Internationaler Frauentag - Berlin erreicht Weltniveau

Seit 2019 beglückt Berlin am 8. März, dem Internationalen Frauentag, seine Bürgerinnen und Bürger mit einem gesetzlichen Feiertag. Damit steht der rot-rot-grüne Senat in der Tradition der DDR und feiertagspolitisch auf Augenhöhe mit Nordkorea, Vietnam oder Weißrussland. Mit tatsächlicher Gleichberechtigung hat das nichts zu tun.

Für viele ist der Frauentag Vorwand für ihren Kampf um eine andere Republik / dpa
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Den „Frauenkampftag“ am 8. März beging die DDR stets feierlich; gearbeitet werden musste dennoch. Ein arbeitsfreier Feiertag ist der Frauentag in einer Reihe sozialistischer Länder – und seit 2019 auch im rot-rot-grün regierten Berlin. 2023 will das rot-rote Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls zu Ehren der Frauen die Arbeit ruhen lassen. Dadurch verbessert sich die Lage der alleinerziehenden Mütter oder der schlecht bezahlten Pflegekräfte zwar nicht, aber „Feminist:innen (m/w/d)“ fühlen sich wohl.

Überholen, ohne einzuholen.“ Nach dieser Maxime wollte die DDR „dem gegenwärtigen Welthöchststand nicht auf bereits mehr oder weniger bekannten Wegen nacheilen, um ihn zu erreichen. Vielmehr wollen wir, gewissermaßen an ihm vorbei, (…) einen neuen Höchststand bestimmen“. Ökonomisch hat das bekanntlich nicht geklappt. Aber auch gesellschaftspolitisch war der SED-Staat nicht auf Welthöchststand. Mochten andere kommunistische und sozialistische Länder den „Internationalen Frauentag“ am 8. März als gesetzlichen Feiertag begehen, so mussten Frauen in der DDR erst arbeiten, ehe es eine betriebliche Feierstunde mit ein paar warmen Worten des Genossen Betriebsleiter gab. Die Produktion ging vor.

Kampftag für linke Politik

Nur gut, dass Erich Honecker nicht mehr erleben muss, wie ausgerechnet das Land Berlin am 8. März 2019 die DDR überholt hat. Seitdem ist der „Frauentag“ in der Hauptstadt gesetzlicher Feiertag. Damit erreicht Berlin, um es im DDR-Jargon zu formulieren, „Weltniveau“. Schließlich befindet es sich jetzt feiertagspolitisch auf Augenhöhe mit Russland und Ländern wie Angola, Armenien, Burkina Faso, Eritrea, Georgien, Kuba, Mongolei, Nordkorea, Vietnam oder Weißrussland.

Das rot-rot-grün regierte Berlin beschert seinen Einwohnern jedweden Geschlechts einen arbeitsfreien Tag, um damit etwas für die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frau zu tun. Irgendwie vertraut man wohl darauf, dass die Idee der Emanzipation den großen Durchbruch erzielt, wenn berufstätige Frauen nicht am Schreibtisch sitzen oder hinter einer Ladentheke stehen, sondern zu Hause ihren Lieben ein Feiertagsmenü zubereiten. Immerhin gehen zahlreiche feministische Gruppen und Bündnisse „Frauen*kampftag“ auf die Straße. Da machen die üblichen Verdächtigen – Linke, Gewerkschaften, Grüne, Vorkämpfer für sexuelle Selbstbestimmung, Anti-Rassisten – den 8. März zum Kampftag für linke Politik.

Für sie ist die Forderung nach Gleichberechtigung ein Vehikel für ihren Kampf für eine andere Republik: ohne patriarchale Strukturen und eine an Profitmaximierung orientierte Gesellschaft. Geordert wird zudem die Abkehr von einer Ideologie, „nach der jede Person ihres eigenen Glückes Schmiedin sei“. Ziel ist ein Leben „ohne Angst, ohne Ausbeutung und Unterdrückung“. Wer wollte das nicht – von der herrschenden Klasse in Frauentag-Ländern wie beispielsweise Russland, Weißrussland, Nordkorea oder Kuba mal abgesehen.

Natürlich zählt auch der Klassiker „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zum Forderungskatalog. Da wird dann gern mit der „unbereinigten Lohnlücke“ von 18 Prozent zu Ungunsten der Frauen argumentiert. Dabei verdienen Arbeitnehmerinnen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Durchschnitt „unter der Voraussetzung vergleichbarer Tätigkeit und äquivalenter Qualifikation“ pro Stunde sechs Prozent weniger als Männer. Sechs Prozent sind auch sechs Prozent zu wenig – aber sechs Prozent sind halt nicht sexy. Über eine Differenz von sechs Prozent kann und muss man reden, aber für eine groß angelegte Skandalisierungskampagne ist sie zu klein.

Leitbild der berufstätigen Frau

Berlin feiert an diesem Dienstag die Frauen – auf den Spuren der DDR und im Geist vereint mit sozialistischen Schwesterländern; der Begriff Bruderländer passt hier wohl nicht. Dabei ging es der DDR und geht es dem rot-rot-grünen Senat vor allem um einen Typ Frau: die berufstätige Frau, in der DDR einst als Werktätige besungen. Frauen, die nichts zur Steigerung des Sozialprodukts beitragen, weil sie „nur“ Kinder erziehen oder „nur“ Alte in der Familie pflegen, werden nur am Rande erwähnt. Aus der Sicht feministischer, sozialistischer und gutmenschlicher Frauenversteher*innen entsprechen diese Frauen eben nicht dem Bild der modernen Frau.

So hatte einst die DDR-Führung gedacht, weil jede Frauenhand gebraucht wurde, um den kapitalistischen Westen bei der Produktion „einzuholen ohne zu überholen“. Dieselbe materialistische beziehungsweise kapitalistische Sichtweise prägte schon bisher den „Frauenkampftag“, den Gewerkschafterinnen, linke Politikerinnen und kampfbereite Feministinnen nach der Wende auch in der alten Bundesrepublik in kleinen Schritten etablierten. Dass Berlin aus einem Tag der großen Worte, schrillen Parolen und Halstüchern in Milka-Lila nunmehr einen arbeitsfreien Tag gemacht hat, wird Nachahmer finden. Denn nichts ist hierzulande populärer als zusätzliche bezahlte Freizeit. 

Die rot-rot-grünen Frauenbeglücker hatten freilich nicht bedacht, dass der neue, politisch überaus korrekte Feiertag zu neuer Diskriminierung von Frauen führt. In Unternehmen mit Betrieben oder Niederlassungen sowohl in Berlin als auch in anderen Bundesländern hat die Berliner Belegschaft an jedem 8. März frei, die Kolleginnen und Kollegen an Standorten in München oder Hamburg müssen dagegen arbeiten. Besonders deutlich wird dieses schreiende Unrecht in den Bundesministerien mit doppeltem Dienstsitz in Bonn und Berlin. In der ehemaligen Hauptstadt müssen Frauen und Männer am 8. März arbeiten, in der neuen Hauptstadt dagegen nicht. So ungerecht kann die Welt sein.

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