Überfall auf den Club „le Frosch“ in Frankfurt/Oder - „Was uns an diesen Männern erschreckt hat, ist ihre Brutalität und Rücksichtslosigkeit“

Ein bewaffneter Überfall auf den Musik-Club „le Frosch“ hat das Sicherheitsempfinden der Bewohner von Frankfurt (Oder) erschüttert. Der Oberbürgermeister, René Wilke, fordert jetzt die Ausweisung der syrischen Intensivtäter – gegen den Widerstand seiner Parteifreunde aus der Linkspartei

Frankfurt (Oder) ist schockiert über den Angriff auf den Musik-Club „le Frosch“ / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Mit 34 Jahren ist René Wilke der jüngste Oberbürgermeister in Brandenburg – und der einzige von vier OBs mit Linke-Parteibuch. Wilke ist in Frankfurt (Oder) aufgewachsen. Er hat Kultur-, Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina studiert und sich als Mediator mit dem Schwerpunkt Konfliktmanagement qualifiziert. Er ist erst seit vier Monaten im Amt und gilt als politisches Ausnahmetalent. 

Herr Wilke, der bewaffnete Überfall von zehn Syrern auf die Disco „le Frosch“ in Frankfurt (Oder) fand in derselben Nacht statt wie der tödliche Übergriff an dem Deutsch-Kubaner in Chemnitz. Wieso beschäftigt der Todesfall noch heute die Medien, und den Überfall hat außerhalb von Frankfurt (Oder) kaum jemand zur Kenntnis genommen?
Schwer zu sagen. Ich bin darüber nicht traurig und nehme an, der Überfall auf den Club war Gott sei dank weniger tragisch. Die Frankfurter haben aber auch besonnen reagiert. Es ist niemand auf die Straße gegangen oder hat andere pauschal in Mithaftung genommen.

Nach dem Überfall waren Sie einer ersten  vor Ort. Haben Sie den Betreibern dazu geraten, den Überfall nicht an die große Glocke zu hängen?
Sowas mache ich nicht. Das haben sie selber entschieden. Wir waren sofort im engen Dialog. Was ihnen geholfen hat, war das Gefühl: Sie werden von der Politik gehört, ihre Probleme werden ernstgenommen, nicht alleine gelassen und wir reagieren sofort mit Maßnahmen. Dadurch entstand Vertrauen.

Und das hat in Chemnitz gefehlt?
Das kann ich nicht einschätzen und maße ich mir auch nicht an.

Politikverdrossenheit ist ein gesamtdeutsches Phänomen. Sie ist im Osten noch ausgeprägter als im Westen. Gab es in Frankfurt (Oder) gar keine wütenden Reaktionen?
Na klar, haben sich einige gemeldet. Aber das war nicht die Mehrheit. Ich glaube, man kann Frankfurt (Oder) nicht mit Chemnitz vergleichen. Wir haben schon Vorerfahrungen mit Integration. Frankfurt (Oder) liegt direkt an der deutsch-polnischen Grenze. Fremde kennenlernen, aufeinander zugehen und zusammenarbeiten – wir haben das schon mal gemacht. Man könnte sagen: Frankfurt hat Integration schon trainiert. 

Wie hat sich das ausgwirkt?
Wir sind durch die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen, bundesweit eine Beispielstadt für gelungene Integration geworden. Die Frankfurter wissen: Dieses Bild von den Bösen, die zu uns kommen, ist Quatsch. Die allermeisten Flüchtlinge sind eine Bereicherung für uns.

Woran machen Sie das fest?
Die Stadt brauchte zum Beispiel dringend ehrenamtliche Rettungsschwimmer am Helene-See. Und wissen Sie, wer sich zur Rettungsschwimmer-Ausbildung gemeldet hat? Flüchtlinge. Leute, die vorher teilweise gar nicht schwimmen konnten. Jetzt schützen sie gemeinsam mit Deutschen die Badegäste. Es gibt aber auch Beispiele, wo Geflüchtete für alte Menschen in ihren Wohnhäusern einkaufen und die alten Menschen ihnen dafür beim Deutschlernen helfen.

Und das läuft von allein, ohne dass die Stadt eingreift?
Ja und Nein. Die Politik muss sich schon darum kümmern. Vor dem Überfall auf den Frosch hat es auch schon Schlägereien in der Stadt gegeben, an denen dieselben Syrer beteiligt waren. Gemeinsam mit der Polizei und dem Innenministerium haben wir sofort dafür gesorgt, dass eine Hundertschaft der Polizei hier zum Einsatz kommt und die Sicherheit erhöht. Wir haben den Sicherheits- und Präventionsrat einberufen und Sozialarbeiter beim Land beantragt. Wir sind über den Imam an die muslimische Community herangetreten. So haben wir den Frankfurtern gezeigt, dass wir bei Gewalttaten einerseits sofort einschreiten, andererseits aber auch weitere Maßnahmen zur Integration ergreifen.

Ende der neunziger Jahre sah es in Frankfurt (Oder) noch ganz anders aus. Da wurde die Stadt von jugendlichen Rechten regelrecht terrorisiert. 
Ich habe solche Geschichten selber in meiner Jugend erlebt. Ich bin in Frankfurt (Oder) aufgewachsen. Die Situation wurde besser, als Polen 2007 dem Schengen-Raum beitrat und sich die Grenze öffnete. Frankfurt (Oder) ist ja durch eine Brücke mit der polnischen Stadt Slubice verbunden. Wir haben deutsch-polnische Kooperationen gegründet und unsere Nachbarn als Partner kennen und schätzen gelernt. Eines meiner Themen im OB-Wahlkampf im März dieses Jahres war: Frankfurt/Slubice – als europäische Doppelstadt. Wir wissen hier: Es geht nur gemeinsam. Damit haben wir dem Rechtsradikalismus auch Boden entzogen.

Gibt es heute gar keine Rechten mehr in der Stadt?
Doch. Vereinzelt – wie überall. Aber sie spielen in der Stadt keine große Rolle mehr.

Jetzt hat das Sicherheitsempfinden der Partybesucher durch den Überfall auf den Frosch aber einen schweren Knacks bekommen. Ohne Vorwarnung stürmten plötzlich mit Messern, Eisenstangen und Steinen bewaffnete Männer den Club und schlugen wahllos auf Gäste ein.  
Das war eine furchtbare Situation. Menschen hatten Todesangst. Trotzdem haben die Betreiber einen Appell an die Frankfurter auf ihrer Facebookseite gepostet, der das Verbindende betont: Wir wollen nicht, dass der Überfall die Bevölkerung spaltet! Vergesst nicht, dass die meisten Flüchtlinge tolle Menschen sind. Ein paar von denen waren ja auch zu Gast in dem Club, als das passierte. Die wurden genauso angegriffen.

Macht Sie dieser Aufruf als OB stolz? 
Der Umgang der Frankfurter damit? Ja! Und ich wünsche mir, dass Frankfurt ein Vorbild für andere Städte sein kann, wie man mit Integration, gesellschaftlichen Zusammenhalt aber auch dem Phänomen der Gewalt von einigen wenigen Geflüchteten umgehen kann. Ich glaube, dass wir als Land auf bestimmte Herausforderungen nicht vorbereitet sind. Wir haben vielen Menschen Schutz gegeben, die ihn brauchten. Es sind aber auch ein paar Verbrecher dabei.

Woher rührt deren Wut, wenn sich die Stadt doch so bemüht, sie zu integrieren?
Das sind eben brutale Gewalttäter. Wir haben 1500 Geflüchtete in Frankfurt. Etwa fünfzehn von denen gehören zu dieser gewaltbereiten Gruppe  – also ein Prozent. Wenn ich 1500 Frankfurter in ein anderes Land verfrachten würde, wären da auch ein Prozent dabei, die Mist bauen. Gut, natürlich kann man über diese Syrer sagen, die haben in ihrer Heimat oder auf der Flucht Dinge erlebt, die man im Leben nicht erleben sollte. Aber es gibt auch ganz viele andere, die etwas ähnliches erlebt haben und sich trotzdem an unsere Gesetze halten. Was uns an diesen Männern erschreckt hat, ist ihre Brutalität und Rücksichtslosigkeit. Der Haupttäter war der Polizei schon vorher als Intensivtäter bekannt. 

Warum ist der dann trotzdem frei herumgelaufen?
Die Taten reichten bislang nicht aus für eine dauerhafte Verurteilung. Um ihn für sehr lange Zeit wegzusperren, muss wohl noch mehr passieren. Das regt auch mich sehr auf. 

Deswegen haben Sie der Boulevardzeitung BZ gesagt: „Ich will nicht warten, bis es den ersten Toten gibt.“ Haben Sie sich damit nicht ein bisschen zu weit zum Fenster herausgelehnt?
Ich denke nicht. Denn mit dem Ausweisungsverfahren tun wir nun das, was in unserer Macht steht. Aber rechtlich ist das eine schwierige Kiste. Es gibt hohe Hürden. Denn ich betrachte auf der einen Seite die bisherigen Taten und unterstelle daraus abgeleitet eine weitere, große Gefahr, die von diesen Tätern ausgeht.

René Wilke 

Wie begründet ist ihre Angst?
Die Täter wurden beim Überfall auf den „Frosch“ gefilmt. Auch andere Übergriffe sind dokumentiert. Sie haben versucht, mit Messern auf Gäste einzustechen. Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass dabei niemand umgebracht wurde. Es besteht also kein Zweifel daran, dass diese Personen eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen.

Was können Sie jetzt tun?
Ich könnte warten, bis noch Schlimmeres passiert und es allein dem Strafrecht überlassen. Das reicht aus meiner Sicht aber nicht. Ich muss alles mir mögliche für den Schutz meiner Stadt tun. Deshalb bleibt mir nur noch das Ausweisungsrecht. Das ist nicht einfach. Die Haupttäter kommen aus Syrien, aus einem Land, das derzeit noch als problematisch eingestuft wird. Deshalb können sie derzeit nicht dorthin abgeschoben werden. Ich will aber jetzt eine Entscheidung herbeiführen, damit wir vollziehen können, wenn sich die Einstufung ändert.

Die Ausländerbehörde  und die Polizei prüfen gerade, ob die Möglichkeit einer Ausweisung besteht. Wie stehen Ihre Chancen ?
Das Verfahren ist kompliziert. Es gibt große Hürden. Wir müssen den Nachweis führen, dass die Gefahr für die Allgemeinheit höher wiegt als das Bleiberecht. Das ist nicht einfach.

Zumal dieser Fall kein Einzelfall ist. Er reiht sich ein in eine Kette von ähnlichen Vorfällen  in Chemnitz, Koethen, Kandel, Freiburg oder Wiesbaden – alle mit tödlichem Ausgang. An welchen Stellschrauben muss die Bundesregierung drehen, um Straftäter schneller abschieben zu können?
Das Ausweisungsrecht hat hohe Hürden. Dafür gibt es gute Gründe. Es muss aber auch umsetzbar sein. In Kriegsgebiete kann nicht abgeschoben werden. Das ist richtig so. Ich halte es für problematisch, dass jede Kommune, mit eigenen Strukturen, selbst für Abschiebungen zuständig ist. Justiz und Polizei braucht dringend eine angemessene Ausstattung. Der Rechtsstaat muss jederzeit zügig handeln können. Und ich glaube, wir brauchen einen Zwischenschritt. Es muss etwas zwischen potentieller Gefahr und Inhaftierung geben. Ich denke an Traumazentren, die dafür sorgen, dass geholfen wird wo es möglich ist, festgestellt wird, wo Hilfe gar nicht gewollt ist und erwiesenermaßen gefährliche Menschen zugleich aber nicht frei herum laufen bis etwas schlimmeres passiert. 
 

Sie klingen nicht besonders zuversichtlich.
Es gab in der Vergangenheit schon Fälle in anderen Kreisen, da hat es funktioniert. Brandenburgs Innnenministerium hilft uns. Wir müssen es versuchen. Denn was wäre die Alternative? Wie kriegen wir es sonst hin, unter diesen Voraussetzungen noch die Akzeptanz für Integration aufrechtzuerhalten? Mir geht es darum, den großen Teil der friedlich hier lebenden zu schützen, Pauschalurteile zu verhindern, Integration weiterhin zu ermöglichen und rechter Hetze den Boden zu entziehen.

In Ihrer Fraktion stehen Sie mit dieser Meinung allein. Parteifreunde werfen Ihnen vor, Sie vermischten Asyl- und Strafrecht. Was entgegnen Sie denen?
Ich bin in allererster Linie der Sicherheit der Bürger verpflichtet. Dafür nutze ich die rechtsstaatlichen Mittel. Ich glaube, dass ich mit dem, was ich hier tue, die Errungeschaften der Integration verteidige. Auch gegen einige wenige, die das mit Füßen treten und andere Menschen gefährden.

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