Flüchtlingspolitik - Merkels verhängnisvollster Fehler

Man muss nicht Viktor Orbán heißen und ungarischer Hardliner sein, um zu sagen: Angela Merkel hat einen Fehler gemacht. Und zwar den größten in ihrer bisherigen Kanzlerschaft. Damit schadet sie dem Land – und sich selbst

picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Etwas über 25.000 Quadratmeter Nutzfläche bei 620 Mitarbeitern bietet das Berliner Kanzleramt, zahllose sanitäre Einrichtungen, eine funktionierende Heizung und einige für gewisse Zeit verzichtbare Abteilungen obendrein. Mit Hubschrauberlandeplatz umfasst das Terrain knapp 75.000 Quadratmeter. Viel Platz also für Zelte und Container.

Ideal. Man sollte ohne weitere Umschweife daran gehen, das Kanzleramt vorläufig und teilweise als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Schließlich hat die Amtsinhaberin selbst in ihrer denkwürdigen Sommerpressekonferenz dargetan, dass jetzt nicht Vorschriften und beamtenhaftes Bedenkenträgertum Richtschnur sein dürfen, wenn es gilt, die Abertausenden Flüchtlinge schnell und unbürokratisch unterzubringen.

Merkels Marschbefehl
 

In dieser Pressekonferenz hat Angela Merkel den katastrophalsten Fehler ihrer Amtszeit begangen, indem sie sagte, „wir schaffen das“ und damit all jene Flüchtlinge in Marsch setzte, die Deutschland und Europa jetzt an die und über jede Grenze der Hilfsbereitschaft führt.

Vor einigen Tagen habe ich an dieser Stelle noch darüber sinniert, was Merkel zu diesem unbedachten Wording gebracht haben mag, nachdem sie sechs Wochen vorher einem palästinensischen Mädchen genau das Gegenteil gesagt hatte: „Wir können nicht alle nehmen."

Es ist aber eigentlich auch egal, warum sie es getan hat. Fakt ist: Es war ein katastrophaler Fehler, der alle Schleusen geöffnet hat. Am Wochenende hat in einer Not-Pressekonferenz ihr Innenminister einen hilflos anmutenden Versuch unternommen, in Merkels Auftrag die Schleusen wieder zu schließen, in dem Schengen befristet außer Kraft gesetzt wurde. Sie hatte nicht den Schneid, vor ihr Volk zu treten und selbst einzuräumen, dass sie – aus welchem Motiv auch immer – einen fatalen Fehler gemacht hat.

Dieser Fehler stellt nun Deutschland und Europa auf eine ungeheure Belastungsprobe. Im Prinzip, es tut mir leid das zu sagen, bewahrheitet sich nun, was Ungarns Regierungschef Viktor Orbán immer gesagt hat: Das sind Merkels Flüchtlingsströme.

Was da kommt, kann weder dieses Land noch die Europäische Union noch der Kontinent Europa in dieser Geschwindigkeit und dieser Massierung schultern.

Es wird Verwerfungen geben. Was Merkel getan hat, wird gefährlich für die innere Stabilität dieses Landes und Europas.

Seehofer hat recht und Gabriel steht bereit
 

Und es wird gefährlich für sie selbst und ihre Kanzlerschaft. Es fällt einem nicht leicht, das nach all dem Unsinn zu sagen, den die CSU in den vergangenen Monaten und Jahren zu verantworten hat: Maut und Betreuungsgeld und so weiter. Aber jetzt hat Horst Seehofer eines, und nur eines: recht. Vielleicht ist die Wortwahl etwas schwierig, wenn es um Menschen in höchster Not geht und man dann von Flaschen und Stöpseln spricht: Aber wie soll dieser Strom, dieser Merkel-Strom wieder in einigermaßen geordnete Bahnen gelenkt werden?       

Es wird auch gefährlich für sie selbst. Zum ersten Mal in ihrer fast zehnjährigen Kanzlerschaft. Da braut sich was zusammen. In der Union und in der Gesellschaft. Horst Seehofer und die CSU haben sich schon von ihr distanziert, ihre treuen Knappen Volker Kauder und Thomas de Maizière halten ihr die Treue und versuchen zu halten, was zu halten ist. Aber auch in der CDU erodiert der Rückhalt für Merkel. Sie hat in einer Krisensituation in einem entscheidenden Moment Schwäche gezeigt. Das merkt eine Meute, und jede Partei ist eine Meute.  

Und sie hat eine kolossale Fehlentscheidung getroffen, die noch dazu inhaltlich quer zum Denken großer Teile des konservativen Spektrums steht.

Der Mann, der ihr im Unterschied zu Seehofer noch scheinbar treu zu Seite steht, tut das in Wahrheit schon nicht mehr. Es ist kein Zufall, dass Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel die Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge dieses Jahr von 800.000 auf eine Million erhöht hat.

Gabriel wird von nun an tun, was er am besten kann: Scheinbar zu ihr stehen und sie gleichzeitig grillen. 

Lesen Sie auch den Artikel: Merkel in Bedrängnis – Ist das der Anfang vom Ende?

Anzeige