Hamed Abdel-Samad - Islamkritik, die wir brauchen

Für Menschen, die unter dem Joch des Islam leben, ist der Politikwissenschaftler und Buchautor Hamed Abdel-Samad ein Hoffnungsträger, in Deutschland gilt er als Störenfried

Erschienen in Ausgabe
Linke Marokkaner feiern Hamed Abdel-Samad als Aufklärer, deutsche Linke stigmatisieren ihn als islamophob / picture alliance
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Hamed Abdel-Samad zählt zu den profiliertesten Kritikern des Islam. Sein 2014 erschienenes Buch „Der islamische Faschismus“ wurde mehr als 100 000 Mal gekauft. Ein Vortrag darüber in Kairo führte zu Mordaufrufen, die durch das ägyptische Fernsehen verbreitet wurden. Nach der Veröffentlichung seines Werkes „Mohamed – Eine Abrechnung“ 2015 riefen deutsche Dschihadisten in Syrien ihre Kampfgefährten in der Heimat auf: „Tötet Abdel-Samad!“ Es war nicht die erste Todesdrohung. Bereits seit 2013 wird er von Personenschützern begleitet.

Der deutsche Politikwissenschaftler und Aufklärer entstammt einer ägyptischen Imam-Familie und war in seiner Jugend Mitglied der Muslimbruderschaft. Er provoziert die linksliberale Szene in Deutschland, indem er deren verbreitetes Schönreden des Islam als Beschwichtigungspolitik gegenüber einer totalitären Religion entlarvt. Als Vertreterin des medialen Juste Milieu verstieg sich Lamya Kaddor auf Zeit Online zu der Titelzeile: „Islamkritik, die niemand braucht“. Niemand?

Von marokkanischen Linken als Aufklärer gefeiert

Hamed Abdel-Samad war im vergangenen Jahr in Marokko. Das größte französischsprachige Magazin des Landes TelQuel sprach mit ihm über seinen Bestseller. In der Tageszeitung Assabah (Der Morgen) erklärte er: „Sollten alle islamischen Staaten verschwinden, wird die Welt nichts verlieren, außer die primäre Quelle des Terrorismus und der sexuellen Belästigung.“ Keine noch so scharfe Formulierung Abdel-Samads wurde unterdrückt – im islamisch regierten Königreich Marokko! Islamkritik, die niemand braucht?

Auf Einladung der marokkanischen Organisation für Menschenrechte und der Amazigh, der Volksgruppe der Berber, sprach Hamed Abdel-Samad in Fes, Rabat und Tanger. Auf der Straße umarmten ihn Menschen, die ihn aus dem Fernsehen kannten, und dankten ihm für seine Arbeit. Der Titel seines Vortrags in Rabat lautete „die Aufklärophobie“ – eine Anspielung auf den Vorwurf, mit dem er sich in Deutschland immer wieder konfrontiert sieht, er betreibe Islamophobie. Das Berber-Portal Amazigh World zitierte Abdel-Samad wie folgt: „Die arabisch-islamischen Gesellschaften können nicht aufgeklärt werden, ohne einen heftigen Zusammenstoß mit der eigenen Tradition zu wagen.“ Marokkos Linke, von Mitte links bis ganz links, feierte den Aufklärer aus Deutschland. Islamkritik, die niemand braucht?

Für deutsche Linke ein Störenfried

Bekannt wurde Hamed Abdel-Samad in der islamischen Welt durch seine arabischsprachige Youtube-Sendung „Box of Islam“, in der er systematische Kritik am Koran und an islamischer Geschichte übt. Der Kanal hat 80 000 Abonnenten, seine Videos wurden insgesamt 17 Millionen Mal angeschaut. Islamkritik, die niemand braucht?

Ach ja, es gab auch eine Gegenstimme: Der marokkanische Islamist Abdel-Magid al-Marawani geißelte die Linken und Menschenrechtler, die Hamed Abdel-Samad applaudierten, als Aufwiegler gegen die Scharia, das mohammedanische Rechtssystem: Der Islam sei die Religion des Lichtes. Damit sind wir wieder in Deutschland. Die Süddeutsche Zeitung bezichtigte Hamed Abdel-Samad, in seinem Buch „Der islamische Faschismus“ über den Islam „Halbwahrheiten“ zu verbreiten. Eine Punkt-für-Punkt-Berichtigung Abdel-Samads druckte das linksliberale Blatt nicht ab; sie musste in der Welt erscheinen. Spiegel Online blaffte den Islamkritiker an, er betreibe mit seinem „Mohamed“-Buch „Religionskritik nach Pegida-Art“.

Hamed Abdel-Samad: Für Menschen, die unter dem Joch des Islam leben, die gegen den Totalitarismus der Religion aufbegehren, für marokkanische Liberale und Linke ist er ein Aufklärer. Hamed Abdel-Samad: Für Liberale und Linke im Deutschland des freiheitlichsten Grundgesetzes der Welt ist er ein Störenfried. Wie kommt das? Ist das überraschend? Neu sogar?

Das Drama der linken politischen Kultur

Der Fall Abdel-Samad erinnert an drei prominente Autoren aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts: Arthur Koestler, der 1940 in „Sonnenfinsternis“ seine Abrechnung mit dem Kommunismus vorlegte; Manès Sperber, auch er Abtrünniger des Kommunismus, der mit „Wie eine Träne im Ozean“ 1961 eine Romantrilogie über den Verrat der kommunistischen Partei an ihren Idealen veröffentlichte; Raymond Aron, der bürgerliche französische Denker, in der Nachkriegszeit ein scharfer Gegner der autoritären Sozialisten im Umfeld des Existenzialisten-Papstes Jean-Paul Sartre.

Die drei großen Autoren stehen für ein Drama der linken politischen Kultur: In der Ära des Kalten Krieges hielt sie es selten mit den Befreiern, sondern lieber mit den Mächtigen des Sozialismus. Selbst Rumäniens Diktator Ceausescu galt für sie als Reformer des Ostblocks, nicht jedoch Lech Walesa, der Arbeiterführer von Solidarnosc. Koestler, Sperber, Aron hielt die etablierte Linke für Renegaten, Verräter, Phobie-Getriebene, wie so zahlreiche andere, weniger bekannte Kämpfer gegen den autoritären Sozialismus. Sie alle wurden verächtlich gemacht als „Antikommunisten“ – ein Begriff der Herabsetzung und Diffamierung. Kann man sich das heute noch vorstellen? Nach 1989?

Deutschland will von Voltaire nichts wissen

Es bedarf dazu gar keiner Fantasie. Es bedarf nur eines Blickes auf die deutsche Realität. Zum Beispiel auf Hamed Abdel-Samad: in Marokko eine Hoffnungsfigur für Liberale und Linke, die der reaktionären Religion den Befreiungskampf angesagt haben; in Deutschland geschmäht von Liberal und Links für eine „Islamkritik, die wir nicht brauchen“. Auch sein kürzlich erschienenes Buch „Integration: Ein Protokoll des Scheiterns“ hat es im linksliberalen Feuilleton sehr schwer.

Was einst Arthur Koestler, Manès Sperber und Raymond Aron waren, sind heute Hamed Abdel-Samad, Necla Kelek und Seyran Ates, auch der jüdische Publizist Henryk M. Broder gehört in diese Reihe. Sie alle sind Aufklärer im klassischen Sinn – und gerade dadurch eine unerträgliche Provokation für alle Beschwichtiger aus Politik und Publizistik. Deutschland will von Voltaire nichts wissen. Wollte es je etwas von ihm wissen?

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.
















 

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