Prozesse um Impfschäden - „Es braucht nur einen Staatsanwalt, der aufhorcht“

In einem Impfschaden-Berufungsprozess gegen den Impfstoffhersteller Astrazeneca hat das OLG Bamberg entschieden, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Im Interview erklärt die Strafrechtlerin Katrin Gierhake, was generell bei der Aufklärung über die Corona-Impfstoffe beachtet werden muss.

Arzt Patienten Gespraech und Aufklaerung im Vorfeld der Corona Impfung / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Katrin Gierhake ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg. Zusammen mit Carlos Gebauer, Fachanwalt für Medizinrecht, hat sie sich in der Neuen Juristischen Wochenschrift intensiv mit der ärztlichen Aufklärung bei Behandlungen mit bedingt zugelassenen mRNA-Impfarzneien beschäftigt.

Frau Gierhake, haften Ärzte bei Schäden, die durch die mRNA-Impfungen gegen Corona entstanden sind?

Ich muss da mit einer typischen Juristenweisheit antworten: Das kommt darauf an. Grundsätzlich gibt es mehrere zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen, die in Betracht kommen. Voraussetzung ist nach dem BGB entweder eine vertragliche Pflichtverletzung oder ein deliktisches Verhalten. Für beides könnte als Anknüpfungspunkt ein Aufklärungsfehler vor der Einwilligung in die Impfung in Betracht kommen. Im Paragraphen § 630e BGB werden die Aufklärungspflichten klar geregelt, und die sind nach der Rechtsprechung auch für Impfungen anwendbar. In diesem Paragraphen wird verlangt, dass vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme über sämtliche für die Einwilligung relevanten Umstände aufzuklären ist. Gibt es einen relevanten Aufklärungsfehler, dann kommt eine Haftung in Betracht.

Das irritiert mich jetzt. Im Winter 2020/21, zu Beginn der Impfkampagne, hieß es nahezu übereinstimmend in deutschen Medien, dass impfende Ärzte bei möglichen Schäden durch die neuartige Corona-Impfung nicht in Haftung genommen würden. Der Virchowbund etwa, der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, schrieb damals auf seiner Homepage, dass Haftungsansprüche nicht gegen Ärzte persönlich geltend gemacht werden könnten, sondern ausschließlich gegenüber dem hoheitlichen Träger. Können sich Ärzte darauf nicht mehr verlassen?

Das ist ein komplexes Thema. Es ist richtig, dass sich in einer Verordnung aus dem Mai 2020 ein Haftungsausschluss unter anderem für Angehörige der Gesundheitsberufe findet. Aber erstens ist diese Norm sehr unklar gefasst, zweitens gibt es Bedenken im Hinblick auf ihre Recht- bzw. Verfassungsmäßigkeit und drittens wird aus ihr nicht deutlich, welche Haftung genau ausgeschlossen sein könnte. Der Begriff „Haftung“ kann im Übrigen strafrechtliche Verantwortlichkeit wie auch zivilrechtlichen Schadenersatz bedeuten. 

Strafrechtlich betrachtet ist es so, dass schon der Vorgang des Impfens, also das Eindringen in die Haut mit einer Nadel und die Zufügung einer körperfremden Substanz, den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt. Diese Körperverletzung kann durch eine wirksame Einwilligung gerechtfertigt werden. Ist die Einwilligung dagegen nicht wirksam, liegt im Grundsatz eine Strafbarkeit vor. Körperverletzung ist zwar ein sogenanntes Antragsdelikt – das heißt, wenn kein Strafantrag gestellt wird, dann passiert in der Regel auch nichts –, doch sollte mal jemand einen Antrag stellen, dann müsste die Staatsanwaltschaft hier ermitteln.

Aber das ist vermutlich bloße Theorie; denn mit einer wirksamen Einwilligung wäre eine solche Körperverletzung doch gerechtfertigt. Und Einwilligungen hat es bei der Impfung nahezu immer gegeben.

Schon, aber für eine solche Einwilligung ist eine Aufklärung erforderlich – und die wiederum muss wirksam sein.

Und das war sie im Zusammenhang mit der Corona-Impfung nicht?

Ich gehe davon aus, dass in den allermeisten Fällen der notwendige Kanon von Aufklärungspflichten in der Praxis nicht erfüllt wurde. Das muss natürlich jeweils im Einzelfall geprüft werden. Insofern liegen vermutlich millionenfach rechtswidrige Körperverletzungen vor. 

Was umfasst dieser Kanon genau?

Es gibt bei allen medizinischen Eingriffen recht enge Aufklärungserfordernisse. Diese sind im BGB eindeutig geregelt. Das war bereits vor der Impfkampagne so, und daran hat sich auch mit der Impfung nichts geändert. Demnach muss der Patient über Art und Umfang eines Eingriffs, über die Notwendigkeit, Dringlichkeit und Eignung sowie über die zu erwartenden Folgen aufgeklärt werden. Das gilt für jede OP, jede Spritze und jede medizinische Behandlung, die mit einem Eingriff in den Körper des Patienten verbunden ist.

Nun war diese Impfung aber besonders am Anfang keine so ganz gewöhnliche Behandlung, sondern es gab bei der Verabreichung viele Unsicherheiten.

Und genau da liegt das Problem. Diese Arzneien waren zum Zeitpunkt der Nutzung nur bedingt zugelassen. Und dieses bedingte Zulassungsverfahren hat im Vergleich zum normalen Zulassungsverfahren den Nachteil, dass bestimmte Studienergebnisse, die normalerweise vorliegen müssen, noch nachgereicht werden konnten. So zumindest hat das die EMA damals gesehen.

Das macht die Aufklärung für einen impfenden Arzt natürlich schwierig. 

Daher muss diese Unwissenheit und die Tatsache der bedingten Zulassung auch bei der Aufklärung explizit benannt werden. In den allermeisten Aufklärungsbögen aber stand das so gar nicht drin. Eine ordentliche Aufklärung eines Arztes hätte verlangt, das zu kommunizieren.

Das heißt, die Aufklärung wäre unwirksam?

Ja. Für ein eventuelles Strafverfahren bedeutet das, dass jeder Staatsanwalt oder Richter genau wissen müsste, dass es hieb- und stichfeste juristische Gründe dafür gibt, dass die Einwilligung nicht rechtmäßig erfolgt ist, wenn auf diese Punkte nicht hingewiesen wurde. Damit aber ist die Einwilligung rechtlich unwirksam und die Impfung strafrechtlich eine Körperverletzung.

Nun gehen die meisten Geschädigten ja nicht den eingangs skizzierten Weg des Straf-, sondern des Zivilrechts. Woran liegt das eigentlich?

Im Strafrecht haben Geschädigte regelmäßig keinen eigenen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil durch die Verurteilung eines Angeklagten. Im Strafrecht geht es ausschließlich um die Strafbarkeit der Täter. Das ist der Grund, warum die meisten Impfgeschädigten den zivilrechtlichen Weg beschreiten, um Schadenersatz einzuklagen. 

Bevor wir über diesen zivilrechtlichen Weg sprechen, sollten wir noch einen anderen Begriff klären: Denn während unzählige Mediziner sowie das Paul-Ehrlich-Institut dieser Tage Begriffe wie „Post-Vac” oder eben „Impfschaden” einordnen und interpretieren, gibt es doch sicherlich auch eine juristische Definition eines solchen Schadens?

Juristisch betrachtet ist ein Schaden jeder Nachteil, den jemand durch ein bestimmtes Ereignis erleidet. Erfasst werden Vermögensschäden und ideelle oder immaterielle Nichtvermögensschäden. In den meisten zivilrechtlichen Fällen nach einer Corona-Impfung wird es um einen finanziellen Schaden gehen, etwa um Behandlungskosten oder um mögliche Gehaltseinbußen aufgrund von Arbeitsunfähigkeit. Das ist die eine Seite.

Dann gibt es aber auch noch das sogenannte Schmerzensgeld. Der Geschädigte hat beispielsweise Schmerzen oder körperliche Ausfälle. Ein solcher immaterieller Schaden wird letztlich aber auch wirtschaftlich bemessen. Wenn etwa ein Patient seit anderthalb Jahren starke Kopfschmerzen hat, dann kann er dafür eine Kompensation in Geld erhalten. Voraussetzung ist natürlich immer, dass man den Schaden ursächlich auf das Ereignis zurückführen kann.

Nun ist das mit der Kausalität bekanntlich schwierig. Es müsste dem Geschädigten ja gelingen, zu zeigen, dass sein Schaden eindeutig auf die Impfung zurückzuführen ist.

Grundsätzlich muss der Kläger dem Richter im Ergebnis der Beweisaufnahme die Überzeugung verschaffen, dass der beschriebene Schaden ursächlich auf die Impftherapie zurückgeht. Steht allerdings mangels ordnungsgerechter Aufklärung bereits fest, dass eine rechtswidrige Körperverletzung vorliegt, vereinfacht das Gesetz diese Überzeugungsbildung. Hier reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Sache eines Klägers ist also zunächst, die Schadenkausalität plausibel zu machen.
 

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Wie kann das gelingen?

Das geschieht – mit Hilfe von Sachverständigen – durch die Beschreibung naturwissenschaftlicher Abläufe. Aber es geschieht auch durch das empirische Aufzeigen von gehäuften Vergleichsfällen: Zeigt beispielsweise eine Vielzahl von Geimpften jeweils drei oder sieben Tage nach der Impfung ein gleiches Krankheitssymptom, dann spricht ein deutlicher Anschein für die Kausalität. Ein Gericht kann dann ab einer gewissen Häufung von Fällen sagen: Es reicht nicht mehr, wenn der Arzt diesen Anschein erschüttert, sondern wir bürden ihm den Beweis des vollen Gegenteils auf. Für eine solche Vorgehensweise spricht, dass wir es mit Neulandmedizin mit unklaren Risikoprofilen zu tun haben. Auch das Unwissen eines Gutachters fällt dann in die Verantwortungssphäre des Behandelnden.

Womit wir wieder bei den Problemen der Aufklärung wären. Zusammen mit dem Medizinrechtler Carlos A. Gebauer haben Sie jüngst einen Fachartikel veröffentlicht, der sich mit all diesen offenen Fragen bei der ärztlichen Aufklärung bei Behandlung mit bedingt zugelassenen mRNA-Impfstoffen beschäftigt. Zu welchem Fazit sind Sie dabei gekommen?

Die Ungewissenheiten sind in der Tat das große Problem. Sowohl auf medizinischer wie auch auf molekularbiologischer Seite sind mit dieser Methode eine ganze Reihe von offenen Fragen verbunden. Man hatte am Anfang bestimmte Theorien darüber, wie die Impfung funktionieren könnte. Zum Teil sind diese relativ kurzfristig widerlegt worden, etwa bei der Frage des Fremdschutzes; und bei anderen Theorien ist zum Teil auch noch heute offen, ob sie sich bestätigen werden.

Wir sagen daher, dass es aufgrund all dieser offenen Fragen zum Zeitpunkt der Verwendung ein unüberschaubares Risikopotenzial gegeben hat. Für uns kommt die Impfung daher einer typischen „Neulandmethode“ gleich. Selbst in den Produktinformationen schreiben die Hersteller sehr offen über all das, was nicht untersucht worden ist – darunter etwa die Dauer des Impfschutzes, die Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die möglichen Einflüsse auf das Erbgut, mögliche Krebs fördernde Wirkungen, Nebenwirkungen von Vielfachimpfungen. Wenn es also ein Potenzial gibt, das man nicht kennt, ist das unserer Einschätzung nach eine überschaubare Gefahrensituation. 

Prof. Dr. Katrin Gierhake

Und was folgt daraus?

Man hat dadurch als impfender Arzt eine erhöhte Aufklärungspflicht. Man muss also nicht nur ganz normal über die Durchführung aufklären, sondern man muss dem Patienten sagen, dass es Risiken gibt, die man selbst als impfender Arzt nicht kennt und nicht kennen kann.

Bedeutet das auch, dass der normale Aufklärungsbogen nicht ausreicht?

Ein solcher Bogen reicht auf keinen Fall. Ein Aufklärungsbogen reicht schon nach geltender Rechtsprechung nur bei sogenannten Routineeingriffen. 

Dass die Aufklärungsbögen zumindest inhaltliche Mängel aufwiesen, das scheint man mittlerweile auch beim Bundesgesundheitsministerium erkannt zu haben. Auf einer jüngst freigeschalteten Internetseite für Long-Covid-Patienten und Menschen mit Impfschäden heißt es nun, dass die Aufklärung über Risiken der Impfung so umfassend sein müsse, „dass dem Patienten das Wissen vermittelt wird, das für eine wirksame Einwilligung in die Behandlung notwendig ist.“ Eine solche Aufklärung sei zwar, so das BMG, grundsätzlich auch anhand eines Merkblatts möglich; der Patient müsse dann jedoch in jedem Fall die Möglichkeit haben, weitere Informationen in einem persönlichen Gespräch mit den Ärzten erhalten zu können. Und weiter: „Enthält das Merkblatt das Risiko verharmlosende Ausführungen, dann muss dieser Eindruck gegenüber dem Patienten korrigiert werden. Ist die Aufklärung nicht oder nicht ordnungsgemäß erfolgt, ist die Einwilligung des Patienten oder des Patienten unwirksam.“ Das scheinen ganz neue Töne zu sein.

Zu fragen wäre hier aber, was in diesem Zusammenhang „verharmlosende Ausführungen“ meint. Ist es verharmlosend, mögliche Folgen zu verschweigen? Nicht darauf hinzuweisen, dass nur eine bedingte Zulassung vorliegt? Dass die Impfmethode neu ist? Während der Impfkampagnen haben sich sowohl die Aufklärungsbögen als auch die Rote-Hand-Briefe ständig verändert. Daran sieht man ja bereits, wie ungewiss die Methode generell war. 

Nun äußern Sie hier wie auch in Ihrem Fachaufsatz eine Rechtsmeinung, die unter Ihren Kollegen vermutlich umstritten ist. Wie war denn bis dato die Reaktion anderer Juristen auf Ihren Artikel?

Der Aufsatz, der in der Neuen Juristischen Wochenschrift erschienen ist, ist seit einer Woche publiziert. Noch kenne ich keine Repliken aus der Fachwelt. In der Regel dauert so etwas länger. Das erschütternde ist meiner Meinung nach aber auch eher, dass die Frage von Aufklärung und Haftung für viele meiner Kollegen aktuell kein Thema zu sein scheint.

Lassen Sie uns am Ende mal konkret werden: Glauben Sie, dass bei den noch anstehenden Prozessen um Haftung und Schadensersatz je ein Arzt wegen unterlassener oder falscher Aufklärung in die Haftung genommen wird?

Ich bin kein Orakel und es hängt immer vom Einzelfall ab, ob alle Voraussetzungen für eine zivilrechtliche Haftung vorliegen. Für das Zivilrecht gilt jedenfalls: Werden die bislang üblichen Standards der Haftung für Neulandmedizin konsequent angewendet, liegt ein Haftungsgrund vor, wenn im konkreten Fall diese Standards eben nicht eingehalten wurden. Was die strafrechtliche Verantwortung angeht, bräuchte es nur einen einzigen Staatsanwalt, der aufhorcht und sagt: „Oh, dann ermittle ich doch mal!“ Die dann folgenden Strafverfahren würden Klarheit bringen. Der Gesetzgeber hätte es dann in der Hand, gegebenenfalls mit einer Amnestie zu reagieren. 

Das Gespräch führte Ralf Hanselle. 

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