Interview-Panne - Wie Sigmar Gabriel fast den Bundestagswahlkampf beendete

Kolumne: Grauzone. Sigmar Gabriel hat mit seinen verschwurbelten Zweifeln an einem SPD-Wahlsieg Martin Schulz geschadet. Doch der Lapsus zeigt auch, warum Gabriel der bessere Kandidat gewesen wäre

Lockere Gespräche sehen anders aus. Sigmar Gabriel und Martin Schulz haben nicht mehr viele Optionen / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Politiker zu sein ist ein undankbares Geschäft. Zumal in Zeiten des Wahlkampfes. Denn Wahlkampf ist eine Illusionsmaschine. Es gilt, den eigenen Anhängern Hoffnung zu vermitteln, auch da, wo es keine gibt, und den Wählern Versprechen zu machen, die kaum durchsetzbar sind.

Also muss der wahlkämpfende Politiker aus seinem Herzen eine Mördergrube machen. Das ist unschön und mit Sicherheit anstrengend. Und es fordert sehr viel Disziplin. Hin und wieder jedoch gibt es Politiker, die aus dem Schema des Routiniers ausbrechen und ganz einfach die Wahrheit sagen. Direkt und unverblümt oder eher hintenherum, mit voller Absicht oder zufällig.

Das sind die seltenen Momente, in denen für einen kurzen medialen Augenblick die Fassade fällt und das erstaunte Publikum einen Blick in das Innenleben eines Profipolitikers erhaschen kann. Oder eher zu erhaschen meint. Denn es ist niemals auszuschließen, dass es sich dabei um einen inszenierten Kontrollverlust aus taktischen Gründen handelt.

Glaubt Gabriel nicht an den Schulz-Sieg?

Einen solchen Moment echter oder auch simulierter Wahrhaftigkeit erlebte die deutsche Öffentlichkeit am vergangenen Mittwoch. Da gab der ehemalige Vorsitzende der SPD und aktuelle Außenminister Sigmar Gabriel bei einer Spiegel -Veranstaltung ein bemerkenswertes Interview. Dessen Schlüsselpassage handelte von einem Gespräch, das Gabriel eine Woche zuvor mit dem Stern geführt und in dem er eine Neuauflage der großen Koalition ausgeschlossen hatte. Schlank, braun gebrannt und zum Scherzen aufgelegt, schilderte Gabriel zunächst launig sein gutes Verhältnis zu Martin Schulz und verglich dessen Rolle mit derjenigen des anwesenden Spiegel-Chefredakteurs Klaus Brinkbäumer. Die Lacher im Auditorium hatte er in diesem Moment auf seiner Seite.

Befeuert durch diesen Zuspruch antwortete Gabriel danach auf die Frage nach einer Neuauflage der großen Koalition: Martin Schulz wolle Kanzler der Bundesrepublik werden. In einer solchen Situation könne er, Gabriel, doch nicht sagen, eine Fortführung der großen Koalition sei eigentlich eine gute Idee: „Weil, da kann der Schulz schon mal einpacken, weil dabei wird er dann nicht Kanzler“, sagte Gabriel.

Erst Verschlimmbesserung, dann Routine

Gabriel ist ein schnell denkender Kopf. Vermutlich hatte er genau in diesem Moment noch erkannt, was ihm da rausgerutscht war. Also versuchte er die Situation zu retten. Heraus kam zunächst ein ziemlich verhaspelter Satz. Doch dann hatte der Politprofi sich wieder im Griff und ergänzte: „Es ist doch eine absurde Theorie zu glauben, ich würde ihm den Raum der Politikgestaltung klein machen, wenn ich schlicht und ergreifend sage, eine Große Koalition ist deshalb nicht sinnvoll, weil damit die SPD nicht den Kanzler stellen kann.“

Das war natürlich eine klassische Verschlimmbesserung seiner ersten Aussage. Und so schob er hinterher: „Daraus macht der deutsche Journalismus: Jetzt zwingt Gabriel Schulz auf, dass es keine Große Koalition gibt.“ Dieser letzte Satz war der Versuch, zu retten, was nicht mehr zu retten war. Und folgerichtig machte die Deutsche Presseagentur daraus die verheerende Meldung: „Gabriel glaubt offenbar nicht mehr an SPD als stärkste Partei“.

Was dann folgte, war Routine: Dementi, Richtigstellung, Schadensbegrenzung. Der Tenor: Selbstverständlich halte Gabriel die Wahl nach wie vor für offen. Was sollte das Willy-Brandt-Haus auch sonst verlautbaren.

Gabriels Lapsus zeigt seine Stärke

Vermutlich ist es tatsächlich so, dass Gabriel in einem unbedachten Moment unfreiwillig gesagt hat, was er wirklich denkt – verklausuliert zwar, aber gerade deshalb eindeutig. Doch Parteien in Wahlkampfzeiten sind Räume paradoxer Selbsthypnose. Ihre Mitglieder berauschen sich daran, an ein Ziel zu glauben, an das eigentlich keiner wirklich glaubt. Dieser kollektive Rausch hält solange an, wie die jeweilige Parteiführung glaubhaft Siegesgewissheit vermittelt – auch wenn der Sieg noch so unwahrscheinlich ist. Gegen diese Grundregel hat Gabriel verstoßen. 

Doch absurderweise zeigt dieser Lapsus zugleich, weshalb Gabriel vielleicht der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre. Weniger kontrolliert, spontan, lebendig, ein Polit-Tier aus Fleisch und Blut, ein wohltuender Kontrast zur stoischen, blutleeren Kanzlerin.

Doch die Chance, angesichts der programmatisch begrenzten Spielräume zumindest menschlich eine Alternative zur Amtsinhaberin anzubieten, hat die SPD im Januar vertan. Und so stehen sich – das Duell am Sonntag wird es in eindrucksvoller Langeweile zeigen – zwei Kandidaten gegenüber, die sich an Drögheit und Blässe wenig nehmen. Das Ergebnis ist, nicht nur für Sigmar Gabriel, absehbar.

Anzeige