Greta Thunberg - An ihr liegt es nicht

Familie Thunberg verfasste ein Buch, in welchem sie erklärt, dass Greta mithilfe ihres Engagements für das Klima ihre Depressionen überwand. Das ist aus psychologischer Sicht nicht ungewöhnlich. Als problematisch zu betrachten, ist eher ihre Anhängerschaft, schreibt der Psychiater Burkhard Voß

Heilsbringerin für die Massen? / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. med. Burkhard Voß ist Neurologe und Psychiater und Autor von „Deutschland auf dem Weg in die Anstalt“ (Solibro Verlag).

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„Doch das Adrenalin hält mich aufrecht, und ich kann ewig weitermachen. … Meine Freundin Kerstin ist mit Lina, einer Psychiaterin, befreundet und Lina und ich führen stundenlange Gespräche. … In Gretas Schule arbeitet eine Psychologin, die viel Erfahrung im Umgang mit Autismus besitzt. … In ihren Augen – und ganz im Vertrauen – zeige Greta sehr deutliche Merkmale des Autismus-Spektrums. ‘Asperger-Syndrom mit perfektionistischem Anspruch‘, sagt sie.“

Dieses Originalzitat stammt aus „Szenen aus dem Herzen“, verfasst von der Familie von Greta Thunberg. Darin wird beschrieben, dass Greta mit dem Klimaschutz ein Thema gefunden habe, durch welches sie dann ihre Depression überwinden konnte. Das kann sich durchaus so zugetragen haben. Dass eine sinnvolle Beschäftigung zur psychischen Stabilisierung wesentlich beträgt, ist ein nahezu normalpsychologisches Phänomen. Die Arbeitstherapie hat einen festen Stellenwert in der Behandlung von psychischen Erkrankungen und Arbeitslosigkeit ist manchmal die soziologische Bezeichnung für Depression. Sollte Greta Thunberg an dem Asperger-Syndrom leiden, so ist es die Arbeit als solche beziehungsweis ihr Engagement, das zu ihrer psychischen Genesung geführt hat. Nicht das Bekommen von Aufmerksamkeit. Die Gier nach Aufmerksamkeit ist der Spiritus Rector von Narzissten, Egomanen und Hysterikern. Autisten mögen keine Aufmerksamkeit.

Wenn die Eltern aber nun behaupten, nicht sie benutzten Greta, sondern Greta benutze sie, so kann dies nicht stimmen. Wer Menschen in einer freien Gesellschaft benutzen will, muss ihre Gefühle ansprechen, ihre Emotionen wecken, sie mitreißen. Aufgrund ihrer speziellen Symptomatik ist dies Greta Thunberg nicht möglich. Allenfalls könnte man sagen: die Eltern lassen sich benutzen indem sie Greta zuarbeiten, Reisen, Vorträge und Interviews für sie organisieren.

Auch psychisch Kranke vollbringen Großes

„Asperger-Syndrom mit perfektionistischem Anspruch“, das geht schon deutlich in die Richtung der Kernproblematik des Autismus: Überragend im Detail, mit dem Großen und Ganzen völlig überfordert.

Als Neurologe und Psychiater, der Greta Thunberg nie begegnet ist, kann ich die Richtigkeit dieser Diagnose nicht beurteilen. Grundsätzlich sind Ferndiagnosen ethisch problematisch und niemandem ist damit gedient. Grundsätzlich gilt aber auch, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen Großes vollbringen können.

Der Mathematiker John Forbes Nash (1928 – 2015) litt unter paranoider Schizophrenie, trug Bedeutsames zur Spieltheorie bei und erhielt den Nobelpreis. Diesen bekam auch Ernest Hemingway (1899 – 1961), ein Schriftsteller mit schwerem Alkoholismus und Depressionen. Auch von Winston Churchill (1874 – 1965) sind Depressionen bekannt. Zusammen mit den Alliierten besiegte er Hitlerdeutschland und gilt als einer der größten britischen Staatsmänner. Vincent van Gogh (1853 – 1890) erkrankte wahrscheinlich an einer schizoaffektiven Psychose. Er war Mitbegründer des Impressionismus und seine Bilder erzielen auf Auktionen Höchstpreise.

Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) litt unter Depressionen und Medikamentenabhängigkeit, gleichzeitig ist sie eine der größten deutschen Lyrikerinnen und nach ihr ist der jährlich vergebene Buchpreis benannt. Die gleichen Diagnosen sind bei Marilyn Monroe (1926 – 1962) unstrittig, sie hatte auf dem Höhepunkt ihrer Erkrankung die Angewohnheit, die Benzodiazepin-Tabletten anzustechen, damit der Wirkstoff schneller freigesetzt wurde. Ingeborg Bachmann und Marilyn Monroe – so unterschiedlich diese Frauen waren, so waren sie doch auch Genies in ihrer jeweiligen Profession, ordneten sich als solche keinen Maßstäben unter, sondern setzten welche.

Was ist das Asperger-Syndrom?

Diese kleine Auswahl genügt um zu zeigen, dass psychische Erkrankungen und Lebensleistung in keinem Widerspruch stehen. Manchmal sogar im Gegenteil. Von Autisten weiß man, dass sie zum Teil eine hohe mathematische Begabung haben und gut strukturiert arbeiten können. Manche Computerfirmen im Silicon Valley stellen deswegen bevorzugt Autisten ein. Das ist unter anderem ein Grund, warum es dort wesentlich mehr Autisten gibt als im US-amerikanischen Landesdurchschnitt.

Doch was ist überhaupt das Asperger-Syndrom? Dieses Syndrom gehört zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, die gekennzeichnet sind durch einen Beginn in der frühen Kindheit mit erheblichen Störungen in der wechselseitigen sozialen Interaktion und Kommunikation. Ungeschicktheiten in der Koordination und stereotype Verhaltensmuster treten ebenfalls auf. Die Intelligenz ist in der Regel nicht beeinträchtigt, häufig werden ausgestanzte Sonderinteressen beobachtet beziehungsweise die Fixierung auf ein ganz bestimmtes Thema.

Menschen mit Asperger-Syndrom haben nicht das Vermögen sich in andere Menschen hineinzuversetzen oder Gesichtsausdrücke zu erkennen bzw. Emotionen richtig einzuschätzen. Dadurch kommt es im Gemeinschaftsleben immer wieder zu erheblichen Irritationen und Konflikten. In der Konsequenz befinden sich diese Menschen häufig in einer Außenseiterposition. Allein am Computer und mit einer ganz bestimmten Aufgabe befasst, kommen sie wesentlich besser zurecht. Das weiß auch das Silicon Valley.

Nicht die Person Greta Thunberg ist das Problem

Warum sich jemand wie Greta als „Heilsbringerin“ eignet? Es hat wesentlich mehr etwas mit der Botschaft als mit der Person zu tun. Die Botschaft könnte auch eine feinfühlige, attraktive und psychologisch geschickte Schauspielerin ins Mikrofon sprechen, sie wäre genauso erfolgreich, wenn nicht noch ein wenig erfolgreicher. Einzig die Jugendlichkeit führt bei Greta zu einem hohen Identifikationspotential. Die „Fridays for Future“-Bewegung ist auch eine Jugendbewegung, die Kontroverse um die richtigen Maßnahmen zur Klimarettung auch ein Generationenkonflikt.

In der Person von Greta Thunberg sehe ich überhaupt kein Problem. Ein wenig problematischer ist ihre Anhängerschaft. Der FDP-Politiker Christian Lindner hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass Klimawandel eine komplexe Angelegenheit ist, die man nicht mit Massendemos und einfachen Botschaften beantworten kann. Völlig zu Recht meinten die einen, größtenteils wurde ihm jedoch Herzlosigkeit und Arroganz vorgeworfen. Streng wissenschaftlich gesehen ist die CO2-Hypothese eine Hypothese und kein unumstößliches Naturgesetz wie die Gravitationskraft. Natürlich ist die Einsparung von Emissionen grundsätzlich gut und ebenso gut meint es die „Friday for Future“-Bewegung. Andererseits übertritt sie das geltende Recht der Schulpflicht. Viel glaubwürdiger wären sie, wenn aus den Freitagsdemos Samstags- oder Sonntagsdemos würden. Durch die bewusste und konsequente Nichtbeachtung der Schulpflicht diskreditiert sich die Bewegung. Sollte am Ende die Lust am Grenzübertritt und der Provokation überwiegen?

Auch sind Massenphänomene generell mit einer gewissen bis gehörigen Skepsis zu bewerten. Die Masse, mag sie noch so zivilisiert sein, reduziert die intellektuellen Fähigkeiten des einzelnen Individuums und führt dazu, dass diese sich im Kollektiv verliert und seine kritische Einzelposition aufgibt. Es gibt sich affektiv der Masse hin und geht in ihrem Teig des Zeitgeistes auf. Dies beschrieb der zunächst als Arzt tätige Gustave Le Bon (1841 – 1931), der als Begründer der Massenpsychologie gilt. Seine Kenntnisse wurden durch die spätere Experimentalpsychologie im Wesentlichen bestätigt.

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