Häusliche Gewalt in der Coronakrise - „Wie sollen Frauen um Hilfe rufen, wenn der Partner in der Wohnung ist?“

In China ist die Zahl der Beschwerden von Opfern häuslicher Gewalt in der Corona-Krise um das Dreifache gestiegen. Auch hierzulande richten sich Frauenhäuser und Beratungsstellen auf einen starken Anstieg ein. Der aber wird erst für die Zeit nach der Quarantäne erwartet. Eine Expertin erklärt, warum.

Der Feind unter meinem Dach: Die Quarantäne führt zu einer Zunahme häuslicher Gewalt / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Katharina Göpner ist Referentin beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF). 

Schon vor der Corona-Krise waren Frauenhäuser hoffnungslos überfüllt. In den Frauenberatungsstellen gibt es Wartezeiten. Was ist aktuell bei Ihnen gerade los? 
Die Engpässe könnten sich jetzt noch verschärfen – zum Beispiel wegen Personalmangel, weil nicht alle Kolleginnen arbeiten können, wegen Verdachtsfällen im Frauenhaus und wegen Vorsichtsmaßnahmen in Frauenhäusern und Beratungsstellen. Wir rechnen allerdings damit, dass sich viele Frauen erst nach der Krise melden werden. Die Zahl der Beratungen wird dann rasant steigen. 

Aber warum erst nach der Krise? Vielen fällt doch jetzt schon die Decke auf den Kopf, wenn sie den ganzen Tag in der Bude hocken und nur noch zum Einkaufen raus können. 
Viele der Frauenhäuser können aktuell keine Frauen mehr aufnehmen. Die Kolleginnen aus den Beratungsstellen haben uns gesagt, bislang sei die Nachfrage zwar weiterhin hoch, aber an vielen Orten bislang noch nicht gestiegen. Wir finden es gar nicht so verwunderlich, dass sich viele Betroffene erst Unterstützung suchen, wenn sich die Situation normalisiert hat. 

Warum nicht?
Es ist oft noch schwerer für Frauen, Kontakt zu einer Beratungsstelle aufnehmen, wenn der Täter den ganzen Tag in der Wohnung ist? Das öffentliche Leben steht gerade still. Unter diesen Bedingungen ist es für betroffene Frauen und ihre Kinder auch schwieriger, eine Freundin zu treffen oder sich Unterstützung zu holen. Dadurch kann der Leidensdruck steigen. 

Dass sich Paare und Familien in die Haare kriegen, lässt sich derzeit gar nicht vermeiden. Wie hoch muss der Leidensdruck sein, damit Frauen bei Ihnen anrufen?
Das ist individuell verschieden. Viele Frauen suchen sich erst Unterstützung, wenn sie akute Gewalt durch den Partner erfahren haben. Viele Frauen rufen aber auch an wegen psychischer Gewalt oder wegen einer Gewalterfahrung, die schon lange zurückliegt. 

Was erzählen Ihnen denn die Frauen aktuell?
Frauen erzählen Beraterinnen, dass sie von ihren Partnern geschlagen werden. Dass ihre Partner ihre Handys und ihre Kontakte in den sozialen Netzwerken kontrollieren. Diese digitale Gewalt hat stark zugenommen, auch das Stalking über das Internet. Viele Frauen rufen aber auch an, weil sie Angst davor haben, Gewalt zu erleben. Wir kennen ja alle die Berichte aus China. Danach ist die Zahl der Beschwerden von Opfern häuslicher Gewalt dreimal so hoch wie vor der Quarantäne.

Betrifft die Gewalt nur Frauen?
Nein, 20 Prozent der Opfer sind Männer und minderjährige Jungs. Für sie gibt es leider nur vereinzelte Beratungsstellen und Männerhäuser.  

Welche Lehren aus den Erfahrungen in China können deutsche Beratungsstellen ziehen?
Es gibt Bestrebungen, Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen auf die Liste der systemrelevanten Berufe mitaufzunehmen. Wir kämpfen schon länger darum, dass Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen langfristigere finanzielle und unbürokratischere Unterstützung bekommen müssen. Sie gehören mit unter den Rettungsschirm der Bundesregierung. 

Wo hakt es in der Praxis?
Um Telefon- und Online-Beratungen machen zu können, brauchen wir auch eine entsprechende technische Ausstattung. Und natürlich brauchen wir mehr Personal. Das Gute an der Coronakrise ist, dass diese Forderungen jetzt auch auf offene Ohren stoßen.   

Beratungen können Sie momentan nur telefonisch anbieten. Reicht da ein einmaliges Gespräch, oder ist der Hilfebedarf komplexer?
Das ist ganz unterschiedlich. Bei vielen Frauen reicht ein Erstgespräch erstmal aus. Andere haben einen langfristigeren Bedarf. Das mit den Telefonberatungen ist dann ein Problem, wenn wir es mit geflüchteten Frauen zu tun haben. Viele brauchen einen Dolmetscher. 

Wie können Sie den Frauen denn am Telefon helfen?
Wir können mit ihnen zusammen Schritte planen, wie sie sich vor dem gewalttätigen Mann schützen kann. Ob sie den Täter der Wohnung verweisen oder akut aus der Wohnung muss. Es ist eine psychosoziale Unterstützung, die genau prüft, was die Frauen gerade brauchen. Wenn eine langfristige Beratung plötzlich auf Telefonberatung umgestellt werden muss, ist das für beide Seiten eine ungewohnte Situation. 

Unter den derzeitigen Bedingungen ist ein Umzug fast unmöglich. Was können die Frauen da tun? 
Frauenhäuser sind weiterhin da. In einer akuten Gewaltsituation raten wir ihnen, sich an die Polizei zu wenden. Im schlimmsten Fall kann sie den Täter der Wohnung verweisen.  

In Deutschland gibt es 350 Frauenhäuser. Gibt es dort momentan überhaupt noch freie Kapazitäten?
Nein, viele der Frauenhäuser sind bereits voll. 

Gibt es dort schon Fälle von Corona?
Ich hab bislang nur von einzelnen Verdachtsfällen in Frauenhäusern gehört. 

Und wohin sollen die Frauen, wenn die Frauenhäuser unter Quarantäne gestellt werden?
Die Dachverbände der Frauenhäuser haben gefordert, dass unbürokratisch andere Lösungen gesucht werden müssen und dass Frauen zum Beispiel in Hotelzimmern, Pensionen oder in freien Wohnungen unterkommen können. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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