Islamismus in Deutschland - Ich will mich nicht an den Terror gewöhnen!

Kisslers Konter: Nach den Anschlägen von Nizza und Würzburg heißt es, das sei die neue Normalität. Daran hätten wir uns zu gewöhnen. Nein, das müssen wir nicht. Eine Widerrede

Der Strand von Nizza zwischen Trauer und Badespaß / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Anzeige

Ein vermutlich minderjähriger Asylbewerber schnappt sich eine Axt und zieht los. Der junge Mann, vermutlich aus Afghanistan, will „Ungläubige“ „abschlachten“. So sagt er es in einem posthum vom „Islamischen Staat“ veröffentlichten Video. Darin kündigt er an, der IS werde den „Heiligen Krieg“ in „jede Straße, in jedes Dorf, in jede Stadt und auf jeden Flughafen“ tragen. Die daraufhin folgende terroristische Attacke in einem Regionalzug zwischen Ochsenfurt und Würzburg war ein schlimmes Gemetzel. Dennoch könnte die Touristenfamilie aus Hongkong, die es am schwersten traf, mit dem Leben davon kommen. Während die Opfer behandelt werden und deren zwei mit dem Tod ringen, hören wir: Daran hätten wir uns zu gewöhnen. Deutschland werde gerade etwas nahöstlicher.

Nein. Ich für meinen Teil möchte mich nicht daran gewöhnen, dass zur deutschen Normalität islamistische Anschläge gehören sollen, islamistische Übergriffe, islamistische Bedrohungen, Tag für Tag. Ich möchte mich nicht an ein Leben in Angst gewöhnen, mich nicht daran gewöhnen, dass fanatisierte Täter mit sozialpsychologischer Nachsicht rechnen dürfen, während die Opfer als Kollateralschäden abgehakt werden einer willkommenskulturell beschleunigten Welt. Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, dass die Konflikte des Nahen Ostens in Deutschland ausgetragen werden, möchte mich auch nicht daran gewöhnen, dass, wie nun in Wien, Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan aufmarschieren, türkische Fahnen schwenken und skandieren „Sag es und wir töten, sag es und wir sterben!“ Nein, ich will das alles nicht, und weder mich noch den Souverän der Verfassung, das Volk, hat man danach gefragt.

Der Nahe Osten ist keine Referenzgröße für Deutschland

Darum muss ich, anders als es der Nahost-Experte Michael Lüders tat, die Frage der ZDF-Moderatorin Barbara Hahlweg verneinen. Frau Hahlweg fragte in der Nachrichtensendung „heute“ am 19. Juli, dem Tag des Würzburger Attentats: „Müssen wir uns an diese Art von Anschlägen gewöhnen?“ Die direkte Antwort gab 20 Minuten später im ZDF-Spezial zum „kaltblütigen Terroranschlag“ Michael Lüders: Es sei leider so, „dass wir uns an diesen Gedanken gewöhnen müssen (…), dass diese Form des Terrors bei uns jetzt zunimmt. Die Menschen im Nahen Osten kennen das schon.“

Mit Verlaub: Der Nahe Osten war mir bisher nicht als Referenzgröße für Deutschland bekannt. In derselben Logik ließe sich sagen, wir müssten uns an den Gedanken einer gelenkten Demokratie mit einer starken Führungspersönlichkeit gewöhnen, die Menschen in der Türkei kennen das schon. Müssen wir uns dann als Nächstes an Antisemitismus und Schwulenhass gewöhnen? Die Menschen in Iran kennen das schon.

Natürlich, die Grenzen der Meinungsfreiheit werden mit der Aussage wahrlich nicht verletzt, ein Politikwissenschaftler verkündet keine Regierungsdoktrin. Doch nur etwas anders klang der französische Premierminister Manuel Valls, der nach dem islamistischen Anschlag von Nizza mit rund 80 Toten erklärte: „Es wird weitere Anschläge geben und es werden weitere unschuldige Menschen getötet werden. Wir dürfen uns an diese Bedrohung nicht gewöhnen, aber wir müssen lernen, mit ihr zu leben.“ Hilflos sind derweil die Einlassungen von Kanzleramtschef Peter Altmaier, wonach es kein erhöhtes Terrorrisiko durch Flüchtlinge gebe. Hätte der Attentäter von Würzburg bei einem verfassungsgemäßen Grenzregiment einreisen können? Die relativierend ins Feld geführten „Traumatisierungen“ des Täters haben eigenartigerweise noch keinen einzigen christlichen Asylbewerber dazu veranlasst, sich eine Axt zu greifen und loszuziehen.

Hat Merkels Flüchtlingspolitik die Terrorgefahr erhöht?

Die Kanzlerin erklärte am 12. Juli im Sat.1-Sommerinterview, die Sicherheit der Bevölkerung sei gewährleistet – obwohl „wir natürlich auch in Deutschland wissen, dass wir dschihadistische Kräfte im Lande haben“. Weiß die Kanzlerin auch, woher die Terroristen stammen und wie und warum sie nach Deutschland gewandert sind? Könnte Merkel diesen Satz nach Würzburg guten Gewissens wiederholen? Wäre sie bereit, sich zumindest innerlich jene Frage vorzulegen, die nun der „Tagesspiegel“ aufwarf: „Hat Angela Merkels Flüchtlingspolitik die Terrorgefahr in Deutschland erhöht?“

In ihrem Sommerinterview mit dem ZDF sagte die CDU-Vorsitzende am 10. Juli: „Ich befasse mich mit den Realitäten.“ Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, damit anzufangen.

Anzeige