Flutkatastrophe - Menschliches Versagen

Bislang hat die Flutkatastrophe mehr als 160 Menschenleben gefordert. Dabei hatten Meteorologen schon Tage zuvor Alarm geschlagen. Trotzdem weist der Präsident des Bundesamtes für Katastrophenschutz, Armin Schuster, jede Verantwortung von sich. Zu Recht?

Hätten Menschenleben gerettet werden können, wenn die Warnketten funktioniert hätten? / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es gibt Momente, da reicht eine Geste oder ein Satz, um das Ausmaß einer Katastrophe zu erahnen. Und als solche wird sich die Flut in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen ins kollektive Gedächtnis einbrennen. Plötzlich ist nichts mehr, wie es mal war. Sogar Politiker verlieren dann schon mal die Fassung. 

Am Sonntag hat es Helmut Lussi erwischt. Er ist Bürgermeister von Schuld, einem 700-Einwohner-Dorf in Rheinand-Pfalz, das am schlimmsten von der Naturkatastrophe getroffen wurde. Innerhalb von kurzer Zeit stieg der Pegel des Flüsschens Ahr von 3,60 Meter auf 8,87 Meter. Das Wasser schoss in den Dorfkern und zerstörte Häuser. Menschen verloren innerhalb von Minuten alles, was sie zuvor besessen hatten. Lussi kippte dann für einen Moment die Stimme weg, als er bei der Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin von den Folgen berichtete. Er weinte.

Vier Tage zuvor wurden Deutschland und Belgien gewarnt

Solche Bilder geben der Tragödie ein Gesicht. Man fragt sich: Wie konnte so eine Katastrophe ausgerechnet in Deutschland passieren? Schließlich, soviel weiß man inzwischen, brach sie keineswegs aus heiterem Himmel über Schuld und all die anderen Orte herein. Schon am 10. Juli, vier Tage zuvor, hatte das europäische Flutwarnsystem (Efas) die Regierungen von Deutschland und Belgien vor „extremem Hochwasser“ gewarnt. Und spätestens vom Mittwoch an konnte der Deutsche Wetterdienst (DWD) auch ziemlich genau vorhersagen, an welchen Orten bis zu 200 Liter Regen pro Quadratmeter herunterstürzen würden.

Hannah Cloke, Professorin für Hydrologie an der britischen Universität Reading, die das Europäische Frühwarnsystem zusammen mit anderen entwickelt hatte, geht hart mit dem Krisenmanagement in Deutschland ins Gericht. Sie spricht von „monumentalem Versagen“. Der Sunday Times sagte sie: „Die Tatsache, dass Menschen nicht evakuiert wurden oder die Warnungen nicht erhalten haben, legt nahe, dass etwas schiefgegangen ist.“

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Der BBK-Präsident übernimmt keine Verantwortung 

Die Efas habe die Daten an Deutschland übermittelt, aber „irgendwo ist diese Warnkette dann gebrochen, sodass die Warnungen nicht bei den Menschen angekommen sind“. Ganz so stimmt das nicht. Das hat der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, im Interview mit dem Deutschlandfunk klargestellt.

Klar, Sirenen seien keine ertönt. Die seien nach dem Kalten Krieg alle abgebaut worden. Dafür seien am Mittwoch aber Warnmeldungen der Kategorie I an eine Vielzahl von Rundfunk- und Fernsehsender herausgegangen – der höchsten Dringlichkeitsstufe. Die Feuerwehr sei mit Lautsprechern ausgerückt, um Bewohner in betroffenen Gemeinden zu warnen. Und viele Bürger hätten die Warnungen auch über die Apps „Katwarn“ oder „Nina“ erhalten. Nein, resümierte Schuster, „die Warninfrastruktur ist nicht unser Problem gewesen, sondern die Frage, wie sensibel Behörden, aber auch die Bevölkerung auf solche Warnungen reagiert hat“.

Kritik am förderalen Katastrophenschutz

Für die Hinterbliebenen der mehr als 160 Menschen, die diese Naturkatastrophe bislang das Leben gekostet hat, muss dieser Satz ein Schlag ins Gesicht sein. Schiebt Schuster den Schwarzen Peter doch den Städten und Gemeinden oder den Opfern zu. Suggeriert er doch: selbst schuld, wer sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringt.

Doch so leicht kann sich der BBK-Präsident nicht aus der Verantwortung stehlen. Grundsätzlich gilt im Katastrophenschutz zwar tatsächlich das „Örtlichkeitsprinzip“. Über Schutzmaßnahmen wird vor Ort entschieden. Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beeilte sich, nach Rücktrittsforderungen der Opposition ins Krisengebiet zu reisen. Kritik an der förderalen Struktur des Katastrophenschutzes wies er zurück. Er verunglimpfte sie pauschal als „billige Wahlkampf-Rhetorik“.

Doch lokales Krisenmanagement setzt voraus, dass die betroffenen Gemeinden auch tatsächlich informiert wurden. Und die Frage, ob die Warnketten in jedem Fall lückenlos funktioniert haben, kann schon jetzt verneint werden. Übereinstimmend berichteten Opfer in den Katastrophengebieten, sie hätten von nichts gewusst.

Hat der WDR die Warnungen ignoriert?  

Wer aber hat dann versagt? Die Frage ist so brisant, dass die in Frage kommenden Behörden sich entweder gar nicht erst zurückmelden oder jede Stellungnahme verweigern. Nehmen wir zum Beispiel den WDR. Hat der schon wegen seiner zögerlichen Katastrophen-Berichterstattung kritisierte Sender etwa auch die Unwetterwarnungen ignoriert? Nein, heißt es auf eine  schriftliche Anfrage von Cicero. Der Sender habe die Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes von Beginn an und fortlaufend vermeldet, auch am Mittwochmorgen und im gesamten weiteren Tagesverlauf. Das WDR-Fernsehen habe am Mittwoch um 20.15 Uhr in einem viertelstündigen WDR extra über die Flut berichtet und um 22.04 ein halbstündiges WDR aktuell zu dem Thema gesendet. 

Wie viele Menschen haben Zugriff auf die Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes, kurz „Nina“? Neun Millionen hätten sie installiert, heißt es beim BBK. In welcher Altersgruppe, erfährt man nicht. Kleiner Spoiler: Über 60-jährige Dorfbewohner zählen nicht zur Gruppe der Heavy User. Viele von ihnen müssten persönlich angesprochen werden. Die Flut hat aber vor allem kleinere Ortschaften getroffen, die wie das rheinland-pfälzische Schuld ehrenamtlich von Bürgermeistern regiert werden. Wie hätte es Helmut Lussi schaffen sollen, alle 700 Einwohner zu informieren? Man hätte ihm diese Frage gerne persönlich gestellt. Aber telefonisch ist er immer noch nicht erreichbar.

Sirenen funktionieren nicht bei Stromausfall

Die Mobilfunknetze in solchen Orten sind oft löcherig. Durch das Hochwasser fielen sie teilweise komplett aus, heißt es in einer Antwort des BBK auf eine schriftliche Anfrage von Cicero. Die Meldung, dass die Behörde gerade ein 88-Millionen-Euro-Programm aufgelegt hat, um die nach dem Ende des Kalten Kriegs abgeschafften Sirenen wieder zu installieren, dürfte auch niemanden beruhigen. Denn diese Sirenen funktionieren nicht, wenn der Strom durch Hochwasser ausfällt. 

100-prozentige Sicherheit, so das Fazit, kann es in einem solchen Fall also nicht geben. Das Ausmaß der Zerstörung wäre auch mit rechtzeitiger Warnung kaum geringer gewesen. Aber hätten nicht wenigstens Menschenleben gerettet werden können, wenn der Alarm überall angekommen wäre? Offenbar bedarf es erst einer Katastrophe, damit der Katastrophenschutz auf den Prüfstand gestellt wird.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, der WDR hätte die Anfrage von „Cicero“ nicht beantwortet, ob er die Unwetterwarnungen vermeldet hätte. Tatsächlich hat er aber von Anfang an und fortlaufend entsprechende Warnungen gesendet. Die Antwort mit dieser Information kam aber erst einen Tag später. Wir haben den Text daraufhin aktualisiert. 

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