Innere Sicherheit - Gestern verpönt, heute erwünscht

Der Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt hat eine Debatte über die Innere Sicherheit ausgelöst. Das Misstrauen gegenüber verschärften Maßnahmen ist groß. Doch der Blick zurück zeigt: Vieles, was früher tabu war, ist bereits selbstverständlich

Mahnmal der Überforderung der Politik: Betonsperren vor dem Berliner Breitscheidplatz / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Deutschland im Dezember 2016. Eine Überwachungskamera im U-Bahnhof Hermannstraße hatte aufgezeichnet, wie ein Mann eine Frau von hinten brutal ins Kreuz tritt, woraufhin die Frau die Treppen hinabstürzt, sich im Gesicht verletzt und den Arm bricht. Der Mann wird in einem Bus auf dem zentralen Berliner Busbahnhof von einem Mitreisenden aufgrund der Videobilder erkannt und noch im Bus von der Polizei in Handschellen gelegt.

Eine Videoaufzeichnung vor einem einschlägigen Berliner Moscheeverein zeigt den dringend Tatverdächtigen Anis Amri acht Stunden nach seiner Todesfahrt mit einem 40-Tonner durch einen Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Die Bilder sind für die Ermittler in Sachen Bewegungsprofil des Tatverdächtigen eine ganz wichtige Spur, der sie weiter nachgehen. Viele Sicherheitsexperten merken an, dass eine flächendeckendere Kamerabestückung öffentlicher Plätze wichtige Hinweise über den Tathergang und den Täter gegeben hätte, etwa auf dem Parkplatz, an dem der Attentäter den polnischen Fahrer überwältigt und sich dessen Sattelzugs bemächtigt hat.   

Angst vor Generalverdacht

Rückblende. Deutschland im Dezember 2003. Im Land tobt ein erbitterter Streit über die Einführung von Videokameras an öffentlichen Plätzen, U-Bahnhöfen zum Beispiel. Einem Ort, wie jenem vor der Berliner Gedächtniskirche. Es geht hoch her zur Jahreswende seinerzeit. Ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung notiert am 2. Januar 2004: „Die Videokameras, die alsbald an den deutschen Straßen installiert werden sollen, sehen alles. Sie sehen aber nicht die Heuchelei von Innenministern, die diese Kameras aufstellen lassen. Die Innenminister behaupten nämlich, es sei nur daran gedacht, gesuchte Verbrecher und gestohlene Autos aus dem Verkehr zu ziehen. Dagegen könnte in der Tat niemand etwas haben. Aber diese Behauptungen stimmen nicht. Sie sind nur der Köder, mit der nach der allgemeinen Zustimmung zu dieser Generalüberwachung geangelt wird.“ Die Ausweitung der Kameraüberwachung würde nur der einen neuen Sicherheitslogik folgen: „Jeder ist verdächtig.“

Videoüberwachung ist heute Normalität

Zu jener Zeit, also im Winter 2003/2004, war ich Korrespondent in Großbritannien, einem Land, das längst flächendeckend mit den dort so genannten CCTV- Kameras überzogen war. Just in jenen Wochen wurde eine grauenhafte Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau im idyllischen Südwesten mit Hilfe von Video-Footage aufgeklärt. Es gab Dutzende solcher Fahndungserfolge auf der Insel aufgrund von Videoüberwachung. Sie spielten zu meinem Erstaunen in der ideologisierten Debatte in Deutschland kaum eine Rolle. Die Dinger verhinderten kein Verbrechen, hieß es immer nur.

Zehn Jahre später. Kaum jemand würde mehr wagen, sich ernsthaft gegen Kameras in Deutschland auszusprechen. Sie sind integraler Bestandteil unseres öffentlichen Lebens. Und sie wirken. Sie liefern wichtiges Fahndungsmaterial bei Gewaltverbrechen und bei Terroranschlägen. Sowohl bei deren Vereitelung als auch bei deren Aufklärung.

Streit um DNA-Analyse

Aus diesem Vorher-Nachher-Muster bei der Videoüberwachung im Lichte von zehn Jahren sollte man Lehren ziehen für den nächsten Vorher-Nachher-Fall bei der Verbrechensbekämpfung und der Terrorabwehr. Das betrifft die DNA-Analyse. Im Mordfall der Freiburger Studentin Maria L., die erst vergewaltigt und dann in der Dreisam ertränkt wurde, führte die DNA eines Haares und Filmmaterial von Videoüberwachungen aus einer Straßenbahn zum dringend tatverdächtigen Hussein K.

Im Zuge dieses grauenhaften Falles erfuhr eine größere Öffentlichkeit, dass die DNA-Analyse nach geltendem Recht bei Weitem nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen darf, um gezielter nach dem möglichen Täter fahnden zu können. Distinguierende Merkmale wie Gesichtszüge, Haar und Augenfarbe dürfen keine Rolle spielen. Der Polizeipräsident von Freiburg plädierte dafür, falsche Vorbehalte gegen die Ausweitung der DNA-Analyse aufzugeben.

Der Rassismusvorwurf

Seinerzeit, bei der Videoüberwachung, wurde ins Feld geführt, es ginge in Wahrheit nicht um Kriminalitätsbekämpfung, sondern um Totalüberwachung einer Gesellschaft. Diesmal wird unterstellt, wer diese Merkmale mit Hilfe der DNA-Analyse ermittelt und für die Fahndung nutzt, um den Täterkreis einzuengen, schüre Rassismus.

Beide Argumente sind gleichermaßen absurd und diejenigen, die sie hochhalten, tragen zur Behinderung der Kriminalarbeit bei. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass es schwerer ist, Täter von einer Tat abzuhalten oder sie dieser zu überführen. Nicht nur nebenbei bemerkt: Rassistisch ist in diesem Fall derjenige, der den Rassismusvorwurf erhebt. Denn ebenso wie zu Hussein K. kann der nächste voll umfängliche DNA-Test in einem anderen Fall zu einem hellhäutigen Südbadener führen. Beides ist gleichermaßen wünschenswert.  

Tödlicher Trotz

Vorher-Nachher-Muster Nummer drei dieser Tage: Zu eben der Zeit, als Angela Merkel bekannt gab, einmal mehr zur Kanzlerin gewählt werden zu wollen, ging im Zuge dieser alle Aufmerksamkeit bindenden Neuigkeit eine Meldung etwas unter. Das US-Außenministerium riet seinen Bürgern aufgrund einer akuten Terrorgefahr dringend von Reisen nach Europa ab. Insbesondere warnte das Kerry-Ministerium vor dem Besuch deutscher Weihnachtsmärkte, deren Atmosphäre die Amerikaner ebenso lieben wie das Oktoberfest.

Hierzulande waren ähnliche Warnungen deutscher Behörden nicht zu vernehmen. Die Weihnachtsmärkte von Berlin blieben ungesichert, auch jener an der Gedächtniskirche, der sich auf einem breiten Mittelstreifen zwischen viel befahrenen Hauptstraßen befindet. Ein ideales Anschlagsziel für ein Attentat Marke Nizza.

Man könne solche Veranstaltungen ohnehin nicht voll umfänglich schützen, also fange man erst gar nicht damit an, so die dahinter stehende Logik. Außerdem gelte es, den Freiheitsgedanken zu leben.

Tödlicher Trotz, wie sich herausstellte. Nach dem Attentat wurden dann doch Betonsperren mit schwerem Gerät um die Weihnachtsmärkte aufgereiht. 

Wieso sind Betonquader nach einem Anschlag nützlicher als vorher? Wieso lässt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sie wie ein Mahnmal seiner Überforderung nachträglich auffahren?

Mit der Bitte um etwas Nachdenken über die Lehren aus dem Vorher-Nachher-Muster: Einen guten Rutsch und beste Wünsche für ein hoffentlich friedfertigeres Jahr 2017 allerseits.   

Anzeige