Hamed Abdel-Samad zu Islamkonferenz und Terror - „Niemand hat die Islamisten mehr hofiert als die Grünen“

Um Muslime zu integrieren, hat der Bundesinnenminister 2006 die Islam-Konferenz ins Leben gerufen. Mit Hamed Abdel-Samad hat sie jetzt einer ihrer bekanntesten Vertreter verlassen. Im Interview erklärt er, warum er ihre Arbeit für gescheitert hält und was das mit dem islamistischen Terror zu tun hat.

Keine Lust mehr, vom Innenministerium als „PR-Gag“ benutzt zu werden: Hamed Abdel-Samad / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Hamed Abdel-Samad ist Politikwissenschaftler, Autor und einer der bekanntesten Islam-Kritiker. Weil Dschihadisten und Salafisten zum Mord an ihm aufriefen, bekommt er seit 2014 Polizeischutz. Gerade hat er auf Facebook verkündet, dass er die derzeit stattfindende Islamkonferenz aus Protest gegen die Regierung verlassen hat. 

Herr Abdel-Samad, In Berlin-Spandau hat jetzt ein elfjähriger Schüler seiner Lehrerin mit Enthauptung gedroht. Welchen Anteil haben von der Türkei gesteuerte Moscheen daran, dass sich das Klima mittlerweile so weit aufgeheizt hat? 
Die haben einen großen Anteil daran. Die meisten Moscheen in Deutschland predigen einen rückständigen Islam. Ich sage nicht, dass sie zum Dschihad oder zum Kampf aufrufen. Aber es gibt eine Vorstufe dazu. Wenn ich Kindern in der Moschee beibringe, dass sie Angst vor der Hölle haben müssen und die deutsche Gesellschaft unmoralisch ist, weil Männer und Frauen Sex vor der Ehe haben dürfen, ist das die erste und gefährlichste Stufe für Radikalisierung. 

Was macht das mit Kindern?
Es treibt sie in die innere Emigration. Irgendwann tauchen gefährliche Organisationen wie Al Quaida oder der IS auf und fischen sie aus diesem Pool. Aber diesen Pool haben die Moscheen geschaffen, indem sie eine Angststimmung unter Kindern verbreiten

Sie haben gerade Ihren Austritt aus der Islamkonferenz verkündet, die genau solche Themen verhandelt. Gastgeber ist der Bundesinnenminister. Hat sich Horst Seehofer schon bei Ihnen gemeldet? 
Nein, weder Horst Seehofer noch irgendjemand von der Islamkonferenz. 

Was schließen Sie daraus?
Wahrscheinlich sind sie ganz froh, dass sie mich los sind. Sie hatten die kritischen Stimmen ja sowieso nur eingeladen zur Zierde, um der Öffentlichkeit vorzutäuschen, dass diese Konferenz von allen Stimmen getragen wird. Aber das ist eigentlich eine Mogelpackung. 

Warum?
In der Diskussion durften wir zwar unsere Einwände, unsere Vorschläge und unsere Kritik unterbringen, aber Entscheidungen wurden hinter verschlossenen Türen getroffen – und das auch nur im Interesse der Verbände. Wir waren daran nicht beteiligt. Und ich glaube, ich spreche für alle kritischen Stimmen. Irgendwann hatte ich die Nase voll davon. Ich hatte keine Lust mehr, als PR-Gag vom Innenministerium benutzt zu werden.   

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Der Gipfel wird von den jüngsten Terroranschlägen überschattet. Seehofer stellt die Ausbildung der Imame in den Vordergrund, um einer Radikalisierung von Muslimen vorzubeugen. Diese sollen künftig an deutschen Universitäten ausgebildet werden und ihre Schüler auch mit dem Grundgesetz und deutschen Werten vertraut machen. Was ist daran auszusetzen? 
Ich war ja am Anfang dafür, dass Imame an deutschen Universitäten ausgebildet werden. Das Ding ist, der deutsche Staat hat schon Millionen Euro in den Aufbau theologischer Fakultäten in Münster, Osnabrück, in Tübingen und anderen Städten investiert. Aber als die ersten Absolventen fertig waren, wurden sie in die Arbeitslosigkeit geschickt.  

Warum?
Weil es die Islamverbände abgelehnt haben, Absolventen deutscher Universitäten einzustellen. Der Chef des Ditib-Verbands hat bei der Islamkonferenz 2018 wörtlich gesagt: „Wir können diese Imame nicht einstellen, weil die unseren Standards nicht entsprechen.“ Und was sind das für Standards? Sie müssen Erdogan huldigen und den Nationalismus mittragen. 

Aber wenn die Bundesregierung schon viel Geld für diese theologischen Fakultäten verpulvert hat, warum wird jetzt in Osnabrück noch eine neue Ausbildungsstätte für Imame gebaut?
Gute Frage. Wenn diese Verbände den deutschen Standards vertrauen würden, hätten wir die nicht gebraucht. Aber die Verbände vertrauen dem Staat nicht. Deshalb hat man sich für diese Mogelpackung entschieden. Die Verbände schicken ihre eigenen Imame nach Osnabrück, wo sie ein paar Kurse machen. 

Die Verbände haben den Innenminister vorgeführt?
Genau, spätestens, als der Ditib-Chef gesagt hat, die an den Unis ausgebildeten Imame entsprächen nicht seinen Vorstellungen, hätte er sagen müssen: Nein, Ditib muss sich an unsere Imame anpassen. Genau das ist aber schon seit Jahren das Problem: Die Islam-Verbände passen sich nicht an uns an, sondern wir uns an sie. Sie machen, was sie wollen. Sie verkleiden sogar Kinder als Märtyrer in den Moscheen. Und es hat keine Konsequenzen. 

Eines der Ziele der Islamkonferenz war die Integration der in Deutschland lebenden Muslime. Was bedeutet das für die Integration der Gläubigen, wenn die Moscheen weiterhin ihre eigenen Imame ausbilden?
Sie sind gar nicht an Integration interessiert. Sie sind der verlängerte Arm von Erdogan – oder von der muslimischen Bruderschaft. Erdogan benutzt sie als Druckmittel, um Deutschland zu erpressen.

Sie gelten als Vertreter eines säkularen Islam. Wenn Sie die Islamkonferenz verlassen, geht ihr dann nicht ein wichtiges Korrektiv verloren, das sie jetzt dringender denn je braucht? 
Ja, aber ich mache das jetzt seit zehn Jahren. Ehrenamtlich. Ich habe viel Zeit und Mühe in diese Konferenz investiert. Aber am Ende wurden die Entscheidungen ohne mich getroffen. Das Spiel mache ich nicht mehr mit. 

Was glauben Sie denn, wie sich Muslime in Deutschland leichter integrieren lassen?
Ich habe die Themen Radikalisierung und Antisemitismus junger Muslime und Gleichberechtigung von Mann und Frau auf den Tisch gebracht. 

Und?
Die Islamverbände haben alle drei Themen abgelehnt. Sie wollten darüber nicht diskutieren. Radikalismus habe mit dem Islam nichts zu tun, haben sie gesagt. Antisemitismus sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. Und der Islam sei auch gut zu Frauen. Ende der Geschichte. Auch als wir Workshops dazu machen wollten, fielen sie weg. Es blieben die drei Themen, die Geld bringen: Imam-Ausbildung, Islam-Unterricht und muslimische Seelsorge beziehungsweise muslimische Wohlfahrt. Für alles gibt es staatliche Fördergelder. 

Wieviel Geld lässt sich der Staat das kosten?
Hunderte von Millionen Euro. Genau weiß das aber keiner. Ich habe in der Islamkonferenz dafür plädiert, dass wir nach so vielen Jahren eine Bilanz ziehen müssen, wieviel Geld für welche Projekte ausgegeben wurde – und mit welchem Ergebnis. Diese Bilanz wurde nie gezogen. 

Warum nicht?
Das Innenministerium hat Angst davor, sich eingestehen zu müssen, dass die Islamkonferenz nicht nur gescheitert ist, sondern dass sie uns auch noch wahnsinnig viel Geld gekostet hat, ohne Ergebnisse. Das Innenministerium versucht, uns diese Konferenz auch noch als Erfolg zu verkaufen. Dabei ist sie kontraproduktiv. Moscheen haben mit Steuergeldern eine Infrastruktur geschaffen – aber nicht für die Integration, sondern um Werbung für Erdogan zu machen, wenn Wahlen bevorstehen. Oder um gegen Kurden zu hetzen. Oder um Propaganda für den Krieg in Syrien oder in Armenien zu machen. 

In Deutschland leben rund 4,4 Millionen Muslime. Nicht alle kommen aus der Türkei. Und nicht alle gehen zum Beten in die Moschee. Warum haben die Stimmen der Islamverbände trotzdem so viel Gewicht bei der Islamkonferenz?
Weil der Staat sie aufgebaut hat. Der Zentralrat der Muslime vertritt weniger als ein Prozent der hier lebenden Muslime. Aber er nennt sich Zentralrat ... 

... als Äquivalent zum Zentralrat der Juden, der die Hälfte der 220.000 in Deutschland lebenden Juden vertritt. 
Genau. Seine Mitgliederzahl ist verschwindend gering. Aber weil sein Vorsitzender Aiman Mazyak immer vom Bundesinnenminister eingeladen wurde, hat man den Eindruck, er vertrete die Muslime. Dabei ist der Verband nur einer von vier Verbänden. Und zusammen vertreten sie gerade mal 25 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime. 

Aber warum hat der Bundesinnenminister gerade sie zur Islamkonferenz eingeladen?
Weil sie eben zuerst da waren. Nach dem 11. September brauchte der Staat eine Adresse. Eigentlich hat der diesen Verbänden Geld gegeben, damit sie uns nicht fressen. 

Man könnte das bestimmt auch diplomatischer ausdrücken. Müssen Sie sich nicht wundern, dass Sie bei diesen Verbänden auf der Schwarzen Liste stehen, wenn sie so drastische Ausdrücke verwenden und den Propheten einen „Faschisten“ oder „Massenmörder“ nennen? 
Lesen Sie mal Feuerbach oder Voltaire, dann würden sie so etwas nicht sagen. Religionskritik ist hart. Meine Kritik richtet sich gegen Dogmen und Bevormundung. Ich bin ein freier Mensch in einem säkularen Staat. Und jede Religion darf kritisiert werden. Ich habe das Recht, Mohammed als Massenmörder zu bezeichnen, wenn ich das belegen kann. Ich hab das nicht erfunden. Jemand, der 900 Menschen an einem Tag enthauptet, die sich ergeben haben, ist ein Massenmörder. 

Jetzt fordert Grünen-Chef Robert Habeck eine Null-Toleranz-Strategie im Umgang mit Islamisten. In einem offenen Brief an den Bundestag fordern Grünen-Politikern, dass die Propagandastrategien des legalistischen Islams „von der Politik und den Medien stärker und sachkundiger“ hinterfragt werden. Wie glaubwürdig ist die Kritik?
Ich finde diese Kritik extrem verlogen. Wenn es um den Islam geht, gibt es nur die AfD als Opposition. Die CDU und SPD wollen doch nur die Stimmen der Muslime bei den Wahlen gewinnen. Niemand aber hat Islamisten mehr hofiert als die Grünen – und das im Namen der Toleranz. Die haben sich immer quer gestellt, wenn es Kritik am Islam gab. Jetzt wachen sie auf. Aber viel zu spät. 

Was hätten Sie erwartet?
Ich bin Schriftsteller. Von mir kam man nichts mehr als Worte erwarten. Aber von Politikern erwarte ich Taten.  

Als erster deutscher Politiker hatte Kevin Kühnert von der SPD das Schweigen der Linken nach der Enthauptung von Samuel Paty öffentlich beklagt. Was müsste er tun, damit Sie der SPD wieder vertrauen?
Die SPD müsste Menschen als Individuen integrieren und nicht als Gruppen. Es gibt keine Gruppen-Integration. Integration funktioniert über Freiheit. Ich will, dass Familien, die aus Syrien kommen, ihre Freiheit atmen können – und nicht, dass sie an Ditib oder den Zentralrat der Muslime verschickt werden, damit man sie dort indoktriniert. 

Sie bekommen seit 2014 rund um die Uhr Polizeischutz. Was ging Ihnen durch den Kopf, wenn Sie mit Vertretern von Islamverbänden an einem Tisch saßen, von denen Sie wissen, dass sie, wenn nicht den Dschihadismus, dann doch zumindest die Diktatur Erdogans unterstützen? 
Ich erzähle Ihnen, was bei der letzten Islamkonferenz 2018 passiert ist. Ich betrete den Konferenzraum, begleitet von 7 Polizeibeamten. Seyran Ates ist mit fünf Polizisten da, Ahmad Mansour auch mit fünf. Und dann kommt eine vom Staat für ihre Verdienste um die Integration ausgezeichnete Vertreterin dieser Verbände. Und wissen Sie, was sie gesagt hat? 

Nein. 
Sie fragt, was wir da für eine Show abziehen. Und dann fragt sie, ob ich Angst vor ihr hätte oder ob meine Beamten sie jetzt wegschubsen. Das ist deren Einstellung. Sie erzählt den Politikern Märchen, um Fördergelder zu bekommen, und ich bin der Islamophobe, der Spalter. 

Was bedeutet es für Sie, rund um die Uhr überwacht zu werden?
Es schränkt mein Leben zu 95 Prozent ein. Ich kann nichts spontan machen. Ich muss meine Woche genau planen. So hatte ich mir mein Leben in Deutschland nicht vorgestellt. Ich habe beinahe geweint, als ich zum ersten Mal eine Lesung mit schusssicherer Weste halten musste. Ich habe mich gefragt: Wer hat uns das eingebrockt? 

Und, was ist Ihre Antwort?
Die Politiker. Europa hat die Aufklärung aufgegeben zu Gunsten der political correctness und falsch verstandener Toleranz. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

Gerade ist bei dtv der neue Spiegel-Bestseller von Hamed Abdel-Samad erschienen: „Aus Liebe zu Deutschland. Ein Warnruf.“, 20 Euro. 

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