Grüne und CDU in Baden-Württemberg - Wahlkampf auf Kosten der Gesundheit?

Grüne und CDU liefern sich in Baden-Württemberg einen heftigen Corona-Wahlkampf. Als vermeintliches Gewinner-Thema hat Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU) baldige Schulöffnungen ausgemacht. Doch der Schuss geht nun für beide Parteien nach hinten los.

Sind sich nicht grün: Susanne Eisenmann (CDU) und Winfried Kretschmann (Grüne) / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Noch knapp zwei Monate, dann wählen die Baden-Württemberger sich mitten in der Corona-Pandemie eine neue Landesregierung. Nach zehn Jahren mit einem grünen Ministerpräsidenten will die CDU sich dieses Mal unbedingt das Land zurückholen, das sie einst über Jahrzehnte hinweg beherrschen konnte. Wirklich verkraftet hat die Union es nie, dass ausgerechnet die Grünen ihnen im Jahr der Fukushima-Katastrophe und nach Monaten des desolaten Handlings der Anti-Stuttgart-21-Proteste die Vorherrschaft abgetrotzt haben - bundesweit noch immer ein Unicum.

Und so greift die Union die Grünen auf dem Gebiet an, das während Corona den wohl größten politischen Sprengstoff birgt und auf dem man sich den größten Zuspruch aus der Bevölkerung und aus der Wirtschaft erhofft: die Öffnung von Kitas, Schulen und Universitäten. Seit Monaten schon baut die CDU-Spitzenkandidatin und Kultusministerin Susanne Eisenmann darum Druck auf den grünen Koalitionspartner auf.

Immer dann, wenn Winfried Kretschmann in der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) zusammen mit der Bundeskanzlerin gerade mühsam einen Kompromiss ausgehandelt hatte, torpedierte Eisenmann mit eigenen Vorstößen zu Kita- und Schulöffnungen die soeben gefassten Beschlüsse und widersprach Kretschmann immer wieder öffentlich. Bei den Grünen ist man entsetzt darüber, dass Eisenmann die Akzeptanz der Maßnahmen auf diese Weise regelmäßig wieder untergräbt.

CDU und Grüne beschädigen sich

Das letzte Mal tat sie es kurz nach Weihnachten. In einem Interview warb sie trotz massiv steigender Infektionszahlen für Schulöffnungen bereits ab Anfang Januar. Präsenzunterricht sei durch nichts zu ersetzen, sagte sie. Schulen und Kitas seien außerdem nach allem, was man wisse, nach wie vor keine Infektionstreiber. Sie gab dieses Interview, obwohl da bereits klar war, dass die MPK am 5. Januar ohnehin zusammentreten wollte, um ein weiteres Vorgehen zu beschließen.

Ob diese Taktik allerdings aufgeht, darf inzwischen bezweifelt werden. Zwar zeigt der politische Druck Wirkung bei den Grünen. In der Folge aber wirken nun beide Koalitionspartner zunehmend beschädigt. Noch nie, so heißt es etwa aus der baden-württembergischen Lehrerschaft, habe es so viel Wut gegen eine Bildungsministerin gegeben wie derzeit. Selbst bei Lehrkräften, die der CDU zugeneigt sind. In Chats schicken sich die Lehrkräfte ein Kampagnen-Video von Susanne Eisenmann hin und her und haben nichts als Spott übrig. „Hallo, ich bin`s, die Nanni“ ist inzwischen zum Running Gag in virtuellen Lehrerzimmern geworden.

Wahlkampf auf Kosten der Gesundheit

Wut haben die Lehrerinnen und Lehrer vor allem wegen des Eindrucks, Susanne Eisenmann würde ihrer Fürsorgepflicht für ihre Beamten in keiner Weise gerecht. Der Gesundheitsschutz nicht nur der Schüler, sondern auch der mitunter sehr alten Kollegien würde aus wahlkampftaktischen Gründen geopfert. Der offenene Brief einer Lehrerin kurz vor Weihnachten brachte es für viele ziemlich gut auf den Punkt:

Ihre zu den Ministerbriefen wiederholt dazu geschriebenen „Dankesworte“, Frau Eisenmann, drücken diesen Respekt nicht im Mindesten aus – sie wirken wie ein Schlag ins Gesicht! HANDELN SIE ENDLICH, statt weiter leere Worte zu produzieren, sonst MÜSSEN Sie sich tatsächlich irgendwann selbst vor die Klassen stellen [...]

Seit Monaten fehlten etwa ausreichend Masken. Außer Lüften gebe es, ebenfalls nach Monaten, noch immer kein Konzept für sicheren Unterricht. Die sogenannte Notfallbetreuung sei ein Witz, weil die inzwischen jeder beantragen könne, ohne Nachweis. Zugleich werde nun über Wechselunterricht nachgedacht. Dass dies bedeutet, dass Lehrer damit doppelt unterrichten müssen, werde gar nicht bedacht oder diskutiert. Während die Kultusministerin auch nach Monaten keine Lernplattform präsentieren konnte, hatten sich viele Schulen längst selbst geholfen.

Die Sonderschulen hat die CDU-Ministerin bereits wieder öffnen lassen, weil etwa geistig behinderte Kinder digital nicht beschult werden könnten. Da solche Kinder aber oftmals nicht einmal Masken tragen können, sind nicht nur die Schüler selbst als Risikogruppe hoch gefährdet, sondern auch deren Betreuende. Auch hier ist die Reaktion Wut und Unverständnis.

Bildungsgerechtigkeit als Strohmann

Auch die Eltern laufen Sturm. Die einen, weil sie zum x-ten Mal nicht planen können. Die anderen, weil auch sie die Forderungen von Susanne Eisenmann angesichts der Infektions- und Todeszahlen für vollkommen verantwortungslos halten. Die meisten vermuten, Eisenmann würde sich bei ihrer Vorgehensweise von der Wirtschaft und den Arbeitgebern einflüstern lassen. Das Gerede von der Bildungsgerechtigkeit seit dafür eine makabre Ausflucht.

Und die Grünen? Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte lange versucht, sich aus dieser unheilvollen Diskussion herauszuhalten. Das führte aber dazu, dass gerade die Grünen-Wähler und auch Parteimitglieder zunehmend rebellierten. Der grüne MP würde sich kurz vor der entscheidenden Wahl auf der Nase herumtanzen lassen, so der Vorwurf.

Kretschmann wollte den Spieß umdrehen

Dieses Mal, so schien es, wollte sich Kretschmann nicht von Eisenmann vorführen lassen. Noch während die Bundeskanzlerin diese Woche die Ergebnisse der MPK zum neuen Mega-Lockdown verkündete, gab der baden-württembergische Ministerpräsident eine eigene Pressekonferenz. Und er vollzog kommunikativ das, was bislang Susanne Eisenmann tat. Plötzlich brachte auch er Schulöffnungen ab dem 1. Februar ins Spiel. Und das, obwohl die MPK gerade händeringend weitere Verschärfungen kommuniziert hatte.

Den Halbsatz, dass dies natürlich nur infrage käme, wenn die Zahlen es zuließen, hörte natürlich keiner mehr. Zurecht, denn dieser Satz wirkt wiederum so banal, dass er das ganze Statement ohne Not auch hätte sein lassen können, zumal während der Pressekonferenz der Kanzlerin. Denn wenn die Zahlen es zulassen, dann wollen wohl alle die Schulen wieder öffnen.

Kommunikationsdesaster für die Grünen

Die Idee, auf diese Weise Susanne Eisenmann mit einem erneuten eigenen Vorstoß in Schach zu halten, ging jedenfalls kräftig nach hinten los. In der Berichterstattung stehen die Grünen nun selbst als Öffnungs-Hardliner da. Lehrerschaft und Elternschaft haben das Gefühl, die Grünen würden vor den Forderungen der CDU einknicken. Alles sei nur dem Wahlkampf geschuldet, und es gehe weder um Gesundheit noch um Bildung. In einigen Umfragen liegen die Grünen derzeit rund fünf Prozentpunkte vor der CDU. In einigen aber liegen sie bereits gleichauf.

Tatsächlich ist es ein gefährliches Spiel, das CDU und Grüne im Südwesten treiben. Die Bildungsministerin, so der Plan, soll nun endlich ein Konzept erarbeiten, welches Schulöffnungen unter Pandemiebedingungen tatsächlich möglich machen könnte. An diesem Konzept könnte sie dann politisch gemessen werden. Schüler, Eltern und Lehrer warten gespannt.

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