Covid-Pandemie - Das RKI verkürzt den Genesenenstatus

Das Robert-Koch-Institut definiert auf seiner Website den Genesenenstatus neu: Statt sechs Monaten soll er künftig nur noch 90 Tage gültig sein. Das RKI beruft sich dabei auf „wissenschaftliche Evidenz“. Ob die Bundesländer diese Neudefinition in ihre Corona-Verordnungen übernehmen, ist noch unklar.

Die 3 scheint für das Robert-Koch-Institut eine magische Zahl zu sein / dpa
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Florian Voß ist Autor, Game-Designer und Dozent für Lyrik.

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Allen ist klar, dass nach der Omikron-Welle Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen in diesem Land plötzlich einen Genesenenstatus haben werden. Und das wird nicht nur Einfluss auf den Verlauf der Pandemie nehmen, sondern auch auf die Diskussion über die mögliche Impfpflicht. Und genau in diesem Moment verkürzt das Robert-Koch-Institut den Status „Genesener“ von sechs auf drei Monate? Derweil die Schweiz den Status von sechs auf zwölf Monate ausgeweitet hat, gehen wir den entgegengesetzten Weg? Kann das wirklich sein?

Ja, es kann sein. Das RKI hat entschieden, den Genesenenstatus einzudampfen, obwohl ihm dazu die demokratische Legitimation fehlt. Das Institut legt eine Verordnung von Bund und Ländern nach eigenem Gusto aus. Und die Bundesregierung bestätigt im Nachlauf dieses Vorgehen.

Wellen der Empörung branden durch die Sozialen Medien, Fassungslosigkeit macht sich bei denen breit, die die Erkrankung durchgestanden haben, und die „Querdenker“ haben es sowieso immer schon gewusst. Es ist kaum zu glauben. Doch nach dem Eiertanz, den die Regierung beim Thema Impfpflicht hingelegt hat, nach dem „Impfpflicht niemals“, gefolgt von einem „Impfpflicht auf unbestimmte Zeit“, nach diesem ganzen Kommunikationsdesaster kann man es dann doch glauben.

Ein großes Missverständnis?

Dabei wirkte der Sachverhalt erst wie ein großes Missverständnis, ein weiteres Beispiel schlechter Public Relations. Denn die Meldung des RKI lässt sich schwer mit der Verordnung der Regierung in Einklang bringen. Ursprung des Aufruhrs ist ein Eintrag auf der Website des Robert-Koch-Instituts, in dem folgender Passus zum Genesenenstatus veröffentlicht wurde: „Ein Genesenennachweis im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung muss aus fachlicher Sicht folgenden Vorgaben entsprechen: a) Die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion muss durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) erfolgt sein UND b) das Datum der Abnahme des positiven Tests muss mindestens 28 Tage zurückliegen UND c) das Datum der Abnahme des positiven Tests darf höchstens 90 Tage zurückliegen.“

Das Wort „Genesenennachweis“ gleich zu Anfangs scheint eindeutig. Aber lockt dieses Wort den Leser nicht auf eine falsche Fährte, weil das Wort alleine nicht den Sachverhalt beschreibt? Erst der Bezug auf die nachfolgend erwähnte „COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung“ (was für ein bürokratisches Ungetüm) weist einen anderen Weg.

Nur auf Quarantäne bezogen?

Denn wenn man sich das Original der Verordnung auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums anschaut, scheint die Sache plötzlich anders auszusehen, die Empörung wie ein angestochenes Soufflé in sich zusammenzufallen. Denn dort ist mitnichten von einer generellen Verkürzung des Genesenenstatus die Rede, sondern hier bezieht sich der Passus ausschließlich auf die aktuellen, gerade neu erlassenen Regeln zur Quarantäne. Und diese neuen Regeln sollen ja eigentlich die pandemischen Beschwernisse der Menschen lindern, indem sie zulassen, dass eine Quarantäne von 14 auf sieben Tage verkürzt werden kann. Das soll nicht nur für zweimal Geimpfte in den ersten drei Monaten und für Geboosterte ohnehin gelten, das sollte auch für Genesene gültig sein, aber – und das schien der Ursprung des offensichtlichen Missverständnisses – eben nur in den ersten drei Monaten nach dem positiven PCR-Test.

Auf der Website des Ministeriums liest sich das mehr als eindeutig: „Für Isolation und Quarantäne gilt: Isolation (für Infizierte) und Quarantäne (für Kontaktpersonen) enden in der Regel nach 10 Tagen. Betroffene können sich nach einer nachgewiesenen Infektion oder als Kontaktperson nach sieben Tagen durch einen PCR-Test oder einen zertifizierten Antigen-Schnelltest „freitesten“. […] Ausnahmen von der Quarantäne gelten für: 1. Dreimal Geimpfte (Vollständig geimpft + Boosterimpfung). 2. Genesene innerhalb der ersten 3 Monate nach Erkrankung. [...]“

Doch kein Missverständnis?

Es sieht also zunächst so aus, als dürften Genesene demnach auch nach vier, fünf, sechs Monaten auf eine 2G-Veranstaltung gehen, sie dürfen sich nur eben nicht mehr nach sieben Tagen aus der Quarantäne freitesten. Es sah also so aus, als hätte es ein kleines Kommunikationsproblem beim RKI gegeben, eine verkürzte Darstellung der Bundesverordnung. In der aufgeheizten Diskussion der letzten Monate, in der die Gräben immer tiefer gezogen wurden und immer unübersichtlicher verlaufen, ist das natürlich Munition für einige Diskutanten. Aber letztlich wirkte es nur wie eine Schreckschusspatrone.

Doch die Stellungnahme des RKI, die auf unsere Anfrage folgte, lässt wenig Raum für wohlwollende Interpretationen: „Aufgrund der Änderung der Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung und die Einreise-Verordnung vom 14.1.2022 ist dem RKI die Aufgabe zugewiesen, die fachlichen Vorgaben für den Genesenenstatus zu erstellen. Das hat das RKI im Kontext dieser Verordnungen getan. Die Dauer des Genesenenstatus wurde von 6 Monate auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion einen im Vergleich zur Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion mit der Omikronvariante haben […]“ Das RKI fügt noch hinzu: „Ob die Länder dies so auch für ihre 2G/3G-Regelungen anwenden bzw. in ihren Verordnungen berücksichtigen, liegt nicht im Ermessen des RKI.“

Das heißt nun aber genau eines: Das RKI setzt eigene Bestimmungen in Kraft, die bindenden Charakter zu haben scheinen, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein. Vor allem aber lässt die Verordnung von Bund und Ländern diese Interpretation nur schwerlich zu, das RKI hebelt die Verordnung ihrem Sinn nach aus. Wohl müssen die einzelnen Bundesländer diesem Vorgehen noch zustimmen, aber ist es wirklich vorstellbar, dass sie sich dem RKI verweigern? Doch es melden sich erste Stimmen aus der Politik zu Wort, die ihre Verwunderung ausdrücken. Das Thüringer Gesundheitsministerium reagierte überrascht. Die neuen Fristen werfen in der Praxis viele Fragen auf, lässt eine Ministeriumssprecherin verlauten. Die Welle der Empörung wird also vorerst nicht abebben.

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