Früherer AfD-Sprecher Lüth - Der Problembär in der Mitte der AfD

Der ehemalige AfD-Fraktionssprecher Christian Lüth will Migranten „erschießen oder vergasen“. Auch ihn hat Parteigründer Alexander Gauland bis zuletzt geschützt. Der AfD fällt es zunehmend schwerer, eine bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten.

Zwei Tweed-Sakko-Träger, die sich verstehen: Lüth galt lange als Gaulands Einflüsterer / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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„Wir können die (Migranten) später immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst.“ Der Mann, der diese Worte sagt, ist Christian Lüth, und am 23. Februar diesen Jahres, als er diese Worte in der Berliner Newton Bar im Gespräch mit einer rechten Youtuberin ausspricht, ist er Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag. Das vertrauliche Gespräch wurde heimlich von einem Kamerateam von ProSieben aufgezeichnet und wird heute Abend in der Sendung ProSieben spezial: Deutsch, rechts, radikal ausgestrahlt.

Zuvor hatte Lüth in dem Gespräch ausgeführt, dass eine Verschlechterung der Lage in Deutschland der AfD zupass käme: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich scheiße, auch für unsere Kinder. (…) Aber wahrscheinlich erhält uns das“, sagt er in dem Video, aus dem heute exklusiv Zeit Online zitierte. 

Keine Überraschung 

Ganz überraschend ist es nicht, dass gerade von Lüth derart widerliche Äußerungen kommen: Zwei Monate nach dem Gespräch beurlaubte die Fraktion ihn von seinem Sprecherposten, weil er sich wiederholt als „Faschist" bezeichnet und sich mit seinem Großvater (in Wirklichkeit sein Großonkel) Wolfgang Lüth gebrüstet hatte, der im Zweiten Weltkrieg ein bekannter U-Boot-Kommandant war. 

Lüth, der zuvor zehn Jahre lang für die FPD tätig war und 2013 als Parteisprecher zur AfD wechselte, galt als Zyniker und Großmaul, der in Verbindung mit Alkohol regelmäßig über die Stränge schlägt. Schon im März 2016 hatte die damalige AfD-Chefin Frauke Petry sich von Lüth als Sprecher getrennt, weil interne Untersuchungen ergeben hatten, dass Lüth den Hitlergruß gezeigt hatte. Über die damaligen internen Untersuchungen schreibt Petrys Mann Marcus Pretzell heute auf Twitter. 

Unter Gaulands schützender Hand

Lüth überstand den Skandal damals jedoch: 2017 trat er zwar im Streit aus der Partei aus, aber seit dem Einzug der AfD in den Bundestag traf er sich als Sprecher der Fraktion mit den Hauptstadtjournalisten. Die gesamte AfD-Führungsriege, aber insbesondere AfD-Gründer Alexander Gauland hielt seine schützende Hand über Lüth – wie er seine schützende Hand auch bis zuletzt über seinen Brandenburger Kronprinzen Andreas Kalbitz hielt, den die Partei in diesem Jahr ausgeschlossen hat. Lüth sei ein Beispiel für „Gaulands katastrophale Personalpolitik“, heißt es nun in der Partei.

Im April 2020 beurlaubte die Fraktion Lüth zwar, sein Arbeitsverhältnis wurde jedoch nicht beendet. Laut FAZ war die AfD damit beschäftigt, einen neuen Posten für ihn zu finden, zum Beispiel als „Medienkoordinator”, wie es aus der Partei heißt. 

Ein Rausschmiss, der zu spät kommt

Heute nun stellten 34 Abgeordnete der AfD-Fraktion den Antrag, das Arbeitsverhältnis mit Lüth mit sofortiger Wirkung zu beenden. 34? Richtig, das ist nur ein Drittel der 89 Abgeordneten. Und das ist das Problem der AfD: Wie kann nach allem, was über Lüth bekannt ist, auch nur darüber diskutiert werden, dass er in einer Partei, die sich immer wieder um einen bürgerlichen Anstrich bemüht, eine Zukunft haben könnte? Immerhin: Gauland verkündete am Montagnachmittag den sofortigen Rausschmiss Lüths.

Aber es ist wie in anderen Fällen auch ein Rausschmiss, der viel zu spät kommt. Und der in diesem Fall besonders schwer wiegt, weil Lüth zwar kein hoher Funktionär der AfD war, aber als Gaulands Einflüsterer galt – ähnlich wie Andreas Kalbitz. Was sagt es über Gauland aus, dass er sich mit Leuten wie Lüth umgab – und ihm trotz allem, was über ihn bekannt war, nicht schon viel früher kündigte? Was sagt diese Tatsache aber auch über das restliche Führungspersonal der Fraktion aus, Alice Weidel, Tino Chrupalla und Co.?

Kein Betriebsunfall 

Der Wähler unterscheidet am Ende auch nicht zwischen Fraktion und Partei, wie es sich manche nun wünschen. Der AfD fällt es mit jedem dieser Fälle schwerer, eine bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten. Ein Lüth, das zeigt die Protektion von ganz oben, ist kein Betriebsunfall. Wie will die AfD noch glaubhaft vermitteln, dass nicht jeder Tweed-Sakko-Träger einer ist, der – wenn er sich unter seinesgleichen wähnt – kein Problem damit hat, Migranten zu erschießen oder zu vergasen?

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