Grundgesetz - Der Verfassungsschützer

In seiner Freizeit organisiert der Berliner Richter Ulf Buermeyer Verfassungsklagen. Mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte will er in unruhigen Zeiten das Grundgesetz retten

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Mittels der strategischen Klageführung will Ulf Buermeyer „das Grundgesetz durch unruhige Zeiten retten“ / Julia Zimmermann
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Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Ulf Buermeyer ist eigentlich ein typischer Jurist, er spricht nüchtern und argumentiert präzise, neigt nicht zu Superlativen. Er ist Richter am Landgericht Berlin und derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Landesverfassungsgericht abgeordnet. Nur wenn es um das Grundgesetz geht, dann gerät der 41-Jährige mit der auffälligen schwarzen Brille vor dem runden Gesicht ins Schwärmen. Wir Deutschen hätten einen herausragenden Rechtsstaat, in dem – bei aller Kritik – vieles sehr, sehr gut laufe.

Doch Ulf Buermeyer macht sich Sorgen um den Rechtsstaat. Die Bevölkerung sei verunsichert, wegen der Medien, wegen Hartz IV, aber auch aufgrund anderer rasanter Entwicklungen, die populistische Bewegungen beförderten. Die Politik reagiere darauf zunehmend mit Sicherheitsversprechen, die zulasten der Freiheit gingen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, haben Buermeyer und seine Mitstreiter die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegründet. Das Grundgesetz sei eine großartige Errungenschaft, die es zu schützen gelte.

Das Grundgesetz durch unruhige Zeiten retten

Und so steht der Vorsitzende der Gesellschaft in einem schmucklosen Büro in Berlin-Mitte und referiert über Rechtsfragen. Ziemlich chaotisch sieht es dort aus, viele Akten liegen herum, Kartons mit Sektgläsern stehen in der Küche. Sie stammen noch von der Einzugsfeier im August vergangenen Jahres. An einem Tisch, der für den Raum viel zu groß wirkt, tippt ein Praktikant auf einem Laptop herum. „Start-up-Atmosphäre“ habe das Büro, findet Buermeyer. Von hier aus wollen er und seine zehn Mitarbeiter „das Grundgesetz durch unruhige Zeiten retten“, auf einem Weg, der hierzulande noch recht unbekannt ist: die strategische Klageführung.

Buermeyer kommt aus einem kleinen Ort bei Osnabrück. Er studierte Jura, Psychologie, Ägyptologie und Politikwissenschaft in Osnabrück, Leipzig, Rennes und New York. An der Goethe-Universität in Frankfurt promovierte er. Während seines Studiums an der Columbia University wurde Buermeyer erstmals auf die Idee der strategischen Klageführung aufmerksam. Viele amerikanische NGOs erzielten damit große Erfolge. Er besuchte einige dieser NGOs und lernte von ihnen, wie man Klagen politisch, strategisch, verfassungsrechtlich einsetzt.

Männer und Frauen sind gleichberechtigt

Doch als der Jurist deutschen NGOs davon berichtete, winkten diese ab. Alle hätten die Idee interessant gefunden, aber niemand konnte sie anwenden. „Da haben wir halt selbst eine NGO gegründet“, so Buermeyer. „Strategisch sind die Klagen deshalb, weil es nicht um den Einzelfall geht, sondern um ein grundsätzliches Rechtsproblem“, erklärt der Jurist. Also sucht die GFF nach Gesetzen, Gerichtsentscheidungen oder einer Praxis, die sie für verfassungswidrig hält. Wenn die Mitarbeiter Entsprechendes gefunden haben, machen sie Personen ausfindig, an denen sich der Verfassungsbruch beispielhaft darstellen lässt. Dann organisiert die GFF die Klage und bezahlt hochspezialisierte Anwälte, die die Klageschriften schreiben. Pro Verfassungsbeschwerde seien 25 000 Euro „marktüblich“.

Im Frühjahr 2015 zum Beispiel klagte eine Reporterin gegen ihren Arbeitgeber, weil sie das ZDF verdächtigte, für die gleiche Arbeit weniger Geld zu bekommen als ihre männlichen Kollegen. Das Arbeitsgericht in Berlin hat ihre Klage abgewiesen, aber nun unterstützen Buermeyer und sein Team die Frau, gehen mit ihr notfalls bis nach Karlsruhe. Den Aufwand betreiben sie nicht wegen der ZDF-Reporterin, sondern weil sie glauben, dass das Berliner Arbeitsgericht in seiner Entscheidung die Verfassung missachtet hat, genauer gesagt: Artikel drei, Absatz zwei: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Zu viel Einmischung in die Politik?

Zusammen mit Journalisten und Reporter ohne Grenzen hat die GFF Anfang 2017 Verfassungsbeschwerde gegen den Datenhehlerei-Paragrafen eingelegt, weil er den Umgang mit geleakten Daten unter Strafe stellt und dabei die Pressefreiheit nicht ausreichend schütze. Im Fall Kristina Hänel, der Gießener Ärztin, die wegen „Werbung“ für Abtreibungen verklagt wurde, sieht Buermeyer einen Verstoß gegen das Recht auf Berufsfreiheit. Wer sich so durch die Fälle der GFF klickt, der könnte sie durchaus in einem politischen Lager verorten.

Buermeyer, der SPD-Mitglied ist, streitet dies vehement ab, schließlich habe man Fördermitglieder aus allen Parteien, sagt er. „Ich glaube, nur von der AfD nicht“, schiebt er hinterher. Aber sei das Problem nicht eher, dass das Verfassungsgericht sich zu sehr in die Politik einmische? „Im Gegenteil“, antwortet Buermeyer, „das Verfassungsgericht will doch gerade über Parteigrenzen hinweg vermitteln“. Und seine GFF sei eben ein „Transmissionsriemen“, um der Verfassungsordnung zum Durchbruch zu verhelfen.

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.












 

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