Heiner Geißler - Mehr als ein Querdenker

Heiner Geißler ist tot. Der langjährige CDU-Generalsekretär und Bundesminister galt als Meister scharfer Worte und kritisierte Helmut Kohl. Doch Geißler war nicht nur Provokateur, sondern auch Schlichter, kluger Kopf und Kämpfer für Merkels Flüchtlingspolitik. Ein Nachruf

Heiner Geißler konnte sich wortgewandt ausdrücken und war häufig Gast in politischen Fernsehsendungen / picture alliance
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Autoreninfo

Jürgen Merschmeier war von 1985 bis 1989 Sprecher der CDU Deutschlands und Leiter der Pressestelle der CDU-Bundesgeschäftsstelle. Er ist Gastmitglied der Bundespressekonferenz e.V und Mitglied des Beirats der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung e.V. 

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Er war, als ich 1985 meinen Posten als Sprecher der CDU antrat, nicht nur für Willy Brandt und für viele in der deutschen Öffentlichkeit „der schlimmste Hetzer seit Goebbels“. Vier Jahre später beim berühmt-berüchtigten Bremer Parteitag verlor Heiner Geißler sein Amt als CDU-Generalsekretär, weil der Parteivorsitzende Helmut Kohl ihn nicht erneut für diese Aufgabe vorgeschlagen hatte. Da verließ – so das veränderte Meinungsbild in den Medien – ein aufgeschlossener, perspektivreicher, nachdenklicher Querdenker die erste Reihe der Politik. Aus einstigen Gegnern waren durch intensiven Meinungsaustausch und gegenseitigen Respekt Freunde geworden, zum Beispiel der SPD-Vordenker Peter Glotz. 

Die Sprache war seine Waffe

Was war geschehen? Heiner Geißler sagte mir einmal, als wir über seine „Wandlung“ sprachen: „Ich habe in vielen Gesprächen mit meinen Söhnen Dominik, Michael und Nikolay, die gerade mit ihrem Studium beginnen und die ihre Kommilitonen und die ersten Freundinnen nach Hause mitbringen, erfahren, dass die jungen Leute anders ticken als wir Alten. Wir müssen sie ernst nehmen und unsere Politik und vor allem auch unsere Sprache so ausrichten, dass sie uns hören und ernst nehmen.“

Die Sprache war seine Waffe. Er liebte es, mit Worten zu kämpfen und zu überzeugen. Und er mischte sich ein: in die Politik, in die katholische Kirche, der er sich sein Leben lang in kritischer Zuneigung verbunden fühlte. Aber auch in gesellschaftliche Diskussionen, wie den Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21, bei dem er als Schlichter zum gewaltfreien Diskurs beitrug, in Debatten um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, die ihn sogar zum Mitglied von Attac werden ließen – ein Schritt, der bei vielen seiner Freunde auf Unverständnis stieß. Der Kapitalismus war für ihn ebenso wenig eine Lösung wie der Kommunismus.  Er plädierte für eine weltweite ökologische und soziale Marktwirtschaft. 

Seine Loyalität gehörte der Partei

Er ging keinem Streit aus dem Weg, und er wehrte sich zeitlebens gegen jene, welche die Politik als einen „Gesangverein Harmonie“ betrachten und als eine Gruppe von Menschen mit gleichen Gedanken: „Wo alle dasselbe denken, wird ohnehin nur wenig gedacht.“

In diesem Denkansatz lag auch der tiefe Grund seines Zerwürfnisses mit Helmut Kohl, der ihn in den siebziger Jahren zu seinen engen politischen und persönlichen Freunden zählte. Er wollte anders als Kohl die Partei als Vordenker und Ideengeber profilieren, und er sah sich als „Generalsekretär der Partei, nicht der Regierung“. 

Seine Loyalität gehörte der Partei und nicht den Mächtigen. Überhaupt die Macht – sie war ihm suspekt, ob in der Politik, in der Wirtschaft, in der katholischen  Kirche. Er fühlte sich dem Papst Franziskus näher als dessen Vorgängern Johannes Paul II. oder Benedikt XVI., und er verpflichtete sich dem christlichen Menschenbild, den armen und unterdrückten  Menschen überall auf der Welt, den Menschenrechten. Auch gegen Ungerechtigkeiten setzte er sich ein, für die Gleichberechtigung der Frauen, gegen Rassismus, gegen die Diskriminierung von Homosexuellen. 

Der Mensch im Mittelpunkt

Er war wortmächtig, und er hatte etwas zu sagen. Auch deshalb war er gern gesehener Gast in vielen politischen Fernsehsendungen und ein unermüdlicher Autor. Er wusste, dass man sich auf mediale Auftritte vorbereiten muss. Ich erinnere mich oft stundenlanger, meist nächtlicher Sitzungen auf der Suche nach zündenden Formulierungen.

Im Mittelpunkt seines Denkens, seines Redens und seines Handelns stand der Mensch. Er war ein Reformer: Als Sozialminister in Rheinland-Pfalz schuf er die Sozialstationen, er prägte das Wort von der „neuen sozialen Frage“, die es zu lösen gelte, er unterstützte die Ausländerpolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Alles getreu seiner Devise, das jeder Mensch ein Ebenbild Gottes sei, „egal ob er Mann oder Frau, Deutscher oder Ausländer, gesund, krank oder behindert, weiß oder schwarz“ sei. 

Viele seiner Ideen entstanden, wenn er lief. Laufen war für ihn mehr als reines Joggen. Es war für ihn Training für das Bergsteigen, seine große Leidenschaft. Bergsteigen war für ihn gleichzeitig auch das Einüben sozialer Kompetenz: man muss sich aufeinander verlassen können, man muss aufmerksam auf das Wetter achten und  – im Ernstfall – auch bereit sein, umzukehren.

Der Kämpfer

Er hat sich nie entmutigen lassen, auch nicht, als er beim Gleitschirmfliegen abstürzte und monatelang zwischen Leben und Tod in der Klinik lag. Die Zeit im Krankenhaus und die Genesung in seiner geliebten pfälzischen Heimat, in Gleisweiler, wo er einen eigenen Weinberg besaß, nutze er, um mit den Journalisten Gunter Hofmann und Werner Perger ein Gesprächsbuch zu verfassen.

In einer Widmung in diesem Buch schrieb er, dass es für seine Freunde „relativ leicht verdauliche Kost“ sei und schloss mit den Worten: „Anderen aber wird das Buch etwas mehr im Magen liegen.“ 

Heiner Geißler war viel mehr als ein Quer-Denker. Er war ein Denker, der seine Partei geprägt hat und der ihr fehlen wird. Er hat sich um seine Partei und um ein gerechtes, solidarisches und menschliches Deutschland verdient gemacht. 
 

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