FDP - Lindner beim Bäcker

Die Reaktionen auf Christian Lindners Bäcker-Anekdote waren hysterisch. Doch die Kritik ist im Kern berechtigt. Bei zwei Formulierungen hat sich der FDP-Chef gehörig in der Wortwahl vergriffen

Die Kritik an Christian Lindners Bäckerei-Anekdote ist im Kern berechtigt / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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In den vergangenen Tagen löste Christian Lindner eine hitzige Debatte mit seiner Bäckerei-Szene in seiner Parteitagsrede aus. Für eine faire und umfassende Analyse dieser Anekdote ist die erste Voraussetzung, sie in voller Länge zur Kenntnis zu nehmen. Sie lautet wie folgt: 

„Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik.“

Sind Illegale gleich kriminell?

So hysterisch die Reaktionen auf Lindners Worte im Netz auch sein mögen: Die Kritik ist im Kern berechtigt. Dem FDP-Chef ist sein Vertrauen auf seine Gabe der freien Rede hier zum Verhängnis geworden. Denn die Passage enthält zwei Formulierungen, die mindestens eine Geisteshaltung suggerieren, die nicht geht.

1. „...und Angst vor ihm haben“. Wieso bitte sollen Menschen in einer Bäckerei automatisch Angst vor einem Menschen haben, von dem sie argwöhnen, er könne sich unter Umständen illegal oder lediglich geduldet in Deutschland aufhalten? Diese Lindnerschen Individuen an der Ladentheke können möglicherweise in ihrem Rechtsempfinden gestört sein, wenn sie unterstellen müssen, dass die betreffende Person eigentlich gar keinen Anspruch darauf hat, hier zu sein. Aber Angst? Wieso Angst? Angst unterstellt den Zusammenhang: illegal ist gleich: kriminell, gewalttätig. Und das ist natürlich entweder großer Unfug. Oder stigmatisierend und latent fremdenfeindlich.  

2. „Die  Menschen müssen sicher sein, (....), dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt.“ Keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit, weil er gebrochen Deutsch redet und anders aussieht?  Das ist ebenfalls grober Unfug. Zweifel an der Rechtschaffenheit von Menschen, mit denen man sich in einem Raum befindet, sind grundsätzlich nie auszuschließen. Und zwar völlig unabhängig von Hautfarbe oder Zungenschlag. Es kann gut sein, dass ich heute morgen im Bäckerladen neben einem Mann stand, der blonde Haare hat und seine drei Rosinenbrötchen mit schwäbischem Zungenschlag bestellte und vorher seine Frau misshandelt hat. 

Lindner wollte, aber konnte nicht

Es gibt bei Christian Lindner grundsätzlich keinerlei Grund anzunehmen, er sei ein Fremdenfeind oder Rassist. Jeder, der ihn lange beobachtet und kennt, wird zu keinem anderen Urteil kommen. Aber diese aus diesem Stegreif formulierte Passage ist ihm gründlich misslungen. Wahrscheinlich weiß er das selbst und hat deshalb auch eine Videobotschaft im Netz hinterhergeschickt mit dem Hinweis, was er damit „sagen wollte.“

Ja, wollte. Aber nicht konnte.   

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