Staatsbürgerschaftsentzug für IS-Kämpfer - „Die AfD kann ja auch mal Recht haben“

Wohin mit den IS-Kämpfern, die Syrien zurück in ihre Heimat schicken will? Die Bundesregierung will Doppelstaatlern den deutschen Pass entziehen. Linke und Grüne sprechen von einer Demontage des Rechtsstaats. Ex-Verteidigungsminister und Staatsrechtler Rupert Scholz verteidigt die Pläne der Regierung

Staatsrechtler Rupert Scholz: „Wer sich militärisch gegen Deutschland wendet, hat das Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit verwirkt“ / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Rupert Scholz war Verteidigungsminister im Kabinett von Helmut Kohl. Der 1937 geborene Jurist ist Rechtsanwalt und Mitherausgeber des Grundgesetzkommentars Maunz/Dürig.

Herr Scholz, wer als Deutscher für die Terrormiliz IS gekämpft hat, dem will die Bundesregierung unter bestimmten Voraussetzungen den deutschen Pass entziehen. Ist das rechtlich überhaupt möglich? 
Das ist schon jetzt möglich. Es gibt die Paragraphen 17 und 28 im Staatsangehörigkeitsgesetz. Danach kann ein Deutscher, der sich den Streitkräften oder einem vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates anschließt, seinen deutschen Pass verlieren – vorausgesetzt, er hat zwei Staatsangehörigkeiten. 

Aber der IS wird doch völkerrechtlich gar nicht als eigener Staat anerkannt. 
Das stimmt. Aber es kann eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass hier eine vergleichbare Situation gegeben ist. Wenn Terrorismus in der Form organisiert wird, wie es im Falle des IS geschehen ist, haben wir eine  militärische Konfliktlage, wie sie in den Paragraphen 17 und 28 beschrieben wird. 

Aber in Artikel 16 der Verfassung steht: Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden.“ Wie passt das zusammen? 
Artikel 16 sieht nur vor, dass niemand staatenlos werden darf. Deshalb beschränkt sich der geplante Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft auf Doppelstaatler. Die Betroffenen verlieren die deutsche Staatsangehörigkeit, behalten aber ihre andere. Deshalb ist die geplante Regel verfassungskonform. 

Dieser Artikel 16 entstand  als Reaktion auf den Machtmissbrauch im Dritten Reich. Damals entzog der Staat Juden die Staatsbürgerschaft, damit er sie enteignen konnte. Den Vätern des Grundgesetzes galt dieser Artikel deshalb als sakrosankt. Versucht die Bundesregierung jetzt durch die Hintertür, die Verfassung zu demontieren?  
Nein, und was sie jetzt plant, liegt im übrigen auch ganz auf der Linie dessen, was im Völkerrecht international üblich ist. Staatsangehörigkeit bedeutet, dass man sich zu seinem Staat bekennt – mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten. Wer sich militärisch in einem terroristischen Verband gegen Deutschland wendet, der hat sein Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit verwirkt.
 
Grüne und Linke fordern, einem IS-Kämpfer dürfte die deutsche Staatsbürgerschaft erst dann entzogen werden, wenn ihm hierzulande in einem Gerichtsprozess nachgewiesen wurde, ob und in welcher Form er sich strafbar gemacht hat. Und das gilt als schwierig, wenn nicht gar unmöglich. 
Das ist die Frage. Paragraph 17 und 28 im Staatsangehörigkeitsgesetz sagen ausdrücklich, dass die Staatsangehörigkeit dann verloren geht, wenn man in den bewaffneten Verband eines ausländischen Staates eintritt. Man müsste dann nur noch einen Verwaltungsakt einführen, der das bestätigt. 

Macht die Bundesregierung da nicht den zweiten Schritt vor dem ersten? 
Darüber wird diskutiert. Ich bin der Meinung, das es dieses Beweises nicht bedarf, wenn die bloße Zugehörigkeit zum IS feststeht. 

Warum?
Weil der IS insgesamt eine terroristische Vereinigung ist. In der derzeitigen Regelung nach Paragraph 17 und 28 wird ja auch nicht gefragt, ob die Betroffenen tatsächlich in den ausländischen Streitkräften gekämpft haben. Es genügt der bloße Eintritt in fremde Streitkräfte. Folgerichtig reicht der Eintritt in eine bewaffnete Einheit wie den IS. 

Was ist mit den Frauen der Kämpfer? Deren Aufgabe bestand doch im Wesentlichen darin, Kinder zu bekommen – Nachwuchs für das Terror-Regime. 
Es ist bekannt, dass auch Frauen für den IS gekämpft haben. Für sie gilt, was auch für die Männer gilt: Der bloße Eintritt in die Streitkräfte reicht aus, um ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das Gesetz muss nur noch um den Passus ergänzt werden, dass die Terror-Miliz des IS mit ausländischen Streitkräften gleichgestellt wird. 

Kritiker der Pläne der Bundesregierung wenden ein, das Staatsangehörigkeitsgesetz werde missbraucht als Instrument der Bestrafung. 
Die Kritik halte ich für abwegig. Was die Bundesregierung plant, entspricht allgemeinen völkerrechtlichen Maßstäben. Mit Strafe hat das nichts zu tun. 

Warum hat sich Justizministerin Katarina Barley (SPD) dann monatelang vor einer Entscheidung gedrückt? Die Regierung hat ja erst gehandelt, nachdem US-Präsident Donald Trump damit gedroht hat, die europäischen IS-Kämpfer aus den Gefängnissen freizulassen und zurück in ihre Heimatländer zu schicken? 
Was Trump getan hat, war richtig. Man muss seine eigenen Staatsangehörigen wieder zurücknehmen. Jeder IS-Kämpfer hat das Recht, in sein Land zurückzukommen ... 

... außer, man entzieht ihm die Staatsangehörigkeit vorher schnell noch. Ist das nicht ein ziemlich durchschaubarer Versuch, Menschen loszuwerden, deren Überwachung und Resozialisierung den Staat viel Geld kosten würde? 
Diese Meinung teile ich nicht. 

Die geplante Gesetzesreform gilt nicht rückwirkend, sondern nur für künftige Fälle. Ist der Gesetzesentwurf vor diesem Hintergrund nicht reine Symbolpolitik? 
Die Frage ist, ob man diese Regelung auch rückwirkend anwenden kann. Ich glaube, dass das geht, denn die Betroffenen genießen keinen Vertrauensschutz. Sie haben sich diesen terroristischen Verbänden aus eigener  Entscheidung angeschlossen. 

Bei vielen IS-Kämpfern handelt es sich um jugendliche, teilweise sogar noch minderjährige Deutsche.  Konnten die wirklich ermessen, worauf sie sich eingelassen haben? 
Diese Frage ist sicherlich in dem einen oder anderen Fall schwer zu beantworten. Aber man braucht eine allgemein gültige Regelung. Und ich glaube nicht, dass es hier differenzierende Maßstäbe geben sollte. Wenn ein 16-Jähriger ausländischen Streitkräften beitritt, verliert er nach Paragraph 28 die deutsche Staatsangehörigkeit. Warum sollte das hier anders sein? 

Nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung müssten Doppelstaatler zumindest volljährig sein. 
Da haben Sie Recht. Das muss man im Einzelfall klären. 

Die AfD hat schon vor einiger Zeit gefordert, der Staat müsse Deutschen mit Migrationshintergrund die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen, wenn sie straffällig geworden sind. Öffnet die Bundesregierung diesem Vorstoß mit ihrem Gesetzesentwurf nicht eine Tür? 
Theoretisch ginge das auch, aber nur bei doppelter Staatsangehörigkeit. Das wäre aber eine Gesetzesänderung, die sicherlich schwieriger durchzusetzen wäre. 

Wie schwer müsste das Verbrechen sein? 
Das liegt im Ermessen des Gesetzgebers. Da gibt es keine Grenze. 

Könnte Ladendiebstahl schon für den Entzug der Staatsbürgerschaft ausreichen?
Nein, das wäre unverhältnismäßig. Wir reden hier von Schwerstkriminalität. 

Ist die Bundesregierung gut beraten, in dasselbe Horn zu stoßen wie die AfD?  
Man muss sich mit solchen Fragen auseinandersetzen. 

Auch wenn sie ursprünglich von einer Partei gestellt wurden, die der Verfassungsschutz gerade als Prüffall eingestuft hat? 
Die Nähe zur AfD ist noch kein Manko. Die Partei kann ja auch mal Recht haben. 

Spricht so der Staatsrechtler Rupert Scholz – oder der CDU-Politiker?
Der Staatsrechtler. Die Pläne der Bundesregierung sind verfassungskonform und werden von mir unterstützt.  

Anzeige