Frauenbilder - Die letzte Bastion des Patriarchats

In ihrer Kolumne schreibt Sophie Dannenberg über beiläufige Entdeckungen. Diesmal: Während alle im Rahmen der Metoo-Debatte männliche Übergriffe anprangern, wird sie zum Opfer übergriffiger Frauenzeitschriften beim Zahnarzt

Erschienen in Ausgabe
„Frauenzeitschriften machen einen so fertig, da ist eine Horde pfeifender Bauarbeiter gar nichts dagegen"
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Neulich beim Zahnarzt habe ich die letzte Bastion des Patriarchats aufgespürt. Nicht im Behandlungszimmer, wo der Zahnarzt mir väterlich den Arm tätschelte. Aber das war nett, nach einer fiesen Wurzelbehandlung – die letzte Bastion des Patriarchats befand sich im Warteraum auf dem Tisch. Die Rede ist von einem Stapel Frauenzeitschriften. Alle sagen #metoo, ich bin das Opfer übergriffiger Männer, aber ich sage, ich bin seit jener Wurzelbehandlung das Opfer übergriffiger Frauenzeitschriften.

Diese Dinger machen einen so fertig, da ist eine Horde pfeifender Bauarbeiter gar nichts dagegen. Beim Blättern musste ich erkennen, dass nichts an mir in Ordnung ist und dass ich wohl in eine Frauenerziehungsanstalt gehöre, denn diese Zeitschriften sind genau das. Erst mal ging es darum, wie ich alles kalkfrei sauber kriege oder wie ich den Teppich reinige. Es ging auch um Autos. Einer ist neulich eins abgebrannt, weil sie einen Fehler beim Tanken machte. Passiert wohl, wenn Frauen Auto fahren.

Zehn Grundsätze, die dich stärken! Von innen!

Die Liebe läuft auch nicht mehr so, aber dagegen gibt es genau vier Apps. Und vier Stellungen, in denen er länger kann. Abnehmen muss ich wohl auch, zum Beispiel mit der Wassermelonendiät: „Ganz einfach und genussvoll Gewicht verlieren“. Paar Seiten weiter: „Her mit dem Genuss! Warum wir wieder normal essen sollten!“ Und dann: „Rezept für Kakao-Marzipanwaffeln mit Amarenakirschen“, 555 Kalorien das Stück. Nicht gut für die Hüften, aber dagegen helfen: „Luftige Sommer-Outfits, die Cellulite kaschieren“.

Zum Schluss der Clou: ein Artikel darüber, dass Schlanksein nicht glücklich macht. Also macht euch doch alle mal locker! So wie die Autorin des Artikels, die einem zum Schluss noch reindrückt, dass sie zwei Kinder und einen Job hat und es trotzdem zweimal pro Woche ins Fitnessstudio schafft und zweimal zum Laufen in den Wald.

Schließlich erfuhr ich beim Zahnarzt noch, was Frauen über 40, also mir zum Beispiel, blüht. Sie tragen Kaschmir, der Mann geht fremd, sie trauern um ihren Hund, machen Achtsamkeitsübungen, färben sich die Haare und haben sieben Angewohnheiten, um gut zu altern. Und ist das jetzt Hautkrebs? Was tun gegen schwere Beine? Ach ja, und die Rückenschmerzen, auch dagegen gibt es Übungen. Vor allem aber: Lass los! Zehn Grundsätze, die dich stärken! Von innen! Ich wollte meine Kolumne schreiben, aber ich muss mich jetzt schnell mal erschießen.

Dies ist ein Text aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

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