Freie Wähler in Bayern - Der Unterschätzte

Hubert Aiwanger schaut dem Volk aufs Maul und macht daraus Politik. Mit der „Spezlwirtschaft“ der CSU hat er immer gefremdelt, und die Partei hat ihn lange belächelt. Doch nach der Bayernwahl muss sie vielleicht mit seinen Freien Wählern koalieren

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Hubert Aiwanger könnte bald neben Markus Söder Platz nehmen, obwohl er diesen einen „Diktator“ nennt / picture alliance
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Mike Schier (Foto MM) leitet das Politikressort des Münchner Merkur

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Unter bayerischen Journalisten kursierte zuletzt ein lustiges Spielchen: Trat Hubert Aiwanger ans Rednerpult des Landtags, führten sie Strichlisten darüber, wie oft es dem Fraktionschef der Freien Wähler gelänge, in seiner Rede das Wortungetüm „Straßenausbaubeitragssatzung“ unterzubringen. Und ganz egal, worüber im Plenum gerade diskutiert wurde, die Zahl der Striche lag im zweistelligen Bereich.

Die Episode erzählt viel über Hubert Aiwanger und sein Verhältnis zur politischen Elite in München. Der Niederbayer, dem man seine Herkunft deutlich anhört, kümmert sich mit Hingabe um Probleme, die die einfachen Leute auf dem Land umtreibt, von denen Städter aber nie gehört haben. Mit der Straßenausbaubeitragssatzung zogen Gemeinden Grundbesitzer zur Finanzierung von Straßenarbeiten heran – gerade dort, wo lange Wege zu abgelegenen Häusern führen, eine teure Angelegenheit. Aiwanger startete ein Volksbegehren. Von der CSU wurde das belächelt, die Leserbriefseiten der Regionalzeitungen aber waren voll mit begeisterten Reaktionen. Als die Landesregierung die Regelung änderte, war es zu spät: Aiwanger wird bei der Landtagswahl am 14. Oktober Kapital aus dem sperrigen Thema schlagen.

Mit 10 Prozent ins Landesparlament

Trotzdem wird der Mann aus Rahs­torf bei Landshut, der 47 Jahre alt ist, aber älter wirkt, gerne unterschätzt. Genauso wie seine Partei. Die Freien Wähler waren eigentlich eine kommunal ausgerichtete Vereinigung von Bürgern, die vor Ort pragmatisch Politik machen wollten. Christlich-Konservative, die mit der christlich-konservativen Partei haderten. Auch Aiwanger verdankt sein Landwirtschaftsstudium zwar nicht zuletzt einem Stipendium der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Trotzdem kam er nie auf die Idee, in die „Partei der Spezlwirtschaft“ einzutreten. „Es wurde bei uns offen gesagt, durch eine CSU-Mitgliedschaft hast du diesen oder jenen Vorteil“, erinnert er sich. „Das hat mich abgeschreckt.“

Jahrelang stritten die Freien Wähler, ob man eine richtige Partei sein wolle und für den Landtag kandidieren solle. Die ersten halbherzigen Versuche verliefen erfolglos. Erst als Aiwanger 2006 die Führung übernahm, kam Zug rein: Zwei Jahre später zogen die Freien mit mehr als 10 Prozent ins Landesparlament ein.

Das CSU-Prinzip, nur ohne CSU

Seitdem ist Aiwanger der starke Mann. Fraktionschef, Landesvorsitzender, Bundesvorsitzender, Und, logisch, 2018 wieder Spitzenkandidat. Gewählt mit 100 Prozent, keine Enthaltung. Böse Zungen, die von einer Ein-Mann-Partei sprechen, liegen nicht ganz falsch. Klar, es gibt den soliden Politikprofessor Michael Piazolo und mit Florian Streibl immerhin den Sohn eines ehemaligen CSU-Ministerpräsidenten. Aber wahrgenommen wird nur Aiwanger, der unermüdlich von Termin zu Termin hetzt. Obstbauerngenossenschaft in Igensdorf, Dackelclub Landshut, Hopfenrundfahrt. Aiwanger spricht mit Fischern über zu große Kormoranbestände und mit Landwirten über die Düngeverordnung. Stolz verkündet er via Twitter, wenn die Jagdzeitung Wild und Hund einen schönen Bericht über ihn geschrieben hat.

1000 solcher Termine absolviert Aiwanger im Jahr. „Ich versuche Eindruck zu hinterlassen, nehme aber auch viele Eindrücke mit.“ Es ist das CSU-Prinzip, nur ohne CSU. Aus den Gesprächen entstehen Themen, die sonst keiner anspricht. Die Straßenausbaubeitragssatzung. Oder die Hofabgabeklausel, nach der ein Landwirt ab dem 65. Lebensjahr nur dann volle Rente bekommt, wenn er den Hof an seinen Nachfolger übergibt. Das will Aiwanger als Nächstes angehen. Er kämpft für bessere Polizeiuniformen und den Erhalt von Krankenhäusern und Geburtsstationen, die immer öfter wegrationalisiert werden.

Ein Platz neben Markus Söder?

Aiwanger ist ein Populist im Wortsinn. Oft mit langem Atem, manchmal aber auch mit klaren Kurskorrekturen. Sein Versuch, vom Unmut über die Eurorettungspolitik zu profitieren, scheiterte kläglich. Genauso erging es ihm bei der Asylpolitik. Erst fuhr er einen harten Kurs, den er dann eigens bei einer Pressekonferenz beendete. Heute sagt er wieder: „Migranten, die nicht arbeiten und Ärger machen, müssen wir loswerden – sonst drohen uns bürgerkriegsähnliche Zustände.“

Wer solche Sätze hört, kann sich schwer vorstellen, dass Aiwanger 2013 mit SPD und Grünen koalieren wollte. Diesmal setzt er auf ein Bündnis mit den Schwarzen. Verliert die CSU die absolute Mehrheit, könnte Aiwanger am Kabinettstisch neben Ministerpräsident Markus Söder Platz nehmen, obwohl er diesen einen „Diktator“ nennt. Tatsächlich hat Aiwanger konkrete Pläne: ein Ministerium für „Energiewende und Digitalisierung“. Zwei Themen, die er im Land immer wieder hört. Dass beide nicht unmittelbar zusammenpassen, stört ihn nicht.

Dies ist ein Text aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.


















 

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