizei gemeldet, und die hat mich gleich an den Bielefelder Staatsschutz verwiesen. Und die Beamten waren mir für den Hinweis sehr dankbar. Von ihnen habe ich erfahren, dass Herford eine Hochburg von Salafisten ist – und dass sie dort schon lange ermitteln. 

Und das haben Sie vorher nicht gewusst?

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Nein, ich hatte keinen Blick dafür. Aber vielen meiner Schüler war das längst bekannt. Die wussten auch, dass schon 2013 ein junger Deutsch-Afrikaner aus Herford zum Dschihad nach Syrien ausgereist war. Mit Erwachsenen haben sie darüber bis dahin allerdings nicht geredet.

Warum nicht?

Viele meiner Schüler haben einen Migrationshintergrund. Sie haben mir gesagt, sie wollten nicht, dass deutsche Lehrer nun denken, dass alle so sind. Sie hatten Angst davor, ausgegrenzt zu werden. Sie befürchteten weiterhin, dass ihre Eltern es ihnen verbieten würden, im Internet zu surfen oder rauszugehen.

Sie sind mit vielen Schülern auf Facebook im Kontakt. War das da nie ein Thema?

Nein, sie haben das nur unter sich besprochen. Sie konnten das aber nicht einordnen. Als ich das herausfand, war mir klar, dass gerade wir Pädagoginnen und Lehrkräfte etwas unternehmen müssen, damit  haltlose Jugendliche nicht in diese islamistische Sekte abdriften. Allein aus Herford sind acht junge Männer ins Terrorgebiet ausgereist. 

2014 haben Sie die Initiative extremdagegen gegründet. Wie klären Sie Jugendliche auf? 

Wir haben gemeinsam Texte über Islamismus gelesen. Wir haben Rollenspiele entwickelt, einen Rap mit einem Videoclip produziert oder Filme und Jugendromane besprochen. Ich habe mir zudem Lehrpläne angeguckt, um zu prüfen: Wo können wir das Thema fachlich sinnvoll ansiedeln? 

Und wie war das Echo den Schulen?

Das Interesse hielt sich im Kollegium und bei der Schulleitung eher in Grenzen. Völlig vorbei war es jedoch mit dem Engagement der Herforder Schulen, als Islamisten einen jesidischen Grillbesitzer und seine Gäste in Herford mit Messern attackierten. Das war am 6. August 2014, genau drei Tage nach dem Überfall der Islamisten auf die irakische Stadt Shingal. Das Massaker im Nordirak hat in Herford lebende Kurden und Jesiten alarmiert. Sie verteilten Flugblätter mit Demo-Aufrufen. Es gab eine Massenschlägerei mit Islamisten. Hundertschaften der NRW-Polizei rückten an. Spätestens jetzt war klar, dass Herford ein massives Problem mit Salafisten hat. 

Und warum war das Thema Aufklärung damit vom Tisch? Es hätte doch eigentlich anfangen müssen. 

Das habe ich auch gedacht. Aber stattdessen gab es eine Zäsur: Die Schulen haben erkannt: Das ist eine ganz große Geschichte. Das überfordert uns. Jedenfalls hatte plötzlich keiner mehr ein wirkliches Interesse an Aufklärung. 

Aus Angst?

Ja, vor Imageverlust. Es gibt ja einen harten Wettbewerb unter den Schulen um Anmeldungen. Keine Schule will den Eindruck erwecken, sie habe ein Problem mit Islamismus und genau deshalb Aufklärung nötig. Als der Bürgermeister Monate nach den Ausschreitungen von Herford einen Runden Tisch für den interreligiösen Dialog veranstaltete, ist fast keiner der Schulleiter erschienen.Wir waren mit unserer Initiative und zwölf unserer Jugendlichen da und arbeiten auch heute noch losgelöst von den Schulen. 

Aber das ist mittlerweile sechs Jahre her. Auch in Deutschland gab es mit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz einen islamistischen Terrorakt, der die ganze Welt erschüttert hat. Man sollte  annehmen, dass es inzwischen ein Bewusstsein für die Gefahr des Islamismus gibt. Wollen Sie nicht einen zweiten Anlauf nehmen? 

Ich bin in Bezug auf Schulen einigermaßen desillusioniert, muss ich sagen. Ich habe sechs Jahre lang versucht, dieses Thema immer wieder auch in Schulen zu positionieren. Es funktioniert einfach überhaupt nicht. Dabei müssten es gerade die Schulen thematisieren. 

Immerhin hat das Kultusministerium im Saarland an den Schulen zu einer Schweigeminute für den ermordeten Lehrer in Paris aufgerufen. 

Ja, das hat mich überrascht. Ich selbst habe auch eine Mahnwache für Samuel Paty in Bielefeld organisiert. Da kamen auch einige Lehrkräfte und Pädagoginnen. Wir waren 50 Teilnehmer. Doch weder der Oberbürgermeister noch ein Lokalpolitiker oder ein Schulleiter erschien. Man lässt uns mit dem Problem völlig hängen. 

Wie kommt es denn bei Schülern an, wenn Sie sich kritisch damit auseinandersetzen?

Außerhalb der Schulen kommt das gut an. Mir geht es um Sachinformation, ich will niemanden missionieren. Wir waren inzwischen auf 50 Bühnen zu Gast in der ganzen Republik. Wir wurden 2016 nach Florida eingeladen, wo unsere Jugendlichen mit Zeitzeugen von 9/11 gesprochen haben. Ich selbst wurde 2016 vom Goethe-Institut in Kairo als Expertin für Radikalisierung eingeladen. 

Aber woran liegt es, dass Ihre Arbeit bundesweit und auch im Ausland anerkannt wird – und vor Ort gar nicht?

Wenn man islamistische Netzwerke vor Ort aufdeckt und auf die fatalen Folgen der Kooperationen mit Moschee-Vereinen hinweist, gibt es gleich Ärger mit den Kirchen und städtischen Akteuren. Denn sie sind es ja in erster Linie, die mit den DITIB-Moscheen und mit der islamistischen Bewegung Milli Görüs im Dialog sind. Sie laden sogar Muslimbrüder zu Debatten und Vorträgen ein – und sie merken es noch nicht mal.  

Was müsste die Politik tun, um engagierten Lehrern wie Ihnen den Rücken zu stärken? 

Die Kultusministerien müssen das Thema Islamismus explizit in die Lehrpläne mit aufnehmen. Das schulden wir den geflüchteten Kindern und Jugendlichen, die begründete Angst vor Islamisten haben, weil sie in ihrer Heimat von ihnen terrorisiert wurden. Die haben keinen Ansprechpartner. 

Und an wen wenden Sie sich, wenn Sie Angst vor Racheakten haben müssen?

Gute Frage, ich habe auch keinen Ansprechpartner. Bei der Schulaufsicht muss ich mich noch rechtfertigen, dass ich mich engagiere und mit dem Staatsschutz Kontakt aufgenommen habe. Als Mitglied von Terre de Femmes und der Kurdischen Gemeinde bin ich zum Glück gut vernetzt und konnte mich deshalb gegen die vielen Beschwerden und Vorwürfe wehren.  

2019 haben Sie einen Strafbefehl über 5.000 Euro wegen übler Nachrede bekommen, weil sie im Unterricht den Selbstmord einer 17-jährigen Muslimin thematisiert haben. Was war passiert? 

Eine junge Deutschtürkin, die gar nicht an meiner Schule war, hat sich vor einen Zug geworfen. Vorher hatte es einen Streit in ihrer Familie gegeben, weil Fotos aus der Silvesternacht aufgetaucht waren, die das Mädchen halb nackt und betrunken gezeigt haben. Das habe ich im Unterricht thematisiert, um das Cyber-Mobbing zu stoppen. Hinterher wurde mir von der Familie des Mädchens vorgeworfen, dass ich die Geschichte nur erfunden hätte. Dabei war ich die einzige, die die Würde dieses Mädchens verteidigt hat. Ich kannte es gar nicht.  

Wie ist die Sache ausgegangen?

Das Verfahren wurde zwar ein Jahr später eingestellt, aber es hat schon meinem Ruf geschadet. Darum ging es auch wohl. Eine anonym agierende Antifa diffamiert mich jetzt als „rassistisch“ und vergleicht mich mit Björn Höcke. Absurder geht es nicht. Weder die Grünen noch meine Schule haben mich unterstützt. Zum Glück standen die Kurdische Gemeinde und Terre des Femmes voll hinter mir, und meine Schüler aus der Oberstufe haben gesagt: „Frau Ebel, Sie haben alles richtig gemacht!” 

Können Sie die Unterstellungen der Antifa auf sich sitzen lassen?

Nein, ich finde diese Täter-Opfer-Umkehr unerträglich. Deshalb bin ich mit meiner Geschichte ja an die Öffentlichkeit gegangen und habe mein Gesicht gezeigt. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Diese Kampagne gegen mich wurde nach meiner Kenntnis von der örtlichen DITIB-Moschee gesteuert, bei der Verwandte des Mädchens ein- und ausgingen. 

Die Familie bestreitet das. 

Dafür gibt es aber Beweise. Die DITIB-Moschee hat die Sache genutzt, um eine unbequeme Stimme zum Schweigen zu bringen. Das ist ihr aber nicht gelungen. 

Aber warum sollte die Moschee das tun?

2018 hatte sie kleine Jungs in Kampf-Uniformen gesteckt und ihnen kleine Maschinengewehr-Modelle in die Hand gedrückt. Sie sollten Krieg spielen und dem türkischen Präsidenten Erdogan huldigen. Diese Kriegshetze hatte ich medienwirksam kritisiert. 

Viele an Ihrer Stelle würden sich jetzt zweimal überlegen, ob sie sich der Gefahr noch aussetzen sollen. Sie machen einfach weiter. Warum? 

Es ist unsere Aufgabe als Schule, die Jugendlichen aufzuklären. Ich kann nur hoffen, dass sich in den kommenden Jahren da was tut und die Lehrer mutiger und von Schulleitungen auch unterstützt werden. Vielleicht tragen diese schlimmen Ereignisse dazu bei. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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