Gubens Bürgermeister über die Flüchtlinge aus Polen - „Die Leute passieren einfach die Grenze“

Entlang der deutsch-polnischen Grenze machen Bürgerwehren Jagd auf Flüchtlinge, die über Belarus in die EU kamen. In der Stadt Guben stößt die Partei „Der III. Weg“ dabei auf den Widerstand der Zivilgesellschaft. Wie kann die Stadt verhindern, dass die Lage eskaliert? Fragen an Bürgermeister Fred Mahro.

Protest gegen „Grenzgänge" von Rechtsextremisten: In Guben rollen Aktivisten Flüchtlingen den roten Teppich aus dpa
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Fred Mahro (CDU) ist seit 2018 Bürgermeister der brandenburgischen Stadt Guben. Sie liegt genau an der deutsch-polnischen Grenze

Herr Mahro, eine Rentnerin aus Guben hat im Interview mit einer Kollegin von der Zeit gesagt: „Ich hätte nichts dagegen, wenn die Ausländer von unseren Jungs aufs Maul bekommen.“ Fasst das die Stimmung in der Stadt gut zusammen?

Nein, mit Sicherheit nicht. Es ist natürlich eine angespannte Situation. Wir sind hier an der deutsch-polnischen Grenze aber in einer besonderen Lage.

Sie wollen damit sagen, die Bewohner haben die Flüchtlingswelle von 2015 noch nicht verkraftet?
Doch, wir haben sogar zwischen 350 und 550 Menschen mit Migrationshintergrund in Guben untergebracht. Die leben in eigenen Wohnungen und sind gut integriert. Dazu kam aber noch das Thema Corona, da kann man sagen, okay, das hat die ganze Welt getroffen, auch Guben. Dazu kam aber auch noch die Afrikanische Schweinepest. Vor den Toren unserer Stadt war der schließlich der erste Fund. Da wurden Sperrzonen errichtet. Bereits diese Situationen haben die Leute erheblich verunsichert. Und jetzt kommen auch noch die Illegalen Einreisen dazu. Also, die Nerven sind schon ziemlich angespannt.

Guben wird gerne in einem Atemzug mit Städten wie Rostock oder Hoyerswerda genannt. Der Name steht für die tödliche Hetzjagd auf den Asylbewerber Omar Ben Noui durch Neonazis im Februar 1999. Dieser Tage machen Rechtsextreme Jagd auf Flüchtlinge, die über die deutsch-polnische Grenzen kommen. Haben Sie Angst, dass Guben wieder der braune Stempel aufgedrückt wird?

Natürlich. Diese Jagd auf Flüchtlinge hat sich zwar außerhalb von Guben abgespielt, in dem Dorf Groß Gastrose. Aber man nennt Guben natürlich wieder, weil wir schon durch den Fall Omar Ben Noui bekannt sind. Dass dieser Vorfall schon über 20 Jahre zurückliegt und Guben die Stadt ist, die die meisten Flüchtlinge im Landkreis aufgenommen hat und dass es mit denen überhaupt keinen Stress gibt – außer zum Beispiel gelegentliche Beschwerden über fremdartige Gerüche aus den Küchen – das habe ich noch nirgendwo gelesen. Trotzdem kann ich die Reaktion der Frau, von der Sie gesprochen haben, gut nachvollziehen.

Tatsächlich? Die Menschen, die in Guben aufgegriffen werden, kommen völlig erschöpft, durchgefroren, ausgehungert und verängstigt an. Warum sollte man vor denen Angst haben? 

Also, ich finde so eine Reaktion menschlich. Stellen Sie sich vor, Sie laufen durch die Stadt, und plötzlich steht vor Ihnen eine durchnässte Familie, die gerade durch die Neiße gewatet ist? Viele krempeln sich ja die Hosen hoch und kommen da einfach so rüber.

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Nach Einbruch der Dunkelheit ?

Nein, so etwas passiert auch am hellichten Tag. Ich hab das vor zwei Wochen selbst erlebt. Das waren 20 Flüchtlinge, die vom Bundesgrenzschutz aufgegriffen wurden, darunter auch Kinder. Die waren wirklich in einem miserablen Zustand.

Bis zum 25, Oktober wurden in Brandenburg rund 2.367„unerlaubte Einreisen“ von Menschen registriert, die über Polen nach Deutschland kamen. Ist die Grenzstadt Guben ein Hotspot für Flüchtlinge?

Nein, gar nicht. Ich war vor vier Wochen in Swinemünde an der Ostseeküste. Vor drei Wochen war ich bei meinem Kollegen in Görlitz. Diese Städte sind viel stärker betroffen. Die illegale Einwanderung findet überall entlang der deutsch-polnischen Grenze statt.

Die Situation in Guben ist also nicht vergleichbar mit 2015, als es schon mal eine Flüchtlingswelle gab?

Nein, es ist jetzt ganz anders. 2015 kamen viel mehr Menschen. Die wurden von der Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt geordnet auf die Kommunen in Brandenburg verteilt. Jetzt läuft dieser Prozess nicht mehr geordnet. Die Menschen passieren einfach illegal die Grenze. Es erinnert mich jetzt daran, was mir ein Kollege an der deutsch-österreichischen Grenze über seine Erfahrungen in mit 2015 erzählt hat. Da hat es nachts geklingelt. Vor der Tür stand ein Paar. Der Mann sagte: „Meine schwangere Frau muss dringend ins Krankenhaus.“ In meinen Augen waren das damals auch illegale Einreisen – nur entlang der österreichisch-deutschen Grenze. 

Fred Mahro / privat

In Guben marschierten damals Neonazis vor einer neuen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge auf und skandierten: „Nein zum Heim!“ Jetzt zieht die Partei der III. Weg zu „Grenzgängen“ los, um Migranten einzufangen und abzuschrecken. Bei der Polizei heißt es, die Teilnehmer seien  schwer bewaffnet gewesen und aus ganz Deutschland gekommen. Was denken Sie als Bürgermeister, wenn Sie das hören?

Es steht keinem Menschen zu, anderen Gewalt anzutun – egal, ob das einheimische Bürger sind oder Menschen aus einem anderen Land. Wenn wir als Vertreter des Staates das Gewaltmonopol aus der Hand geben und es jedem überlassen, Selbstjustiz zu üben, dann ist die Demokratie am Ende. Und die Frage ist auch: Was passiert denn, wenn so genannte Grenzgänger und Flüchtlinge aufeinandertreffen?

Es wäre der Albtraum jedes Bürgermeisters. 

Natürlich. So eine Situation kann sich keiner wünschen.

Besonders nicht in Guben?

Selbstverständlich. Hier werden heute schon Menschen mit einer anderen Gesinnung in einen Topf geschmissen mit Bürgern, die sich ehrenamtlich für Zugewanderte engagieren. Das kann es ja wohl nicht sein.

Aber die Mitglieder der Partei der III. Weg greifen ja eine Sorge auf, die aus Ihrer Sicht berechtigt ist. Was sagt eigentlich die AfD dazu, die mit 8 Abgeordneten im Stadtrat sitzt?    

Die hat sich gestern meines Wissens nach in einer Pressekonferenz zu dem Thema veranstaltet und sich klar vom III. Weg distanziert.

Trauen Sie solchen Versicherungen? 

Na, wenn eine solche Aussage nicht nur von lokalen Vertretern dieser Partei, sondern sogar von Landtags- und Bundestagsabgeordneten kommt, sollte die Antwort schon verlässlich sein. Auch in unserer Stadt wurde die AfD gewählt. Gegenüber den Wählern ist sie in der Verantwortung. 

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert die EU-Kommission auf, einen Zaun oder gar eine Mauer entlang der EU-Außengrenze zu bauen. Wird das Problem damit gelöst?

Ob das der richtige Weg ist, kann ich nicht einschätzen. Fakt ist, dass es klare Regeln zu der Frage gibt: Was passiert, wenn ein Nicht-EU-Bürger europäischen Boden betritt!? Das gilt für Griechenland genauso wie für unser Nachbarland Polen. Aber – wir dürfen diese Länder nicht alleine lassen.

Aber Polen löst das Problem gar nicht. Statt die Ankömmlinge dort zu registrieren, schiebt es sie weiter nach Deutschland. Haben Sie darüber schon mit Ihrem Kollegen auf der polnischen Seite gesprochen?

Na klar, wir telefonieren fast täglich, und wir beide sind uns bei dem Thema völlig einig: Die Ängste der Ankömmlinge sind dieselben – egal, ob in Guben oder in Gubin. Die wurden auch schon bei Nacht und Nebel auf der polnischen Seite abgesetzt.  

Aber wenn sich Ihr polnischer Kollege an die Regeln halten würde, müsste er die Leute in Polen registrieren lassen. Und dann wäre Polen für ihr Asylgesuch zuständig, nicht Deutschland. 

Nein, die Leute müssen direkt hinter der belarussische-polnischen Grenze registriert werden. Man kann doch nicht den Kollegen in Gubin 500 Kilometer weiter westlich damit beauftragen. Wir sind uns beide einig, dass das Problem an der EU-Außengrenze liegt. Es kann nicht der europäische Gedanke sein, die Leute ins europäische Nachbarland ...

... also nach Deutschland ...

zu bringen.  

Bleibt die Frage, ob Ihr Kollege sie stoppen könnte, wenn er wollte. Die meisten wollen ja nach Deutschland.

Mein polnischer Kollege hat darauf genauso wenig Einfluss wie ich.

Aber jetzt schiebt es der eine auf den anderen, um am Ende landen die Leute in Deutschland.

Das ist richtig. Polen muss seiner Verantwortung nachkommen, und die anderen EU-Staaten müssen das Land unterstützen. Letztendlich sind wir in den Städten und Gemeinden entlang der deutsch-polnischen Grenze die Leidtragenden.

Eigentlich müsste Außenminister Heiko Maas die belarussische Regierung unter Druck setzen. Fühlen Sie sich von der Bundesregierung im Stich gelassen?

Nein, das kann ich so nicht sagen. Man hat ja reagiert. Man hat die Polizei verstärkt. Das haben wir am vergangenen Wochenende in Gastrose erlebt, als die Aktion des III. Wegs gestoppt wurde. Die Polizei hat in meinen Augen einen super Job gemacht.

Aber das eigentliche Problem ist ungelöst.

Ja, und es darf auch nicht sein, dass ein Vakuum dadurch entsteht, dass die eine Regierung geht und die andere kommt.

Haben Sie den Eindruck, dass es dieses Vakuum gerade gibt?

Ja.

Grünen-Chef Robert Habeck plädiert für eine EU-weite Unterstützung Polens bei der Aufnahme von Geflüchteten aus Belarus. Haben Sie Sorge, dass die neue Ampelkoalition einen liberalen Kurswechsel in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik einschlägt?

Das kann ich nicht beurteilen. Die Bundespolitik schwappt auf meine tägliche Arbeit überhaupt nicht herüber. Die Parteibücher der Bürgermeister spielen in dieser Situation auch keine Rolle. Wir haben dieses Problem und müssen zusehen, dass es gelöst wird. Sonst trauen die Bürger nicht nur der eigenen Regierung nicht mehr, sondern das gesamte Konzept Europa wackelt. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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