Hambacher Forst und Chemnitz - Linke Gute und rechte Böse

Protestler in Chemnitz werden stigmatisiert, im Hambacher Forst aber heroisiert. Irgendwie links zu sein ist offenbar eine höhere Form des Daseins mit ausgerechnet der CDU-Kanzlerin Angela Merkel als Schutzheiliger. Dabei sind beide Ereignisse Folgen ihres Handelns

„Aktivist“ im Hambacher Forst: Das volle Programm eines eingeübten paramilitärischen Kampfes / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Zwischen Chemnitz und dem Hambacher Forst liegen 480 Kilometer Luftlinie oder laut Navi 5 Stunden und 51 Minuten Fahrzeit. Zwischen dem Tötungsdelikt auf dem Chemnitzer Stadtfest und den folgenden Ereignissen in der Stadt und der Räumung des besetzten Waldes, der dem Braunkohleabbau weichen soll, liegen drei Wochen. 

Vor allem aber liegen ganze Welten zwischen der Einordnung jener, die hie (Chemnitz) und da (Hambacher Forst) ihre Bestürzung und ihre Abscheu über die jeweiligen Vorgänge zum Ausdruck brachten. 

Das Böse geht auf die Straße, das Gute sitzt im Baumhaus

In Chemnitz gingen bei angemeldeten Demonstrationen Menschen auf die Straße, die sich alsbald in schlechter Gesellschaft wiederfanden. Unter sie hatten sich Neonazis gemischt, die Hitlergrüße zeigten, ausländerfeindliche Parolen riefen und darauf aus waren, fremd aussehende Menschen aufzuspüren und zu verfolgen.

So wenig wie friedliche Fußballfans etwas mit gewaltbereiten oder gewalttätigen Hooligans im Stadion zu tun haben, so wenig hatte die Mehrheit der Chemnitzer Demonstranten etwas mit den Nazis zu tun, die die Trauermärsche für ihre Zwecke gehijackt hatten. Teilweise haben sich die Organisatoren sogar aktiv dagegen gewehrt und solche Leute aus ihren Reihen verwiesen. Dennoch ging ganz Chemnitz mit dem Etikett: „Alles Rechte!“ nach Hause. In der Außenwahrnehmung fanden dort nur Hetzjagden, Pogrome und sonstwas statt. Das Böse an sich, so konnte man meinen, hatte sich dort zusammengerottet. 

Das Gute wiederum baute unterdessen weiter Baumhäuser im Hambacher Forst. Baumhäuser, die sie allenfalls im Einsatz für das Gute verlassen würden. Zum Beispiel für eine große Konzertveranstaltung in Chemnitz, bei der Rock gegen Rechts gespielt wurde. In Chemnitz tauchten die „Hambi“-Leute bei einem Auswärts-Gastspiel auf und machten überregional erst damit aufmerksam auf ihren Widerstand gegen die Rodung des Waldes. 

Als die Polizei dort schließlich anrückte, um das gute Recht des Energieversorgers RWE durchzusetzen, wurden die Beamten aus den Wipfeln mit Scheiße beworfen. Das volle Programm eines eingeübten paramilitärischen Kampfes von links gegen den „Bullenstaat“ und die „bösen“ Energieverbrecher wurde abgespielt. Und im Deutschlandfunk stand Nordrhein-Westfalens Innenminister wie der eigentliche Unhold da, weil er dem bunten Treiben im Wald herzlos ein Ende bereitet hat. 

Die politische Asymmetrie

Irgendwie links zu sein ist eine höhere Form des Daseins, alles was sich jenseits dessen abspielt, ist automatisch rechts und damit automatisch böse. Das gilt auch für die dahinter stehenden Individuen. Die einen sind per se gut, die anderen sind per se böse. Das ist die Lehre aus Chemnitz und dem Hambacher Forst. 

Der frühere Hamburger Bürgermeister Ole von Beust hat dieser Tage in einem lesenswerten Aufsatz in der Welt auf diese politische Asymmetrie hingewiesen. Eigentlich gelte „Rechts ist nicht rechtsradikal und nicht gleich Nazi“, schreibt  der CDU-Politiker. Es sei aber „der Linken geschickt gelungen, alles, was rechts der Mitte ist, als politisch nicht zulässig zu diskreditieren.“ Nur sie haben die selbsterteilte Lizenz, sich als politische Platzanweiser zu gerieren.

Dazu kommt: Die Mitte hat sich im Zuge der Kanzlerschaft von Angela Merkel nach links verschoben. Die konsequente Politik der asymmetrischen Demobilisierung zum eigenen Nutzen und gleichzeitigen Schaden des politischen Gegners hat dazu geführt, dass eine CDU-Kanzlerin weithin getragen wird von einer linksliberalen Klientel. Kaum eine Zeitung huldigt Angela Merkel mehr als die taz

Chemnitz und Hambach sind Folgen von Merkels Politik

Dabei, und auch dafür stehen Chemnitz und der Hambacher Forst, müssen sich die Anhänger der Heldin Merkel anstrengen, nicht auf die Folgen des Tuns der Kanzlerin zu blicken. Denn sowohl Chemnitz als auch der Hambacher Forst sind Folgen Merkelscher Politik. Im Fall von Chemnitz wird alles getan, von den Folgen ihrer Flüchtlingspolitik durch die Fixierung auf das partielle Hijacking der berechtigten Demonstrationsmärsche durch Neonazis abzulenken. Und im Hambacher Forst wird nicht thematisiert, dass der große Braunkohlehunger der Energiereisen mit dem fatalen Fukushima-Schwenk der Kanzlerin in der Energiepolitik zu tun hat – direkt und unmittelbar. Groteskerweise aber wird das ausgeblendet. So stützt das selbsterklärte Gute eben jene CDU-Politikerin, die dabei ist, das Lager, aus dem sie selbst kommen, erfolgreich zu zerstören. 

Das sieht das Gute in seiner Selbstverklärung nicht. Und so thront die Kanzlerin, zähneknirschend geduldet von den Konservativen in ihrer eigenen Partei und bejubelt von ihren Unterstützergruppen im linksliberalen Spektrum über einem Land, das sich im Zuge der Ausgrenzungsrhetorik und Stigmatisierung von Seiten der „Hambis“ und Co. darunter immer mehr spaltet. Das ist eine gesellschaftlich brandgefährliche Entwicklung, an deren Folgen dieses Gemeinwesen noch leiden wird, nachdem die Ära Merkel vorbei ist. 

Anzeige