Corona-Debatten - Schweigen wäre besser

Die Gesundheitsminister der Länder wollen den Genesenenstatus nicht wieder auf sechs Monate verlängern - um die Bürger nicht zu „verwirren“. Dass die Gründe für die Verwirrung von der Politik selbst geschaffen wurden, was sich etwa auch an der schlecht durchdachten Impfpflicht für Pflegeberufe zeigt, fällt wieder einmal unter den Tisch.

Klaus Holetschek (CSU), Gesundheitsminister von Bayern / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Kennen Sie das auch: dieses erdrückende Schweigen nach Zenit und Orgasmus? Post coitum omne animal triste! Das wussten schon die alten Lateiner. Das Unerträgliche an der Erregung ist und bleibt halt die Zeit zwischen den Höhepunkten. Was soll man da schon sonderlich machen? Reden vielleicht? Sich verlegen am Rockzipfel zupfen oder eventuell doch nochmal einen Kaffee aufkochen? Bei Corona ist das eigentlich ganz ähnlich: Die Gesellschaft kämpft sich von Welle zu Welle; das wirklich Entscheidende aber ist und bleibt die oftmals viel zu lange Zeit in der Delle. 

Gut, mögen Sie jetzt einwenden, aktuell sind wir in einer neuen Aufwärtsbewegung. Es klettern die Inzidenzen, es häufen sich die Krankschreibungen. Was kümmert uns da das kommende Wellental? Aber seien wir mal ehrlich: Der nächste Kater ist doch so gewiss wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche. Und schaut man sich die aktuelle Hospitalisierungsrate sowie die Intensivbettenbelegung einmal näher an, dann gleicht die Welle – Omikron sei gepriesen! – seit Dezember eigentlich eh eher der Delle.

Willkommen im Dellenbad

Also sollten wir mal wieder reden. Ein kleines Gebabbel ohne Sinn und Verstand. Der Mensch ist eben nur Mensch dort, wo er spricht – und sei es auch nur, weil in der sozialen Lautverschiebung etwas Unruhe und Irritationen verschwinden. Die Politik macht es da dem Bürger ganz offen vor: Gestern etwa bei der Gesundheitsministerkonferenz zwischen Bund und Ländern. Da man bei einer solchen Veranstaltung ja nicht einfach mal offen über das Ende im derzeitigen Dellenbad reden kann, musste man die Zeit halt irgendwie mit anderen Gesprächsinhalten füllen; Hauptsache es entsteht kein Weißraum zwischen den Worten.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hatte da auch gleich eine gute Idee: Wie wäre es denn, wenn man den Genesenenstatus einfach mal wieder von drei auf sechs Monate verlängerte? Die vom RKI im Januar vorgenommene Verkürzung habe doch ohnehin nur zu „massiven Auswirkungen“ für die betroffenen Personen geführt, und der Rest des Landes leide ja eh längst unter „enormer Verunsicherung und Verärgerung“.

Lauterbachs Kommunikationsprobleme

Das sind Schwadronaden ganz nach dem Geschmack von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Hatte der nicht die nun beklagte überraschende Verkürzung des Genesenenstatus jüngst noch mit „Kommunikationsproblemen“ – und ergo wohl mit Schweigen begründet, das da zwischen ihm und dem RKI geherrscht habe? Gut also, dass man wenigstens unter Amtskollegen noch ein paar verwaschene Worte wechseln kann. Nur die verbrabbelte Sprache ist schließlich die Mutter des verqueren Gedankens.

Also schob man ein paar Sätze hin und her und schmückte die Konferenz am Ende mit phonetischem Allerlei, nur um dann zu der wirklich ausgefeilten Pointe zu gelangen, dass die bayerische Offerte eigentlich doch keine so gute Idee sei. Sicherlich, wissenschaftlich sei sie sehr überzeugend, doch wolle man, so die versammelte Sachverstand der deutschen Gesundheitspolitik, nicht mit einem erneuten Wechsel der Geltungsdauer für weitere Verwirrung sorgen

Pandemie und Palaver

Spätestens hier wird das deutsche Pandemie-Palaver zu einem Fall für die sprachkritische Wende. Denn wie meinte deren Vordenker Ludwig Wittgenstein einst: Die Grenze unserer Sprache ist die Grenze unserer Welt. So betrachtet wäre die Welt des deutschen Corona-Diskurses wirklich fast schon unendlich. Manch einer spottet gar, sie sei das einzig noch Offene in einer sonst längst endvernagelten Gesellschaft. Denn was hierzulande in den zurückliegenden zwei Jahren an wahrlich überflüssigen Debatten und Diskussionen geführt wurde, das hat eine Unbegrenztheit an Sinn und Verstand erreicht, dass einem eigentlich die Worte im Halse stecken bleiben müssten. 

Beispiel Impfpflicht in Kliniken und Pflege: Statt sich wenigstens in dieser Frage mal am Offensichtlichen zu orientieren – dass nämlich bei Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht die ohnehin äußerst dünne Personaldecke in den Kliniken zum Einsturz käme –, schob man über Wochen hinweg faktenblinde Argumente über Stammtische und Parlamentsbänke hinweg, nur um dann Mitte Dezember jene Verpflichtung zum Vakzin zu beschließen, die jetzt nicht nur beim Deutschen Pflegerat für Katzenjammer sorgt. Selbst die Gesundheitsämter schlagen dieser Tage Alarm: Man habe dort nämlich schlicht zu wenig Personal, um die Impfpflicht am Ende auch durchzusetzen.

Ein Hilferuf, der an die Politik gerichtet ist. Denn wenn man dort schon nicht schweigen kann, dann sollte man wenigstens Dinge sagen, die noch besser als das Schweigen sind. In Sachen Corona jedenfalls möchte man sich nur noch die Ohren zuhalten. Kommt das etwa dabei raus, wenn man einen Talkshow-König zum Gesundheitsminister kürt: Man redet sich durch die Mühen der Ebene und vergisst darüber fast schon die Höhepunkte? Wie effektiv könnte das Reden über die Krise eigentlich sein, wenn dabei nicht nur geschwätzt würde.

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