FDP-Parteitag - Voll auf Risiko

Die FDP entdeckt auf ihrem Parteitag die Grünen als Hauptgegner. Und wirbt dafür, dem Wettbewerb zu vertrauen. Stärker kann man dem Zeitgeist nicht widersprechen. Doch eine Gretchenfrage blieb unbeantwortet

Linde Teuteberg und Christian Lindner auf dem FDP-Bundesparteitag 2019 / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die FDP ist eine kleine Partei. Sie hat sich unter dem mit einem guten Ergebnis wiedergewählten Vorsitzenden Christian Lindner konsolidiert. Neue Höhen sind nirgends in Sicht. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte sie 10,7 Prozent, heute steht sie laut Umfragen bei neun Prozent. Rund acht Prozent werden für die Europawahl Ende Mai prognostiziert. Die offene Gesellschaft, für die die FDP wirbt, hat es schwer – oder die FDP mit dieser? Staatsfromme Freiheitskritik, wie sie etwa die Grünen offerieren, trifft auf höhere Nachfrage. Der Berliner FDP-Parteitag zeigte immerhin: Die liberale Lust am Streit ist zurückgekehrt, die Attacke funktioniert. Werden es die Wähler honorieren?

Die neue Generalsekretärin Linda Teuteberg aus Königs Wusterhausen, mit der die FDP gleich doppelten Nachholbedarf eingesteht, unter Frauen ebenso wie im Osten, nennt fairen Streit einen demokratischen Grundwert. Ohne einen „offenen Wettstreit der Ideen“ gebe es keine Freiheit, „zur Freiheit gehören Alternativen“. Ergo bräuchte es „nicht weniger, sondern mehr offene Debatten“, nur so ließen sich „Zukunftsentwürfe für die offene Gesellschaft“ finden. Wie wahr, wie wahr. Doch wurde auf dem Parteitag rückhaltlos offen diskutiert? Erging man sich nicht in vertrauter Politrhetorik zwischen „Klimawandel stoppen!“ (Teuteberg) und „Weltoffen bleiben!“ (Lindner)? Putzig wurde es, als selbst Parteiveteranen im achten Lebensjahrzehnt die knappe Redezeit nutzten, um die gegenwartskonforme Anrede „meine Freundinnen und Freunde“ hochfrequent anzubringen. Ja, die FDP kann jetzt auch gendern. Und tut es ständig.

Tobias Huch greift Zentralrat der Muslime an

Solche Fragen muss sich Tobias Huch nicht stellen, der für die spannendsten zwei Minuten sorgte: Das FDP-Mitglied aus Mainz wandte sich direkt an seinen ehemaligen Parteifreund Aiman Mazyek, der dem Parteitag beiwohnte, und erklärte Mazyeks „Zentralrat der Muslime“ zur Interessenvertretung von gerade einmal 15.000 Muslimen und zum Sicherheitsrisiko. Der „sogenannte Zentralrat“, erklärte Huch, sei ein „Verband mit Islamisten, Rassisten und Nationalisten“.

In Zukunft möge die FDP bitte auch „echte Freunde der Freiheit und des Grundgesetzes“ einladen, etwa die Alevitische Gemeinde, die Kurdische Gemeinde und Seyran Ates als „Vertreterin der Millionen liberalen Muslime in Deutschland“. Mehr Streit, Meinung, Kampfansage passen in keine 118 Sekunden. Nicht ohne Applaus verließ Huch die Bühne. Beim Kurznachrichtendienst „Twitter“ ist der Account von Aiman Mazyek für Tobias Huch gesperrt.

Teutebergs Werben für vernünftige Klimapolitik

Natürlich war Linda Teutebergs Botschaft vom demokratischen Nutzen des Streits in erster Linie auf den politischen Gegner gemünzt. Doch bei Huch vs. Mazyek blitzte jener couragierte Widerspruchsgeist auf, ohne den sich in der Arena keine Distinktionsgewinne erzielen lassen. Das Schreckbild einer streitentwöhnten und darum kampagnenunfähigen Partei, das die CDU abgibt, sollte Mahnung sein. Inhaltlich trug Teuteberg in lächelnder Gelassenheit, die es riskiert – anders als bei Egokanone Lindner –, in den eigenen Applaus hineinzusprechen, Pointen zu kappen, Begeisterung zu dimmen, diese Punkte vor:

Um „Wohlstand und Wachstum“ schaffen zu können, müsse man „auf die Kraft der Freiheit setzen und dem Wettbewerb vertrauen“. Dringend müssten die „Fundamente unseres Rechtsstaats“ wieder gestärkt und Polizei und Justiz besser ausgestattet werden. Die Migration sei „zuverlässig zu regeln“, durch „mehr legale Einwanderung von Fachkräften“ mithilfe eines Einwanderungsgesetzes, durch „konsequente Begrenzung und Bekämpfung illegaler Migration“, drittens durch ein „gemeinsames Asylsystem in Europa“. Den meisten messbaren Zuspruch erhielt Teuteberg für ihre Abgrenzung von den Grünen: „Nicht die FDP muss grüner werden; die Energie- und Klimapolitik in Deutschland muss vernünftiger und offener werden“.

Gegen den Trend für Wettbewerb

Dem Wettbewerb vertrauen: in Zeiten, da Politiker Enteignungen fordern und Kapitalismus als Schimpfwort taugt, in einem Land, das sich traditionell unter die Rockschöße von Vater Staat flüchtet und Gehorsam für eine Bürgertugend hält – da bewegt sich dieser Appell am Rande der Tollkühnheit. Womit freilich über seine Richtigkeit nichts gesagt ist. Faktisch ist es ein Satz, der im Vollkaskostaat geradewegs in die Unbeliebtheit führt und aus einer kleinen Partei nie eine Volksbewegung machen wird, hierzulande. Indem die FDP sehr undeutsch darauf beharrt, man solle, man müsse in den meisten politischen Feldern dem Wettbewerb vertrauen, macht sie sich um die Freiheit des Denkens verdient. Ob sie dies auch praktisch vermag, etwa in Nordrhein-Westfalen, wo FDP-Mann Joachim Stamp das Familien- und Integrationsministerium leitet, steht auf einem anderen Blatt.

Christian Lindners Berliner Rede stach naturgemäß sehr ab von Teutebergs Referat. Lindner ist der bessere Redner, der gewieftere Charmeur, der routinierte Pointenhändler und darum die zuverlässige Nummer; der Trapezkünstler, an den man sich gewöhnt hat. Wenn er „Pessimismus und Panik“ geißelt, „Mut zur Zuversicht“ fordert und geringere Steuern, „mehr Offenheit für neue Technologien“ und größeres Vertrauen in den einzelnen, bewegt er sich auf vertrautem liberalen Terrain. Da indes die Rezession an die Tür klopft, wird das Kanonische revolutionär. Die von Lindner angemahnte „Debatte über das ökonomische Fundament unseres Lebens“ wird von sämtlichen anderen Parteien verweigert. Es regiert eine größtmögliche Koalition der Goldeselbewahrer. Den Grünen warf Lindner „ökologischen Autoritarismus“ vor und ein Sozialstaatsmodell nach dem Motto „Absicherung ohne Gegenleistung“.

Es braucht mehr argumentative Schärfe

Solange freilich abgesicherte Sozialstaatsprofiteure die Mehrheit bilden, wird es für die FDP schwierig, jenen Pfad zu gehen, den Teuteberg ihr wies, hin zur „richtigen Partei für alle“. Und auf dem langen steinigen Weg Richtung Morgenröte bedarf die Gretchenfrage, die die FDP immerhin stellte, einer schärferen Konturierung: Deutschland, wie hast du's mit der offenen Gesellschaft? Der Schweizer Schriftsteller marokkanischer Abstammung Kacem El Ghazzali, Mitglied der Schweizer FDP, formulierte es soeben in der nötigen Schärfe: „Der Gesellschaft muss klar werden, dass sie vor der Verteidigung des Säkularismus, der Freiheit und des Individualismus im Namen der Toleranz nicht zurückscheuen darf. Jeder, der diese Werte ablehnt, muss sich eine andere Gesellschaft suchen, und jeder, der in Europa einwandert, muss wissen, dass in Europa den einzelnen Personen Rechte zustehen, nicht aber den Religionen und Kulturen.“

Ohne solche argumentative Schärfe wird die FDP vermutlich eine kleine Partei bleiben.

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