„Hart aber fair“ zu Kriminalität bei Flüchtlingen - Ohne Flüchtlinge über Flüchtlinge reden

Zuwanderer sind überproportional kriminell. Wie können wir den Integrationsdefiziten entgegenwirken? Allein die Wahl des Themas von „Hart aber fair“ sorgte im Voraus für scharfe Kritik. Die Diskussion in der Sendung blieb aber weitestgehend fruchtlos

CSU-Mann Markus Blume (links) und Annalena Baerbock von den Grünen (rechts) kriegten sich in die Haare / Screenshot ARD-Mediathek
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Die Zahlen: Laut des vom Bundeskriminalamt jüngst veröffentlichten Lagebilds zur „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ für die Jahre 2015 bis 2017 sind Zuwanderer überproportional oft straffällig. Zwar ist die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer 2017 um vier Prozent gesunken, doch sind sie bei Sexualdelikten (12 Prozent) sowie Mord, Totschlag und fahrlässiger Tötung (15 Prozent) besonders auffällig.

Grund genug also für eine ausgiebige Debatte, möchte man meinen, doch zunächst sorgte allein die Ankündigung der „Hart aber fair“-Redaktion zum Thema „Flüchtlinge und Kriminalität“ am Montagvormittag schon für eine lautstarke Meta-Diskussion. „Junge Männer, geflohen aus Krieg und archaischen Gesellschaften“, hieß es im Trailer der Sendung: „Können solche Flüchtlinge überhaupt integriert werden? Wie unsicher wird Deutschland dadurch?“

Rechtspopulismus-Vorwürfe gegen Plasbergs Team

Dieses „Framing“ – so lautet der Fachbegriff aus der Kommunikationswissenschaft – hofiere rechte Diskurse, beschwerten sich Kritiker. Die plakative Ankündigung sei „AfD-Sprech“, das Thema gar ein „AfD-Thema“ und Plasbergs Team streue eine „Saat von Verunsicherung, Ablehnung und Angst“, hieß es in den sozialen Netzwerken, da „der“ Flüchtling per se als Bedrohung dargestellt werde. „Vielleicht wäre es ja gut, wenn sich „Hart aber fair“ mal wieder mit der Realität, der Wahrnehmung von 85 Prozent der Menschen im Lande beschäftigt“, bemängelte der Grünen-Politiker Jürgen Frömmrich.

Wer ein Thema, das offensichtlich etlichen Bürgern unter den Nägeln brennt, a priori zum „AfD-Thema“ erklärt, muss sich nicht wundern, wenn ebendiese Partei in den Umfragezahlen weiter steigt. Bezüglich der Zweifel an der Wirkung (abgesehen von den Quoten) einer x-ten „Hart-aber-fair“-Diskussion zu dem Thema ist den Kritikern jedoch zuzustimmen, denn die Sendung war wieder einmal nur das Abbild einer insgesamt hitzigen Diskussionskultur, in der sich verhärtete Fronten anpöbeln und vor allem ihren Standpunkt markieren wollen.

Junge Männer sind meistens die Täter

Eingeladen waren der CSU-Generalsekretär Markus Blume, der Migrationsforscher Ruud Koopmans, die Fernsehmoderatorin Isabel Schayani, die Grünen-Chefin Annalena Baerbock und der BKA-Chef Holger Münch.

Münch in der Rolle des nüchternen Statistik-Erklärers legte die allgemein bekannten Begründungen für die hohen Zahlen bei Gewalttaten vor: Unter den Flüchtlingen seien viele Männer, vor allem junge – eine Gruppe, die bei Gewalttaten generell überproportional vertreten ist. Zudem spiele die Bleibe-Perspektive eine zentrale Rolle: Die Kriminalitätsrate unter Syrern und Afghanen, die oft gute Chancen auf ein Bleiberecht hätten, sei geringer als unter Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten, die in Deutschland meist schlechte Aussichten hätten.

Migrationsforscher Ruud Koopmans zog daraus die Schlussfolgerung, dass die Zuwanderung besser gesteuert werden müsse und mehr Familien und Kinder statt alleinreisende Männer ins Land gelassen werden sollten. CSU-Generalsekretär Blume, mit Koopmans meist auf einer Linie, wiederholte routiniert die Standard-Forderungen seiner Partei nach konsequenteren Abschiebungen, sicheren Herkunftsländern und einem starken Rechtstaat, um nicht die Akzeptanz der Bevölkerung zu verlieren. Gewährleistet werden solle dieser auch durch die von der CSU geforderten Ankerzentren. Die würden eine schnellere Bearbeitung von Asyl-Anträgen und zügige Abschiebungen ermöglichen. Damit wolle man auch Klagen gegen die Asylbescheide verhindern, die die Justiz belasteten und von denen ohnehin nur 12 Prozent gewonnen würden.

Blume und Baerbock bewarfen sich mit Vorwürfen

Blumes Ausführungen fanden wenig Anklang bei Annalena Baerbock, die aus ihrem Genervt-Sein keinen Hehl machte. Sie bewarf den CSU-Mann mit den üblichen Grünen-Unterstellungen: Die CSU pauschalisiere alle Flüchtlinge zu Straftätern, deren Abschiebe-Politik und die geforderten Ankerzenten seien inhuman. Blume antworte mit den üblichen CSU-Vorwürfen, die Grünen seien zu naiv und ignorierten die Aushebelung des Rechtsstaats durch Parallelgesellschaften. Unterhaltsam mag die Keiferei zwischen den beiden für manch einen gewesen sein, ergiebig war sie nicht.

Auf das Thema der falschen Altersangaben angesprochen, wich Baerbock aus. BKA-Chef Münch sprach sich für die umstrittenen medizinischen Altersprüfungen aus. Das rechtliche Instrumentarium sei vorhanden, die Röntgentests würden ja nur eingesetzt, wenn Gründe bestünden, das angegebene Alter zu bezweifeln. „Ein System, das leicht missbraucht werden kann, wird auch missbraucht“, so Münch. Baerbock beantwortete auch Plasbergs Frage nicht, ob die Tests berechtigt seien, aus und merkte nur an, man dürfe nicht pauschalisieren und denken, man müsse alle Flüchtlinge Röntgen-Tests unterziehen. Auch sonst blieb Baerbock leider meist im Ungefähren und fiel eher durch Phrasen auf: „Integration fällt nicht vom Himmel“, „Entscheidend ist, von Anfang an auf Integration zu setzen“, und „Man darf nicht pauschalisieren, das sind alles ganz unterschiedliche Menschen“.

Gerade mit letzterem Punkt hat sie sicherlich Recht, doch wurde dieser von Isabel Schayani besser auf den Punkt gebracht. „Wir führen die Debatte viel zu defizitorientiert“, beklagte die Journalistin. Man rede ständig über Flüchtlinge, aber selten mit ihnen: „Hier sitzen keine Flüchtlinge. Wir können doch nicht sagen, wenn wir genug Talkshows haben, dann gehen die wieder“, sagte sie mit einem Seitenhieb auf Plasberg.

Dokumentation über zwei Straffälle

In der vor der Sendung gezeigten Dokumentation „Das Mädchen und der Flüchtling“ war das noch anders. Sie ging auf zwei Fälle in Darmstadt und Kandel ein. Dort hatten zwei jugendliche Flüchtlinge junge Mädchen mit Messern angegriffen.

Die Reporter sprachen unter anderem im afghanischen Heimatdorf des Täters aus Kandel, Abdul D., mit dessen Bekannten („Wenn eine Frau ihren Mann verlässt, muss sie gesteinigt werden“), aber auch mit Demonstranten beider Seiten in Kandel, Sozialarbeitern und den Mitbewohnern der Täter. Diese reden über ihre Kulturschocks – einer berichtet, wie schockierend für ihn anfangs der Anblick schwuler Männer in Deutschland gewesen sei, die in der Öffentlichkeit Händchen haltend herumlaufen. Inzwischen sei dies für ihn aber normal. Plasberg sah darin eine „Überanpassung“ nach so kurzer Zeit, wobei seine Vermutung dünn belegt schien.

Ebenfalls aufschlussreich war der Einblick in das Projekt „Heroes“, das Gewaltprävention bei jungen Männern mit Migrationshintergrund leistet und diese durch das Nachspielen von Alltagssituationen ohne moralische Belehrungen zum Nachdenken anregen will. Der Sozialarbeiter Asmen Ilhan von diesem Projekt war ebenfalls zum kurzen Einzelgespräch bei Plasberg geladen, wo er einmal mehr die Unterschiede der Reaktionen unter den Jugendlichen betonte. Es gäbe viele Flüchtlinge, die sich freiheitlich äußern, so mancher in Deutschland geborener Neuköllner mit Migrationshintergrund sei da deutlich konservativer.

Letztendlich fruchtlose Diskussion

Ruud Koopmann sieht das als Bestätigung dafür, dass die Länge einer  Generation für die Integration nicht ausreicht. Er berichtete von seinen Reisen durch Afghanistan und dem in der Dokumenation gezeigten archaischem Frauenbild, das laut Koopmann in zwei Dritteln der muslimischen Ländern vorherrsche. Isabel Schayani störte sich an diesem Negativbild und äußerte ihre Befürchtungen, dass Deutschland die Fehler im Umgang mit den Gastarbeitern aus den sechziger Jahren wiederholt und nur in „die“ und „wir“ denkt: „Die Frage müsse lauten: Wie schaffen wir, dass es klappt? Und nicht: Wie kriegen wir die wieder raus?“

Fazit: Auch nach der Sendung wurden die Rechtspopulismus-Vorwürfe gegen Plasbergs Sendung wieder laut, vor allem gegen Ruud Koopmans, der in der Rolle des Hardliners auftrat. Vorzuwerfen ist der „Hart aber fair“-Redaktion jedoch nicht, dass sie das Thema aufgegriffen hat, sondern dass die Diskussion so fruchtlos blieb. Die Wiederholung altbekannter Frontlinien beschert dem Sender vielleicht gute Quoten, manchen Zuschauern womöglich auch eine Bestätigung der eigenen Sicht. Der allgemeinen Erkenntnis hingegen beschert sie wenig.

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