Horst Seehofer bei „Maischberger“ - In der Glaubwürdigkeitsfalle

Im Einzelinterview bei „Maischberger“ versuchte Horst Seehofer, seine Position im Asylstreit mit Angela Merkel zu bekräftigen und zugleich die Wogen zu glätten. Das aber war widersprüchlich und offenbarte, dass es jetzt vor allem um seine Glaubwürdigkeit geht

Sandra Maischberger durchbohrte Horst Seehofer mit energischen Nachfragen / ARD Mediathek Screenshot
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Die deutsche Nationalmannschaft ist in der Gruppenphase ausgeschieden, das Flüchtlingsschiff „Lifeline“ durfte nach Wochen auf dem Mittelmeer in einem Hafen anlegen und die Bundesregierung droht am Streit über die Asylpolitik zu zerbrechen. Am späten Abend eines Tages voller Spannungen stellte sich Innenminister Horst Seehofer gestern bei „Maischberger“ im Einzelinterview den Fragen der ARD-Moderatorin. Dabei war er sichtlich bemüht, seine Position im Asylstreit nicht um einen Zentimeter zu verrücken und zwischendurch aber auch versöhnlichere Töne einzustreuen und Einigungsbereitschaft zu signalisieren. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das auflösen“ und „es gibt niemanden in der CSU, der die Regierung gefährden will“, sagte der CSU-Chef.

Doch die Wogen in der hitzigen Debatte sind bei weitem nicht so glatt, wie er glauben machen wollte. Dessen war sich auch Sandra Maischberger bewusst, die – nach dem vorhersehbaren und wenig subtilen Übergang von der Nationalmannschaft zur Lage der Regierung – die Beschwichtigungsversuche des Innenministers nicht auf sich beruhen ließ und immer wieder energisch nachhakte, bohrte, auch mal sarkastisch wurde und Seehofer mit Verweisen auf Widersprüche in Verlegenheit brachte. Eine solche Bissigkeit hätte man sich in der Vergangenheit auch öfter in den Interviews etwa von Anne Will mit der Kanzlerin gewünscht.

Den Rechtsstaat nicht aufgeben

Maischberger setzte an: Die Kanzlerin habe bereits so viele seiner Forderungen umgesetzt. Warum breche er wegen dieses einen Punktes nun einen Streit vom Zaun, der eine Regierung beenden könne. Seehofer will bestimmte Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen und hat Merkel so unter Druck gesetzt, dass diese sich nur mit einer Zweiwochenfrist retten konnte. Beim heute beginnenden EU-Gipfel mit den EU-Partnern muss sie nun bis Sonntag eine „wirkungsgleiche“ europäische Lösung mit bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen finden.

Ansonsten droht Seehofer mit dem nationalen Alleingang und würde auch gegen den Willen der Kanzlerin agieren. Dabei handelt es sich um zwei Gruppen von Flüchtlingen: Diejenigen, die schon abgeschoben worden sind und ein Rückreiseverbot haben. Und diejenigen, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben. Fälle, in denen Flüchtlinge ohne Papiere an der Grenze erschienen und Asyl beantragen konnten, obwohl sie dies bereits in einem anderen Land getan haben, zeugten von der Aufgabe des Rechtsstaates, kritisierte Seehofer. Mit anlassbezogenen, sogenannten intelligenten Grenzkontrollen der Bundespolizei will der Innenminister eine präventive Signalwirkung erreichen.

Das Problem sei aber, wendete Maischberger ein, dass Länder wie Italien und Griechenland, die von Europa weitgehend alleingelassen wurden, als Reaktion auf Seehofers Alleingang ebenfalls den nationalen Alleingang wählen könnten und – wie es schon einmal passiert ist – angekommene Flüchtlinge wieder unregistriert durchschicken. Am Ende könnte Deutschland dadurch noch mehr Flüchtlinge haben als vorher. Das Problem sehe er nicht, entgegnete Seehofer und verwies auf die Signalwirkung, die strengere Grenzkontrollen auf flüchtende Menschen haben würden.

Eine Hürde, über die Merkel nicht springen kann?

Auf seine Zurückhaltung im Fall des „Lifeline“-Flüchtlingsschiffs angesprochen plädierte Seehofer einmal mehr für Schutzzonen in Nordafrika, in die Flüchtlingsschiffe zurückgeführt und wo die Flüchtlinge registriert und versorgt werden können. „Das wäre europäisches Regelwerk“, sagte Seehofer.

Maischberger: „Der EU-Gipfel ist aber schon morgen. Eine solche Lösung kann es nicht in zwei Tagen geben.“

Seehofer: „Es kann Fortschritte geben.“

Maischberger: „Was ist wirkungsgleich?“

Seehofer: „Wirkungsgleich ist, wenn Rechtsstaatlichkeit gegeben ist.“

Maischberger: „Sie haben eine Hürde aufgebaut, über die Merkel nicht springen kann.“

Seehofer: „Glaube ich nicht.“

Maischberger: „Merkel hat doch schon gesagt, dass das so schnell nicht gelingen kann und das Scheitern bereits eingestanden.“

Seehofer: „Wir müssen Schritt für Schritt sehen. Warten wir ab.“

Maischberger: „Sind Sie sicher, dass Sie mit dieser Kanzlerin noch arbeiten können?“

Seehofer: „Ja.“

„Ich habe nicht das Empfinden, dass wir uns nicht mögen“    

Wie viel persönliche Antipathie steckt hinter dem politischen Streit, lautete die Frage nach einem Einspieler über das Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer, samt Ausschnitten der Demütigung auf dem CSU-Parteitag. „Ich habe nicht das Empfinden, dass wir uns nicht mögen“, sagte Seehofer. Sie hätten auch herzliche und humorvolle Momente miteinander erlebt, zudem lobte er Merkels Verhandlungsfähigkeiten. Die angebliche Antipathie sei eine mediale Überspitzung.

„Hätten Sie sich gewünscht, dass Merkel einmal sagt: Sie haben recht?“, fragte Maischberger. Das sei tatsächlich bereits vorgekommen, nur eben nicht in aller Öffentlichkeit, sagte Seehofer. Maischberger Nachfrage, ob er sich nicht ein öffentliches Eingeständnis gewünscht hätte, negierte der Innenminister. Er sei also frei von Eitelkeit und Kränkbarkeit, bemerkte Maischberger schnippisch. Kränkungen gab es dennoch, und diese konnte er nicht verbergen: Seehofer kritisierte erneut die Drohung der Kanzlerin, die Richtlinienkompetenz einzusetzen. Er habe das nur aus der Presse erfahren. Das sei „emotional ein schwieriger Moment“ für ihn gewesen.

Trotzdem wünsche er sich und auch Merkel, dass sie eine europäische Lösung findet. In dem Fall hätte sich die Drohung des nationalen Alleingangs für ihn erledigt. Gleichzeitig betonte er, dass es in der Politik Situationen gibt, in denen „die Überzeugung wichtiger als das Amt“ ist. Außerdem sitze er in der Glaubwürdigkeitsfalle: „Wenn ich jetzt in Berlin sitze und nicht befolge, was ich der Bevölkerung versprochen habe, dann habe ich ein Glaubwürdigkeitsproblem.“ Die CSU wolle der Bevölkerung in der Migrationspolitik endlich glaubhaft sagen können: „Wir haben diese Sache jetzt im Griff.“

Seehofer in der Zwickmühle

Die Vorwürfe, einen Rechtsruck voranbringen zu wollen und die offene Eskalation anzupeilen, wies Seehofer erwartungsgemäß zurück. Wobei seine versöhnlichen Töne in Widerspruch zu seinen Äußerungen aus den vergangenen Wochen stehen, die in einem weiteren Einspieler eingeblendet wurden. Zum Beispiel: „Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden.“ Auf Maischbergers Frage, ob die Regierung nächste Woche noch steht, reagierte Seehofer wie so oft an diesem Abend ausweichend: „Ich kann es Ihnen nicht garantieren, aber der feste Wille ist da.“

Seine Ausweichmanöver und Versuche, Glaubwürdigkeit zu gewinnen und gleichzeitig die Vorwürfe der Eskalation zu besänftigen, zeugen von der Zwickmühle, in die sich Seehofer durch das taktisch unkluge Ultimatum manövriert hat. Erzielt Merkel auf dem EU-Gipfel wie erwartet keine konkreten Ergebnisse, muss er seine Ankündigungen tatsächlich umsetzen, wenn er seine Glaubwürdigkeit nicht endgültig verlieren will – und die offene Konfrontation in Kauf nehmen. Dann könnte er jedoch sein Amt verlieren und die Folgen eines Koalitionsbruches sind unabsehbar – auch hinsichtlich des CSU-Wahlergebnisses in Bayern. Gibt er sich mit halben Ergebnissen Merkels zufrieden, verlieren er und seine CSU Glaubwürdigkeit mit ebenfalls ungewissem Ausgang bei der Bayernwahl.

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