- Warten auf Christian
Die FDP zieht mit 10,7 Prozent der Wählerstimmen wieder in den Bundestag ein. Dementsprechend frenetisch wurde Spitzenkandidat Christian Lindner auf der Wahlparty seiner Partei gefeiert. Wie es sich für einen echten Star gehört, ließ er jedoch zunächst auf sich warten
Leute laufen durcheinander, schieben sich vorbei. Im Inneren des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses, der Parteizentrale der FDP, herrscht Gedränge. Es ist der 24. September 2017, eine Stunde vor der 18-Uhr-Prognose. Um die Stehtische herum schießen Menschen Selfies, stoßen mit Weißwein und Bier an. An der Wand ist eine Bühne aufgebaut. Über allen hängt eine Leinwand.
Gespannt vergleichen die Wahlkämpfer und Unterstützer immer wieder die neuesten Hochrechnungen. Dass die AfD bei 13 Prozent landen wird, sei Merkel anzulasten. Die Tischnachbarn widersprechen, die Schuld läge bei den Medien, nein der Linken, nein in der Sozialdemokratisierung der CDU. Vor der Bühne positionieren sich mehr und mehr Leute, um später den besten Blick auf ihren Spitzenkandidaten und Parteichef Christian Lindner erhaschen zu können.
„Personenkult schwierig, aber bei Lindner ok“
Mittlerweile wird auf der Leinwand neben der Bühne die Liveübertragung aus dem Ersten gezeigt. Von Christian Lindner oder anderem Spitzenpersonal ist auch um halb sechs noch nichts zu sehen. Dafür hat man ein wenig das Gefühl in einem Raum voller Mini-Lindner zu stehen. Bei den jungen Männern dominieren Anzug und gegelte Haare. Die meisten der Anwesenden lächeln vergnügt vor sich hin, behaupten aber trotzdem, mit jedem Ergebnis zufrieden zu sein. Da liegen ihnen aber natürlich schon die ersten Hochrechnungen vor. Es wirkt, als würden sie die Erwartungen absichtlich dämpfen.
Der Star des Abends
Schnell fragen sich die Leute aber, wann denn endlich die Person des Abends erscheinen wird. „Hat irgendwer ‘ne Ahnung, wann er kommt?“ Auf die Reden der Spitzenkandidaten der Grünen und der SPD reagiert kaum jemand. Zwei Männer unterhalten sich über Andrea Nahles, Arbeitsministerin der SPD, und spekulieren, dass sie die nächste Kanzlerin wird. Wann immer die AfD im Fernsehen erscheint, buht die Menge. Aber eigentlich warten sie alle nur noch auf ihren einzig wahren Christian.
Jamaika – Ja oder Nein?
„Liebe Freundinnen und Freunde.“ Applaus, Lindner setzt erneut an und wird wieder vom Applaus unterbrochen. Als es ruhiger wird, bekräftigt er, dass die vergangene Legislaturperiode die letzte ohne die FDP gewesen sei. Die Menge unterbricht ihn jubelnd. Lindner fährt fort, die Menschen hätten der FDP ihr Comeback ermöglicht. Wieder brandet Applaus auf. „Wenn ihr nach jedem Satz jubelt, dann…“ Der Rest geht wieder in Applaus unter. „Ich merke schon, das wird ein langer Abend.“ Lindner lacht und die Menge ruft noch lauter. Als er endlich wieder sprechen kann und sich erneut bedankt, dieses Mal bei den Unterstützern, antwortet ihm eine Frau Mitte 20 schreiend: „Bitteeeee, Christiaaaaan!“ Es drängt sich der Eindruck auf, dass da vorne Robbie Williams und nicht der Spitzenkandidat der FDP steht. Lindner schließt mit den Worten: „ Ab morgen wird gearbeitet. Heute Abend tanken wir aber Kraft.“ In Begleitung von rhythmischem Applaus und „Hey“-Rufen verlässt er die Bühne.
Kampfansage an die AfD
Auch Lindner will sich nicht zur Koalitionsfrage äußern. Er wolle heute Abend nichts ausschließen. Als Seitenhieb auf die SPD, die schon ankündigte in die Opposition zu gehen, verkündet er im Pressezentrum, dass „alles andere unvernünftig“ sei. Man müsse einen kühlen Kopf bewahren. Wie vorhin im Saal ist die AfD das zweite wichtige Thema des Abends. Der sagt Lindner den Kampf an. Sie hätte nur entstehen können, weil in der vergangenen Legislaturperiode die politische Mitte gefehlt habe. Gegen diese Tatsache will er arbeiten. Mit der FDP sei wieder eine Partei der Mitte um Bundestag. Lindner wird von einem Interview zum nächsten gezerrt. In jedem wird er nach Jamaika und der neuen Partei am rechten Rand gefragt. So ist er zwar der Star des Abends, muss sich den Platz aber mit der AfD teilen.
Fotos im Text: Chiara Thies