Flüchtlinge in Deutschland - „Europa ist kein Paradies“

Paul Nkamani floh von Kamerun nach Deutschland. In Marokko traf er den Regisseur Jakob Preuss, der ihn von dort an auf seiner Flucht begleitete. Ein Gespräch über Integration, Grenzen und warum Europa nicht alle Flüchtlinge aufnehmen darf

„Wenn es keinen Krieg, Aufstände oder Ähnliches gibt und man einen Job hat, gibt es keinen Fluchtgrund“ / picture alliance
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Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Herr Nkamani, im Film lachen Sie darüber nach Deutschland, in ein Land ohne Schwarze, ziehen zu wollen. Wie gefällt Ihnen das jetzt, wo Sie hier sind?
Um ehrlich zu sein, gibt es sehr viele Schwarze hier. Mit dem Flüchtlingsstrom sind viele Afrikaner aus Eritrea, Äthiopien und Westafrika hergekommen. In der Hinsicht hat sich meine Hoffnung also nicht erfüllt (lacht). In Berlin sind die Leute Schwarze auch gewohnt. In Wilmersdorf, dem Berliner Stadtteil wo ich jetzt wohne, leben allerdings nicht so viele.

Gegenwärtig arbeiten sie als Krankenpfleger. Wie reagieren ihre Kollegen und Patienten auf Sie?
Das ist unterschiedlich. Ich bin dort jetzt seit fast zehn Monaten. Für manche bin ich noch fremd. Aber ich glaube, sie müssen sich einfach nur daran gewöhnen. Für Kollegen, die nicht aus Europa stammen, ist es sowieso kein Problem. Aber eine andere Kollegin fand es am Anfang nicht so gut, dass ein Schwarzer mit ihr zusammenarbeitet.

Sagt sie das auch ganz offen?
Ja, ein Mal. Ein anderer Kollege hat mich gefragt, ob ich eine Familie oder ein Kind in Deutschland hätte. Das habe  ich verneint. Daraufhin sagte er, dass ich dann später meine Familie und meinen Hund aus Afrika nachholen würde. Das ist häufig die Annahme – wenn einer kommt, kommen alle. Das finde ich nicht richtig.

Und die anderen Kollegen?
Für die ist das kein Problem.

Sagen Ihre Patienten auch manchmal etwas in der Richtung?
Mit den Patienten ist es wundervoll. Fast alle sind zufrieden mit mir und wollen mich wiedersehen. Trotzdem merkt man den Generationenunterschied beim Klischee des Ausländers. Viele sind auf eine nette Art neugierig und fragen, woher ich komme. Ich erzähle ihnen dann oft, dass Kamerun mal eine deutsche Kolonie war. Die Meisten wissen das bereits, weil sie das in der Schule im Geschichtsunterricht gelernt haben. Sie finden das nicht so schlimm, denn immerhin bin ich kein Muslim und komme aus keinem islamischen Land. An meiner Kreuzkette erkennen sie auch, dass ich Christ bin und das finden sie gut. Es ist ihnen sogar sehr wichtig, denn die meisten haben den christlichen Glauben.

Sie wohnen jetzt bei den Eltern des Regisseurs Jakob Preuss. Ist eine Privatunterkunft die bessere Alternative zum Flüchtlingsheim?
Es ist viel besser, bei jemandem zuhause zu sein. Flüchtlingsunterkünfte sind nicht so einfach. In dem Heim, in dem ich hätte bleiben sollen, gibt es zwar große Zimmer. In denen wohnen dann aber vier Leute. Deswegen gibt es keine Privatsphäre. Außerdem legen die Leute ganz unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag. Sie kommen von überall her und manche finden sich hier nicht so gut zurecht, sind sogar wütend. Problematisch ist auch, dass Menschen aus so unterschiedlichen Kultur- und Religionskreisen so eng zusammenleben.

In dem Film erzählen sie auch, dass Leute aus Kamerun, die es schon nach Deutschland geschafft haben, sehr positive Bilder über das Leben hier bei Facebook posten.
In Kamerun sieht man wirklich nur tolle Bilder aus Europa – saubere Straßen, schöne Autos. Die Leute versuchen zu zeigen, dass Europa ein Paradies ist. Es ist kein Paradies. Auch hier muss man weiter um sein Leben kämpfen. Es gibt nichts umsonst oder geschenkt. Erstmal braucht man einen Asyl-Status und danach Arbeit oder eine Ausbildung. Aber darum muss man sich schon selbst bemühen. Es ist nicht so einfach.

Posten Sie das auch auf Facebook?
Ich poste eher unfreiwillig. Ich mache das nur, wenn mich die Leute fragen. Meine Familie bittet mich zum Beispiel oft darum. Sie wollen sehen, wie ich gerade aussehe, wie es mir geht. Aber ich poste keine schönen Straßen oder Gebäude und behaupte, dass Flüchtlinge so leben. Natürlich möchte ich auch schöne Fotos von mir haben, aber das ist für mich. Das ist meine Geschichte. Später kann ich die anschauen und sagen, schau, da habe ich in Deutschland gelebt. Aber die teile ich nicht.

Im Film sagen Sie auch, dass nicht alle Menschen aus Subsahara-Afrika nach Europa kommen sollten. Warum?
Weil Afrika sonst leer wäre (lacht). Nein, aber Spaß beiseite. Europa hat auch eigene wirtschaftliche Probleme. Trotzdem ist es besser als bei uns. Aber wenn alle Leute herkommen, werden sich die Probleme vermehren. Es gäbe dann auch mehr Konkurrenzkampf um die Arbeitsplätze, die Wohnungen und so weiter.

Sollte die EU ihre Grenzen also überall so schützen wie am Grenzzaun von Melilla, der spanischen Exklave in Marokko?
Die Grenzen zu schließen ist nicht die Lösung. Wenn die reichen Länder Europas mehr in die afrikanischen Länder investieren würden, könnten sie bei uns mehr Arbeitsplätze schaffen. Wenn jemand einen Job in seinem Heimatland hat, warum sollte er nach Europa kommen? Für was? Wenn es keinen Krieg, Aufstände oder Ähnliches gibt und man einen Job hat, gibt es keinen Fluchtgrund. Die Leute wollen immer lieber zuhause bei ihren Familien sein.

Der Grenzzaun zwischen Melilla (Spanien) und Marokko ist die schärfste EU-Außengrenze / picture alliance

Wenn es also mehr Investitionen gäbe, würde sich dann niemand mehr auf den gefährlichen Weg durch die Sahara oder über das Mittelmeer machen?
Niemand! Selbst wenn Europa nach Aushilfskräften fragen würde, niemand würde kommen. Die Leute gehen nicht nach Europa, weil es hier so schön ist. Afrika ist Europa mehr als hundert Jahre hinterher. Es würde aber nicht so lange dauern, den Rückstand aufzuholen. Um ein Beispiel zu nennen: 1960 waren China, Südkorea und Ostasien auf dem gleichen Entwicklungsstand wie Subsahara-Afrika. Jetzt haben wir 2017 und China und Südkorea sind sehr viel weiter. Dafür haben sie keine 100 Jahre gebraucht. Es kann also auch ziemlich schnell gehen.

Aber beide Länder haben einen ziemlich hohen Preis für diese Entwicklung gezahlt. 
Ich glaube nicht, dass das heute – im Jahr 2017 – noch so geschehen würde. Dank der heutigen medizinischen Entwicklung könnten im Gegensatz zu China alle Leute davon profitieren. Afrika ist zwar arm und ausgebeutet, aber nicht, weil es keine Technologie gibt. Wenn Europa uns helfen würde, könnten wir das auch schaffen.

Mangelnde Liquidität ist ein Problem. Oft wird das aber noch durch Korruption verschlimmert. Viele Länder sind von Partikularismus und Clanstrukturen geprägt. Muss sich dort nicht zuerst etwas ändern?
Das geht aber Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Verbessert sich das Eine, verbessert sich auch das Andere. Probleme wie Korruption entstehen aus wenig Möglichkeiten zur Arbeit. In Europa gibt es auch Einzelfälle von Korruption. Es ist aber sehr selten. Warum? Weil es viel zu tun gibt. Man muss das nicht machen. Bei uns bewerben sich zu viele Menschen auf einen Arbeitsplatz. Das fördert die Korruption zusätzlich und macht unsere Gesellschaft kaputt.

Mehr Geld bedeutet aber nicht zwingend, dass es besser funktioniert.
Das stimmt. Aber nur dank des Marshall-Plans wurde Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgebaut. Ohne den wäre das Wachstum nicht möglich gewesen. Das ist wie bei uns. Afrika braucht auch einen Marshall-Plan.

Der wurde jetzt ja von unserem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit vorgelegt.
Das ist nur Politikgerede. Das wird wahrscheinlich nicht umgesetzt. Sehen Sie diesen Kaffee? (Deutet auf den Kaffee vor sich) Man trinkt ihn in Europa jeden Tag. Bei uns wird er angebaut, aber ich trinke nicht jeden Morgen einen Kaffee. Europa nimmt sich nur den Rohstoff und verarbeitet ihn bei sich weiter. Danach kommt das Endprodukt wieder zu uns. Warum? Das muss doch normalerweise eine Fabrik bei uns machen. Das schafft auch Arbeitsplätze und nach der Arbeit können wir dann einfach alle zusammen einen Kaffe trinken gehen (lacht).


 

 Am 31.8.2017 ist Kinostart des Dokumentarfilms „Als Paul über das kam“, Farbfilm Verleih, 97 Minuten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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