Folgen der Pandemie - Keine bessere Welt durch Covid

Klimabewegte, Globalisierungskritiker und andere Träumer hofften, die Pandemie werde den Weg in eine solidarischere Gesellschaft ebnen. Das war von Anfang an naiv. Auch noch so große Einschnitte haben die Menschen nie grundlegend verändert.

Applaus für Pflegekräfte: das war einmal / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Vor zwei Jahren wurde in Deutschland die erste Infektion mit Covid-19 registriert. Schnell breitete sich das Virus aus, legte der erste Lockdown das Land weitgehend lahm. Damals überboten sich Klimabewegte, Gegner der marktwirtschaftlichen Ordnung, Globalisierungskritiker, Befürworter der Staatswirtschaft und vom Traum einer sanften Gesellschaft Beseelte dabei, die positiven Seiten der Pandemie zu betonen. Die Spiegel-Redaktion fasste die auch in ihren Reihen weitverbreitete Sehnsucht nach einer neuen heilen Welt auf dem Titel der Ausgabe 17/2020 so zusammen: „Der Aufbruch. Jetzt oder nie: Der Corona-Schock birgt die Chance auf eine bessere Welt“.

Knapp zwei Jahre danach haben wir die Pandemie noch lange nicht überwunden. Doch gewisse Veränderungen sind unübersehbar. Vor allem hat Deutschland einen Crashkurs in Digitalisierung hinter sich. Zudem ist das Homeoffice zu einer Alternative zum Schreibtisch im Firmenbüro geworden, jedenfalls tageweise. Des weiteren hat sich herausgestellt, dass Videokonferenzen manche Geschäftsreise ersetzen können. Schließlich sind sich Politik und Wirtschaft der Problematik einer zu großen Abhängigkeit von weltweiten Lieferketten bewusst geworden. Von einer Rückkehr zu wirtschaftlicher Autarkie sind wir freilich so weit entfernt wie zu Beginn der Globalisierung. Zudem zeigt sich mit der Dauer der Pandemie und den mit ihr verbundenen Einschränkungen, dass keine Technik den persönlichen Kontakt ersetzen kann – nicht beruflich und schon gar nicht privat.

Mehr Kälte und Egoismus

Die „bessere Welt“, die in den Träumen vieler Weltverbesserer und Menschheitsbeglücker dank des Virus zum Greifen nahe schien, war freilich von Anfang an das Ergebnis ideologisch motivierten Wunschdenkens. Renate Köcher vom Allensbach-Institut stellte kürzlich in der FAZ nüchtern fest, „den Verklärungen in der Anfangsphase, die Ausnahmesituation schweiße die Menschen zusammen und fördere Rücksichtnahme und Solidarität, hat die große Mehrheit nie Glauben geschenkt“. Schon am Ende des ersten Pandemiejahres, so die Meinungsforscherin, sei das gesellschaftliche Klima „als kälter und mehr von Egoismus und auch Aggressivität geprägt wahrgenommen“ worden als vor der Pandemie. Das Ergebnis der aktuellen Allensbach-Umfrage: Heute diagnostizieren 95 Prozent eine veränderte, 78 Prozent eine gravierend veränderte Gesellschaft. Aber: „Gerade einmal ein Prozent sieht eine Veränderung zum Positiven, 82 Prozent dagegen zum Negativen.“ So viel zum Thema vom neuen, durch das Virus geläuterten Menschen.

Nun war während des ersten Lockdowns und noch einige Zeit danach durchaus festzustellen, dass viele Menschen hilfsbereit waren und rücksichtsvoll miteinander umgingen. Als es noch keine Masken gab, an einem Impfstoff noch nicht zu denken war und vor allem die alten Menschen höchst gefährdet waren, entstanden spontan viele Initiativen. Beispielsweise boten sich die jungen Mitglieder von Sportvereinen oder von kirchlichen Jugendgruppen an, die Einkäufe der Älteren zu übernehmen.

Aus Rücksicht wurde Aggressivität

In vielen Nachbarschaften rückte man enger zusammen, half sich gegenseitig aus, auch bei der Betreuung von Kindern, als Schulen und Kitas geschlossen waren. Nicht nur Pflegekräften wurde öffentlich applaudiert. Auch die Supermarktkassiererin oder der Paketbote wurde freundlicher behandelt. Häufig war zu beobachten, wie Menschen aufeinander Rücksicht nahmen, um sich beim Einkaufen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu nahe zu kommen.

Tempi passati; das alles war einmal. Das kurzzeitig als viel menschlicher empfundene Klima hat einen drastischen Temperatursturz hinter sich. Die Menschen sind nicht nur aggressiver geworden. Mitarbeiter im Einzelhandel oder in der Gastronomie können berichten, was sie sich bisweilen anhören müssen, wenn sie Kunden höflich auf die Maskenpflicht hinweisen oder um den Impfnachweis bitten. Die negative Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zeigt sich ebenso bei den Protesten von Impfgegnern und Corona-Leugnern. Der bewusste Verstoß gegen Auflagen bei Demonstrationen, übelste Beleidigungen und persönliche Angriffe auf Politiker, früher das „Privileg“ links- und rechtsextremistischer Gruppen, sind bei den Protesten gegen Corona-Auflagen inzwischen gang und gäbe. Der Philosoph Peter Sloterdijk beklagte kürzlich, die Menschen seien während der Pandemie „enthemmter“ geworden. Von wegen „bessere Welt“!

Auch 9/11 hat die Welt nicht grundlegend verändert

Wir wissen noch nicht, wann wir wieder zu dem zurückkehren können, was wir vor Corona als normal betrachteten. Natürlich wird die neue Normalität anders sein als bis vor zwei Jahren. Aber unser Leben wird nicht grundlegend anders verlaufen als früher. Das zeigt der Blick auf zurückliegende einschneidende Ereignisse.

Hatte es nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht geheißen, diese würden die Welt grundlegend verändern? Oder war nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 nicht der weltweite Verzicht auf Kernkraft prognostiziert worden? Richtig ist: Die Sicherheitsstandards im Flugverkehr sind nach „9/11“ verschärft worden, was dessen kräftige Ausweitung aber nicht behindert hat. Auch sind nach Fukushima tatsächlich Kernkraftwerke stillgelegt worden, vor allem in Deutschland; aber weltweit sind viel mehr in Betrieb genommen worden.

Nach Corona wird es nicht anders sein als nach „9/11“ und Fukushima. Die meisten Bürger sind keine reinrassigen Egoisten. Aber solidarisch verhält man sich eher gegenüber nahestehenden Personen als gegenüber „der Gesellschaft“. Die „Normalos“ machen sich durchaus Gedanken über die Zukunft, aber die Probleme der Gegenwart liegen ihnen mehr am Herzen. Und die große Mehrheit beurteilt politische Entscheidungen nicht in erster Linie nach dem Nutzen für die Allgemeinheit, sondern nach den Vorzügen und Nachteilen für sich selbst und die eigene Familie.

Mögen links-grüne Politiker, Publizisten und Propheten dies alles auch noch so sehr bedauern: Das Covid-19-Virus mit allen seinen Varianten ist höchst ansteckend. Aber der alte Adam scheint dagegen immun zu sein.

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