Internationale Pressestimmen zu Merkels Kandidatur - „Alternativlos allenfalls für die CDU“

Die internationale Presse sieht die Kanzlerin als einflussreichste Führerin in Europa. Gleichzeitig lasten die Kommentatoren ihr den Aufstieg der AfD an

Die niederländische „de Volkskrant" sieht Merkel als Königin von Europa, aber auch als böse Hexe / picture alliance
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Neue Zürcher Zeitung

„Merkel ist unentbehrlich, wird so suggeriert. Ihre vierte Kandidatur soll als ebenso natürliche Fügung erscheinen wie ihre durch die Bundestagswahl in zehn Monaten folgende Wiederwahl zur Kanzlerin. Bundeskanzlerin Alternativlos also, genau so, wie Merkel zu regieren pflegt. Diese Sichtweise ist ebenso unsinnig wie Merkels stete Behauptung während der Euro-Krise, die immer neuen Milliardenkredite an Griechenland seien alternativlos, wolle man ein „Scheitern Europas“ verhindern. Und sie ist genauso falsch wie Merkels Beharren während der Flüchtlingskrise im letzten Jahr, Hunderttausende von Migranten müssten unkontrolliert ins Land gelassen werden, da man die Grenze ohnehin nicht kontrollieren könne.

Alternativlos ist Angela Merkel allenfalls für die CDU, weil die Chefin talentierte Konkurrenten um den Parteivorsitz stets verhindert hat. Nach der Beruhigung der Flüchtlingskrise glaubt heute kaum jemand, dass die Union ohne Merkel bessere Wahlchancen hätte. Deshalb hat sich neben der CDU auch die CSU nach theatralischem Grollen hinter Merkel gestellt.“

de Volkskrant (Niederlande)

„Mit ihrer Kandidatur gibt Merkel in einer Zeit, in der das Vertrauen in die etablierte politische Ordnung gering ist, ein wichtiges Signal. Es ist eine Zeit, in der Politiker aus Eigennutz oder aus Risikovermeidung zu Alleingängen neigen. Merkel aber bleibt, auch wenn ihr Wahlsieg alles andere als sicher ist. (...) Angela Merkel ist zu diesem Zeitpunkt am besten geeignet, Europa auf dieser bizarren Weltbühne zu vertreten. Wegen ihrer Erfahrung und dem Respekt, den sie genießt, aber auch weil sie die widerborstige geopolitische Realität kennt und keine unrealistisch hohen Erwartungen nährt. (...)

Ja, Angela Merkel hat in den Krisen, mit denen Brüssel in den letzten Jahren zu kämpfen hatte, die Initiative ergriffen. In der Eurokrise, im Ukrainekonflikt und in der Flüchtlingskrise. Das hat sie sowohl zur Königin von Europa gemacht, aber auch zur bösen Hexe. Darüber hinaus sind alle drei „Lösungen“, die unter deutscher Führung zustande kamen, wacklig geblieben. Und im Falle des Flüchtlingsdeals mit Erdogan, auch höchst umstritten. Das wird Merkel anhaften und sie noch mehr zur Personifizierung der Glaubwürdigkeitskrise machen, in der sich die EU befindet."   

Der Standard (Österreich)

„Zum ersten Mal gibt es eine ernstzunehmende rechtspopulistische Opposition, nämlich die AfD. Diese dürfte sich über Merkels Entscheidung freuen, ist die Kanzlerin doch ihr Feindbild Nummer eins. (...) Nicht zu vergessen ist SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der packt es nicht, lautete lange das Urteil über ihn. Doch nun hat er mit der Nominierung von Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Kandidaten für die Präsidentenwahl gezeigt, dass er für Überraschungen gut ist.“ 

Washington Post (USA)

„In den Augen vieler hat der Sieg von Donald Trump Merkel vielleicht zur einflussreichsten Person im Westen gemacht, die kein Populist ist. Aber da sich Merkel im politischen Spektrum nach links gewendet hat, hat sie nach rechts einen Raum eröffnet. Die AfD würde vielleicht nicht existieren, hätte Merkel an den traditionelleren Werten ihrer Partei festgehalten.“

Wall Street Journal (USA)

„Während Frau Merkel wütende Wähler davon abhalten muss, sich an Populisten zu wenden, ist sie immer noch in einer besseren Position als die meisten anderen politischen Führer Europas, die hoffen, wiedergewählt zu werden. Der Wahlkampf dürfte in den kommenden Monaten den Druck auf die regierende Koalition in Deutschland erhöhen, weil CDU, CSU und SPD sich in zentralen Fragen kaum einig wurden, etwa wie Neuankömmlinge in das Land integriert werden sollten.“

Kommersant (Russland)

„Noch 2014 waren viele Medien in Deutschland überzeugt, dass Angela Merkel ihr Amt vorzeitig aufgibt. Aber dann sickerte durch, dass die Bundeskanzlerin eine erneute Kandidatur mit ihren Beratern bespricht. Offen war eigentlich nur, wann und wie sie diese Absicht erklären wird.

Nun hat Merkel die Chance, mit ihrem vierten Wahlsieg und einer vollen Amtszeit in einem Atemzug mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl genannt zu werden. Nach Ansicht von Politologen gehört es zu einem der Geheimnisse der langen Dienstzeit von Merkel, aussichtsreiche Konkurrenten zu beseitigen und dann zu fragen: Wer, wenn nicht ich?“

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