Integration - Darum ist der Einbürgerungstest für Flüchtlinge sinnlos

Ein bestandener Einbürgerungstest ist die Voraussetzung für die deutsche Staatsbürgerschaft. Neuerdings müssen ihn aber auch Teilnehmer von Integrationskursen absolvieren. Das geht völlig an deren Lebenswirklichkeit vorbei und offenbart eine verfehlte Integrationspolitik

Der Einbürgerungstest enthält Fragen, die auch viele Deutsche nicht beantworten können / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Ortlieb Fliedner ist Rechtsanwalt in Bonn und Autor des Buches „Warum soll ich wählen gehen? Wie funktioniert unsere Demokratie?“, sowie des Titels "Rechtsetzung in Deutschland Gesetzgebung in der Demokratie“. Er arbeitete lange Jahre im Bundesinnenministerium sowie in der SPD-Bundestagsfraktion und war erster hauptamtlicher Bürgermeister von Marl.

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Jahrzehntelang weigerten sich viele Politiker anzuerkennen, dass Deutschland zu den Einwanderungsländern in der Welt gehört. Gastarbeiter wurden ins Land gelockt. Aber was aus ihnen und ihren Familien wurde, wenn sie nicht in ihr Heimatland zurückkehrten, kümmerte nur Wenige. Mit Stimmungsmache gegen Ausländer konnte man sogar Wahlen gewinnen, wie Roland Koch einst in Hessen bereits anschaulich vorführte.

Erst vor wenigen Jahren, als die Probleme beispielsweise mit Parallelgesellschaften oder Stadtvierteln mit hohem Ausländeranteil nicht mehr zu übersehen waren, dämmerte es verantwortlichen Politikern, dass Integration in den meisten Fällen kein Selbstläufer, sondern die Förderung der Integration eine staatliche Aufgabe ist. Das erforderte aber staatliche Maßnahmen: Mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 wurde dies dann erstmalig gesetzlich anerkannt und festgeschrieben.

Fragenkatalog in der Kritik

Seit 2008 müssen nun Ausländer, die Deutsche werden wollen, einen Einbürgerungstest erfolgreich absolvieren. Der Test besteht aus 33 Fragen mit jeweils vier vorgegebenen Antworten, von denen nur eine richtig ist und angekreuzt werden muss. Die 33 Fragen werden aus einem 300 Fragen umfassenden allgemeinen Fragenkatalog und aus 10 Fragen, die sich auf jeweils eines der 16 Bundesländer beziehen, generiert. Bestanden ist der Test, wenn 17 richtige Antworten angekreuzt wurden.

Die anfängliche Kritik wegen etwa zu schwerer Fragen hat sich inzwischen gelegt, wohl vor allem deshalb, weil 98 Prozent der Teilnehmer den Test bestehen. Nach wie vor lässt sich aber über die Sinnhaftigkeit vieler Fragen streiten. Vieles ist schief formuliert oder begrifflich ungenau. Ein Beispiel: Bei welchem Amt muss man in Deutschland in der Regel seinen Hund anmelden? A) beim Finanzamt, B) beim Einwohnermeldeamt, C) bei der Kommune, D) beim Gesundheitsamt. Die Kommune, die man als richtige Antwort ankreuzen muss, ist aber kein Amt. Die Frage ist somit begrifflich falsch gestellt. Darüber hinaus ist die erste Antwort auch richtig, wenn man zum Beispiel in Berlin wohnt. Dort muss man nämlich seinen Hund tatsächlich beim Finanzamt anmelden.

Einbürgerungstest als Teil des Integrationskurses

Was hingegen bislang weitgehend unbekannt ist: Der Einbürgerungstest wurde nun auch für diejenigen verbindlich gemacht, die hierzulande lediglich einen Integrationskurs absolvieren müssen, etwa weil sie als Flüchtlinge kamen.

Das ist brisant, denn einbürgerungswillige Ausländer müssen in der Regel mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben, um überhaupt einen erfolgreichen Antrag auf Einbürgerung stellen zu können. Die Teilnehmer von Integrationskursen hingegen sind häufig gerade erst einige Monate oder vielleicht ein bis zwei Jahre in Deutschland. Dennoch sollen diese Menschen neben der wichtigen Sprache, eine Vielzahl detaillierter Fragen beantworten, was selbst vielen Deutschen nicht gelingen würde.

Zum Beispiel müssen Asylbewerber, die nach Ansicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eine gute Bleibeperspektive haben, weil sie aus Eritrea, dem Irak, dem Iran, Syrien oder Somalia stammen, den Integrationskurs absolvieren. Auch Ausländer, die zunächst eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten und noch nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, werden nach dem Aufenthaltsgesetz verpflichtet, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Die Dauer der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hängt dann davon ab, ob dieser Kurs und damit eben auch der Einbürgerungstest erfolgreich bestanden wurden.

Unangemessen und widersinnig

Hauptgegenstand des Integrationskurses ist es, die deutsche Sprache zu erlernen und mit dem Sprachniveau B 1 abzuschließen. Es geht also darum, sich sprachlich im Alltag zurecht finden können. Das ist wichtig und richtig. Aber warum von Leuten, die sich erst seit kurzem in Deutschland aufhalten und bei denen noch nicht mal klar ist, ob sie lange bleiben düfen, zusätzlich dasselbe Wissen verlangen, wie von denen, die tatsächlich deutsche Staatsbürger werden wollen? Das ist nicht nur unangemessen, sondern geradezu widersinnig. Die verantwortlichen Politiker haben damit gezeigt, dass sie sich in die Situation der Zugewanderten einfühlen und die staatliche Aufgabe, die Integration zu fördern, nicht wirklich ernst nehmen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Grundwerte, die in den Grundrechten des Grundgesetzes formuliert sind, gehören selbstverständlich zum Lehrstoff des Integrationskurses und sollten auch im Test abgefragt werden. Das gleiche gilt für die Fragen zur Nazidiktatur und den Verbrechen, die damals begangen wurden. 

Fragen zum Wahlrecht gehen an Lebenswirklichkeit vorbei

Es scheint allerdings abwegig, von einem Somalier oder Iraker, der erst kurze Zeit in Deutschland lebt, zu verlangen, dass er weiß, welche Besatzungszonen es nach dem Zweiten Weltkrieg gab, wann die Mauer gebaut wurde, was am 17. Juni 1953 geschah, welche Bundesländer früher zur DDR gehörten oder wer den Text der Nationalhymne verfasste. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen.

Eine völlige Überforderung für die Teilnehmer eines Integrationskurses ist es auch, die komplizierten Verhältnisse von Bundesregierung, Bundesrat, Koalitionen und Fraktionen zu kennen, zumal auch bei vielen Deutschen das Wissen hierüber nicht vorhanden ist. Die mangelnde Sensibilität der Integrationspolitiker wird in besonderem Maße deutlich, wo es um die Beteiligung an der Demokratie geht. Für Einbürgerungswillige sind diese Fragen sinnvoll und notwendig, da sie ja deutsche Staatsbürger werden sollen.

Aber von denjenigen, die sich gerade erst sprachlich im Alltag zurecht finden müssen und die darüber hinaus von jeglicher Teilhabe an demokratischer Willensbildung ausgeschlossen sind, zu verlangen, detailliert das deutsche Wahlrecht in Bund und Bundesländern zu kennen, ist schon fast pervers. Höhepunkt der Widersinnigkeit ist es, dass bei vier abgebildeten Wahlzetteln herausgefunden werden muss, welcher gültig ausgefüllt wurde.

Die neue Regierung ist in der Pflicht

Selbst die Fragen, die das Leben in Deutschland betreffen, sind für die meisten Teilnehmer der Integrationskurse noch irrelevant. Was man braucht, um ein Restaurant zu eröffnen, was man gegen einen falschen Steuerbescheid machen muss oder bei welchem Amt man einen Hund anmelden muss, betreffen Sachverhalte, die noch nicht zum Alltag der Betroffenen gehören. Ihre Alltagsfragen zur Wohnungs- und Jobsuche oder dem Familiennachzug werden dagegen in dem Fragenkatalog nicht abgebildet.

Mit der vollständigen Übernahme des Einbürgerungstests in den Integrationskurs haben Bürokraten und verantwortliche Politiker gezeigt, dass sie überhaupt kein Verständnis für die Situation der Betroffenen haben. Vernünftige Integrationspolitik hätte einen Fragenkatalog entwickeln müssen, der auf die Situation der Teilnehmer von Integrationskursen zugeschnitten ist. Die neue Bundesregierung und der neue Innenminister hätten hier eine wirklich sinnvolle Aufgabe.

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