Impfstoff-Entwickler - Guter Ausländer, böser Ausländer

Linksliberale instrumentalisieren Özlem Türeci und Uğur Şahin, die beiden türkischstämmigen Entdecker des Corona-Impfstoffs, um Gegner der Einwanderungsgesellschaft mit Spott und Häme zu überziehen. Auf diesem Niveau aber sollte die Migrationsdebatte nicht geführt werden.

Impfstoff-Entdecker Uğur Şahin beim Unternehmen Biontech / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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In meiner Schulzeit an der schwäbischen Alb war eine der Schlüsselfragen: „Bisch Du für oder gegen Ausländer?“ Das Label „Der isch gegen Ausländer“ wollte kaum einer verpasst bekommen, das war toxisch. Also bemühten sich alle, „für Ausländer“ zu sein. Heute gibt es dafür den Begriff „virtue signalling“.

Ich konnte mich in dieser Dichotomie nie recht wiederfinden. Einer meiner besten Kumpel war Ognjen. Wir verbrachten zusammen Tage mit Fußball und Nächte mit Pokern, und bis heute bin ich auf den deutschen Staat sauer, dass er diese perfekt integrierte Flüchtligsfamilie aus Sarajevo Ende der 90er des Landes verwies. Aber ebenso missfielen mir die migrantischen Jugendlichen, die in der Fußgängerzone der Stadt eine Klassenkameradin in unserer Anwesenheit mal dazu aufforderten, „ihnen einen zu blasen“. Gemeinhin waren sie als Stresser oder „Lans“ bekannt. War ich nun für oder gegen Ausländer?

Das „Impfstoffwunder von Mainz“ 

Warum ich das erzähle? Ich fühle mich dieser Tage an diese unterkomplexe Dichotomie erinnert, wenn ich auf die linksliberale Reaktion aus Politik und Medien auf das „Impfstoffwunder von Mainz“ blicke.

Entdecker-Ehepaar Uğur Şahin und Özlem Türeci

Wenn der Impfstoff BNT162b2 hält, was er verspricht, dann haben das Ehepaar Uğur Şahin und Özlem Türeci sowie die anderen Forscher des Mainzer Unternehmens Biontech gemeinsam mit dem US-Pharma-Riesen Pfizer Großes geleistet: in einer unter normalen Umständen unvorstellbar kurzen Zeit einen Impfstoff zu entwickeln und ihn marktreif zu machen. Der vernünftige Teil der Menschheit wird es ihnen danken.

„Gruß an Thilo Sarrazin“

In den sozialen Netzwerken werden Şahin und Türeci von der linksliberalen Szene seitdem gefeiert – und im politischen Diskurs instrumentalisiert: Nils Minkmar vom Spiegel twittert ein Bild der beiden, begleitet von der lapidaren Bemerkung „Gruß an Thilo Sarrazin“. Haha, höhö, like, retweet. Niema Movassat, die im Bundestag für die Linke sitzt, schreibt: „Zwei Menschen mit Einwanderungsgeschichte retten vielleicht Millionen Menschenleben. Ihr glaubt nicht, wie froh ich bin, dass die AfD in diesem Land NIX zu sagen hat.“ Christian Bangel von Zeit Online witzelt: „Hoffentlich sagt das jemand Alexander Gauland, wenn er sich impfen lässt. Und allen anderen, die so gern von „fremden Kulturen“ faseln.“

Auch die CDU macht mit

Aber auch aus der FDP gibt es Äußerungen, die in ihrer Komplexität an das Niveau von Schülerzeitungen erinnern, in diesem Fall von Johannes Vogel, Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen: „Ginge es nach der AfD, gäbe es in Deutschland kein #BioNTech mit Özlem Türeci & Uğur Şahin an der Spitze.“ Schon mit Handlungsempfehlungen wartet dagegen der Berlin-Kreuzberger Özcan Mutlu auf, ehemals im Bundestag für die Grünen: „Besser ist, wir schieben Typen wie Gauland & Co ab! Danke liebe Özlem TÜRECi, lieber Ugur ŞAHİN" Und selbst die CDU ist sich nicht zu schade, das Thema auszuschlachten: „Die Entwicklung des Corona-Impfstoffes „Made in Germany“ ist ein gutes Signal. Özlem Türeci & Uğur Şahin stehen für ein offenes & modernes Deutschland, die transatlantischen Beziehungen und den gemeinsamen Kampf gegen Corona.“

Die meisten Wortmeldungen sind auf Sandkasten-Niveau: „Ätschi-Bätschi, ihr ganzen Sarrazins, AfDler und sonstigen Einwanderungsgegner, jetzt retten die Einwanderer unser und euer Leben.“ Abgesehen davon, dass selbst Sarrazin und die AfD Einwanderung nicht prinzipiell ablehnen – wer auf diesem Niveau argumentiert, muss sich nicht wundern, wenn die AfD beim nächsten Terroranschlag wieder schreibt: Sowas kommt von sowas. Oder: Danke, Merkel. Oder: Merkels Goldstücke!

Weitgehend unbeachtet dagegen blieb im allgemeinen Jubel ein Bericht der Berliner Zeitung, der zeitgleich mit dem „Impfstoffwunder von Mainz“ erschien. Darin wird erzählt, wie sich Tschetschenen und Mitglieder des berüchtigten Remmo-Clans in Berlin seit Tagen gegenseitig in aller Öffentlichkeit die Köpfe einschlagen. Die beiden Gruppierungen klären derzeit auf diese Weise offenbar vorliegende Revierstreitigkeiten im Drogenmilieu. In der rechten Filterblase der sozialen Netzwerke hieß es dazu erwartbar wieder „Hauptsache bunt“. Haha, höh, like, retweet.

Hat das eine etwas mit dem anderen zu tun?

Beide „Geschichten“ erzählen von Einwanderung. Im einen Fall die eines Mannes, der als Vierjähriger mit seinem Vater, einem Gastarbeiter, nach Deutschland eingewandert ist, der später die Bildungs- und Aufstiegschancen seiner neuen Heimat genutzt und eine glänzende Karriere als Wissenschaftler und Unternehmer hingelegt hat, die er jetzt womöglich mit einem der wichtigsten Forschungserfolge der letzten Jahre krönt. Einen mindestens so großen Anteil am Erfolg hat seine Frau, Tochter eines türkischen Arztes, der einst auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland gekommen war.

Die andere Geschichte vom Montag erzählt also von Einwanderern, denen Deutschland einst Zuflucht vor Verfolgung und Krieg bot, und die die Möglichkeiten ihrer neuen Heimat nun dazu nutzen, sich mithilfe von Drogengeschäften und sonstiger Kriminalität zu bereichern.

Zur Einwanderung gehören Glanzleistungen und Enttäuschungen 

Zum Komplex Einwanderung gehören religiöse und kulturelle Konflikte, islamistischer Terror, kulturelle Bereicherung, wissenschaftliche Glanzleistungen und menschliche Enttäuschungen. Es gehören auch die Lebensgeschichten von Menschen dazu, die hier angekommen sind und seitdem ein „ganz normales“ Leben führen. Der Lebensweg von Uğur Şahin und Özlem Türeci ist herausragend. Ihnen gebührt besonderer Respekt. Und ich wünsche mir, dass ihr Erfolg anderen ein Beispiel sein wird.

Aber wer glaubt, sie nun als letztgültigen Beweis dafür instrumentalisieren zu können, dass diejenigen falsch liegen, die fundierte Kritik an der reinen Lehre der Einwanderungsgesellschaft üben, der bewegt sich intellektuell auf einem ähnlichen Niveau wie die Primitivlinge auf der anderen Seite des politischen Spektrums. „Für Ausländer oder gegen Ausländer“ auf diesem Niveau sollte die Einwanderungsdebatte nicht geführt werden.

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