Das #fedidwgugl-Haus - Wo Merkel sich entspannen kann

Die CDU ist in Berlin mit ihrem Bundeshauptwahlkampfstand gleich in ein ganzes Haus eingezogen. Im dem „begehbaren Wahlprogramm“ geht es allen gut. Auch Angela Merkel kommt hier gern vorbei, um sich im Wahlkampftrubel fallen zu lassen

Der Blick in den Spiegel soll zeigen, wie die Besucher des Fedidwgugl-Hauses in die Zukunft schauen / Bastian Brauns
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Der Besitzer des libanesischen Imbisses in Berlin-Mitte rückt den Bilderrahmen zurecht, der auf seiner Auslage-Vitrine steht. „Vor zwei Wochen war sie schon mal hier“, sagt er. Auf dem Bild isst die Bundeskanzlerin gerade Falafel. Es hat ihr geschmeckt. Er hat sie gerne eingeladen. Nur das Foto ist etwas verwackelt.

Der Pop-up-Start-up-Schalt-ab-Tempel

Seit die CDU nebenan im ehemaligen Warenhaus am Weinberg ihr begehbares Wahlprogramm aufgebaut hat, kommt Angela Merkel öfter nach Mitte. Hier geht es ihr gut. Hier geht es allen gut. Nie ging es allen besser. So soll es immer bleiben. Keiner soll dieser Hauptbotschaft der Union im Berliner Bezirk Mitte entfliehen. Den Grund zur Freude tragen alle Gäste als Erkennungszeichen in Form eines schwarzen Stoffbandes am Handgelenk. In Piktogrammen eingewebt heißt es darauf „I love Merkelraute“. Die zum Symbol gewordenen, aneinander liegend gespreizten Kanzlerinnenhände waren schon im letzten Bundestagswahlkampf das eigentliche Wahlprogramm der CDU: Seht her, ich Merkel, ruhe in mir, wäge ab. Wenn es nicht anders geht, entscheide ich.

Vier Jahre später ist vieles anders in Deutschland. Die Bundeskanzlerin hat keine leichten Tage hinter sich, obwohl Martin Schulz keine Gefahr darstellt. Die „Hau ab! Hau ab!“-Rufe aus Bitterfeld dürften in ihr aber noch eine Weile nachhallen. Menschen mit vom Hass verzerrten Gesichtern hatten Merkel dort eine halbe Stunde lang am Stück ausgebuht, ausgepfiffen und niedergeschrien. Merkel blieb, kein Wort richtete sie aber direkt an den Mob.

Roaring Twenties im Wohlfühlhaus

In Berlin-Mitte ist das anders. Auch hierher kommen Menschen ihretwegen. Aber hier wird gesungen und gelacht. Die deutsche Jazz- und Soulsängerin Uschi Brüning aus der ehemaligen DDR tritt mit Band auf. Der Mythos der Roaring Twenties scheint ganz nah, hier im ehemaligen Warenhaus am Weinberg. Das große Jahrhundertwende-Eckhaus mit den hohen Fensterfronten hat die CDU in diesem Jahr als begehbares Wahlprogramm und Event-Location angemietet. Der Bundeswahlkampfstand ist ein Pop-up-Start-up-Schalt-ab-Tempel.

Die Männer von der Security scherzen am Eingang bei der Taschenkontrolle mit den Gästen. „Guten Abend! Wem das Stehen vielleicht zu anstrengend ist, der kann sich gerne auch noch dort hinten auf die Treppe setzen“, klingt eine Stimme freundlich aus den Lautsprecherboxen. Dann habe man zwar die Musiker im Rücken. Aber das sei ja in der Philharmonie auch so. Und in der Elbphilharmonie erst recht. „Sie können natürlich auch stehen bleiben. Wenn Sie mögen.“ Es ist Angela Merkels Stimme. Smartphones werden gezückt. Die Gäste und potenziellen Wähler drängen höflich, aber zielgerichtet in Richtung Kanzlerin. Sie wirkt privat und nahbar, sogar gelöst. Berlin ist nicht Bitterfeld.

Mittelpunkt des Abends

Ein junger CDUler reicht Merkel erneut das Mikrofon. „Es geht heute nicht um mich, sondern um Uschi Brüning“, sagt die Kanzlerin. Es klingt wie ein Wahlversprechen, das sie nicht halten kann. Auf den Leinwänden links und rechts flimmern handverlesen die positiven Wirtschaftsstatistiken. „60.222 deutsche Patentanmeldungen seit 2005.“ Ein schadstofffreier Diesel war bislang nicht dabei. Aber darum geht es heute nicht. „Jetzt setze ich mich mal hin und warte ab, was passiert“, sagt Merkel und bekommt dafür Applaus. Sie setzt sich in die erste Reihe, in den Händen ein großer Plastikbecher mit Mineralwasser.

Die Sängerin Uschi Brüning steigt auf den Barhocker einen Meter vor Angela Merkel. Kurz versagt ihr die Stimme. „Ich bin so aufgeregt. Die Kanzlerin.“ Sie müsse sie auch gleich korrigieren: „Natürlich sind die Leute wegen Ihnen gekommen. So wie ich ja auch.“ Sie und ihre Band seien eine Truppe der Aufrechten aus der ehemaligen DDR. Merkel lächelt.

Allen geht es gut

Hier im Wohlfühlhaus könnten vielleicht auch die vereinzelten Wut-Horden aus mancher ostdeutschen Stadt loslassen. Eurobeträge in Milliardenhöhe wandern neon-grell über die großen Leinwände. Hier hat Angela Merkel den Deutschland-Jackpot geknackt. Die Besucher wippen im Jazz-Takt. Die Kanzlerin schaut sich um. Allen geht es gut. Ihr auch.

Es folgt ein kleiner Obama-Moment. Uschi Brüning singt „Strange things happen every day“ und reicht Merkel plötzlich das Mikrofon. Merkel singt das Echo „Every day, every day“. Uschi Brüning ruft: „Nein, das glaubt mir ja keiner. Ich darf mit der Kanzlerin singen. Wo ist nur das Fernsehen? Wo ist das Fernsehen?“ Merkel macht es noch einmal. Sie improvisiert: mal hoch und gepresst, mal tief und geraunt. Das ist nicht perfekt. Aber es ist echt. Applaus von allen.

Das Konzert ist vorbei. Die CDU-Jugend im Raum hofft schon auf den viralen Effekt des Kanzlerinnen-Gesangs. Merkel wird noch einmal witzig. Sie weiß, dass es um sie und nicht um das begehbare Programm geht, das mit dem Twitter-Hashtag #fedidwgugl (Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben) beworben wird. „Jetzt können Sie natürlich noch in den Zeit-Raum oder den Frei-Raum gehen“, sagt sie ins Mikrofon. „Da hinten geht’s übrigens zur Cyber-Kriminalität und wer lachen will kann dort zur Emoji-Wand.“

Das Merkel-Emoji

Merkel schreitet die Stationen ab. Die Menschentrauben hinterher. In der Mitte des Raumes wummert und leuchtet ein großes, schweres Herz aus rotem Stoff. „Das soll das Herz der Wirtschaft sein“, sagt eine junge Frau von der CDU. Mehr könne sie aber nicht dazu sagen. Für die Statistiken an den Wänden habe man nur Zahlen verwendet, die auch belegt sind.

Vor der sogenannten Emoji-Wand bleibt Merkel stehen. Der Blick in den Spiegel soll zeigen, wie die Besucher in die Zukunft schauen. Eine Kamera erkennt die Mimik der Gesichter und überträgt sie als Smileys auf die Leinwand. In Mitte verwandeln sich fast alle Gesichter der Menschen neben Merkel in Smileys. Gesichtserkennung für Menschen, denen es gut geht. Nur ein Wutbürger scheint darunter. Sein Emoji färbt sich rot und schnaubt. Merkels-Gesicht wird für einen Augenblick zum Kackehaufen-Emoji. Schnell formt sie mit ihren Händen eine Raute. Ihr Gesicht verändert sich zu einem eigenen Merkel-Emoji mit brauner Kurzhaarfrisur. Alle lachen. Auch die Kanzlerin. Auch das ist ihre Stärke.

Jazz liegt ihr mehr

Wenn sie aber fürchtet, die mediale Kontrolle zu verlieren, schwächelt sie. „Welche Stimme singen Sie normalerweise Frau Merkel, Alt oder Sopran?“ Ihre Augenbrauen verengen sich prüfend. Sie schüttelt den Kopf und wendet sich ab. Dann scheint ihr einzufallen, dass das vielleicht zu harsch war und antwortet doch: „Normalerweise singe ich gar nicht.“ Was nicht ganz stimmt. Merkel stand 2005 an einer Drehorgel und sang bei ihrem ersten Wahlkampf gemeinsam mit ihrem Mann Joachim Sauer „Marmor Stein und Eisen bricht“. Jazz liegt ihr aber mehr.

Ein junger Mann mit etwas zu viel Rasierwasser und blau-rot kariertem Hemd verrenkt sich neben Merkel und schießt Selfie um Selfie. Er versucht eine Perspektive zu erwischen, in der es so aussieht, als schaue sie gemeinsam mit ihm in die Kamera. Plötzlich fährt die Kanzlerin herum und zischt: „So, nun is gut! Drei Stück sind genug!“ Schnell weicht er zurück, verschwindet in der Menge.

Manchmal kann Deutschland so schön sein

Merkel stellt sich lieber zu Dave und Emma – zwei Industrie-Robotern, die in Teamarbeit niedergeschriebene Zukunftswünsche der Besucher digitalisieren, ausdrucken und an die Fensterscheiben kleben. Der Ingenieur am Stand erklärt, Emma sei noch langsam. „Sie ertastet ihre Umgebung ganz vorsichtig, um keinen Fehler zu machen.“ Es klingt ein wenig nach Raute.

Merkel schaut auf ihre Uhr, schon fast halb zehn. Weiter lächeln, interessiert sein. Eine Woche vor der Wahl wird sie wieder hierher zum Entspannen kommen. Die Lyrikerin Ulla Hahn wird dann Gedichte lesen. Keine Rentenlücke, keine Flüchtlingsfragen, keine Lohnunterschiede, keine Hass erfüllten Menschen. So schön kann Deutschland manchmal auch sein.

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