Christian Lindner und die FDP - Ausreden first, Selbstkritik second

Obwohl die FDP es in Sachsen und Brandenburg nicht in die Landtage geschafft hat, ist Parteichef Christian Lindner zu keiner Selbstkritik bereit. So verhindert er, dass liberale Politik wieder erkennbar wird

FDP-Ikone Christian Lindner / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der Siegespokal für die lustigste Wortmeldung nach einer Niederlage war rasch vergeben. Die Vorsitzende der bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen bös geschredderten Linkspartei erklärte im Fernsehen: Dass die AfD so stark abgeschnitten habe, liege – Tusch, Trommelwirbel! – am „Marktradikalismus“. Dieser habe die Menschen im Osten 30 Jahre lang erzogen, „eher den Ellebogen einzusetzen“, und mit dem „Ellenbogen“ wählt man offenbar die AfD. Wenigstens verfiel Christian Lindner nicht auf die Idee, das Scheitern seiner Partei auf eine nachwirkende Erziehung durch den Sozialismus zu schieben. Eine schwache Figur machte auch er. Die FDP-Krise ist zur Lindner-Krise geworden.

Ja, natürlich: Dass die Liberalen ins sächsische und ins brandenburgische Parlament einziehen, ist das Gegenteil eines Naturgesetzes und historisch betrachtet die Ausnahme. Zweimal am selben Tag jedoch die Latte zu reißen, die Fünf-Prozent-Marke zu verfehlen und nicht einmal auf ein besonders knappes Rennen verweisen zu können, ist ein Debakel. Der prozentuale wie absolute Anstieg an Stimmen täuscht nicht darüber hinweg, dass beide Landesverbände ihre Ziele verfehlt haben. Und dies nach „tollen Kampagnen“ (Lindner) unter maßgeblicher Beteiligung der Berliner Parteispitze. Weder Lindner noch seine neue, aus Brandenburg stammende Generalsekretärin Linda Teuteberg vermochten die Menschen hinreichend zu mobilisieren. Warum? Weil „sehr viele Menschen aus taktischen Gründen trotz Sympathien für die FDP anders gewählt haben.“ Sprach Christian Lindner am Abend der doppelten Niederlage.

Das fehlende Register der Selbstkritik

Auch die nach zuvor deutlich besseren Umfragen ernüchterten Grünen verfielen auf diese billige Ausflucht. Aus Lindners Mund klang sie besonders deplatziert, weil er die FDP zu positionieren versucht als Partei der Prinzipien, die ihr Fähnchen nicht nach dem Wind hängt. Die Absage an ein Regierungsbündnis für Deutschland aus Union, Grünen und FDP („Jamaika“) lässt sich durchaus in diesem Sinn deuten. „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“ war Lindners Fazit dazu gewesen. Wenn eine Partei mit nun abermals von Lindner bekräftigtem klaren „Grundkurs“ aber an der Wahlurne nicht ausreichend nachgefragt wird: Könnte es auch daran liegen, dass der Kurs falsch ist? Oder die Ansprache? Oder Lindner?

Die Einlassungen des Vorsitzenden sind rätselhaft. Auf die Frage eines Journalisten am Morgen nach der doppelten Niederlage, ob er bei sich selbst Fehler sehe, schaute Lindner verdutzter drein als ein Mormone beim Alkoholtest und gab zurück: „Könnten Sie mir mal was vorschlagen? Damit ich ein Gefühl dafür bekomme, worauf genau Sie hinauswollen.“ Offenbar ist das Register der Selbstkritik im Rollenbild des Vorsitzenden nicht vorgesehen. Nur ein knapp gepresstes „Wir gewinnen gemeinsam, und wir verlieren gemeinsam“ rang Lindner sich ab. Bemerkenswert auch dies, hat Lindner die Partei doch straff nach seinem Bilde umgeformt und sie zunehmend zentralisiert. Für die verschiedenen Landtagswahlkämpfe etwa ist ein und dieselbe Werbeagentur zuständig, von der Bundeszentrale ausgewählt. 

Ein bisschen Frieden

Kurios auch für einen in der Wolle gefärbten Liberalen ist Lindners Versuch, die schlechten Resultate der Konkurrenz anzulasten. „Je mehr Wettbewerber im Feld sind, desto schwieriger“ sei es für die FDP. Ist es nicht ein urliberales Credo, dass Konkurrenz das Geschäft belebt? Vom politischen Geschäft soll das nicht gelten? Weit eher ist die schnittige – pardon: smarte – Lindner-FDP ein hübsch drapiertes Gesamtpaket mit unklarem Inhalt; ein Nice-to-have, kein Must-Be. Worin genau der „Grundkurs der FDP“ besteht, erschließt sich nicht. Das beste Beispiel gab Lindner selbst, als er auf dem Feld des „Einwanderungsmanagememts“ ein Zugleich forderte von „Weltoffenheit und Toleranz“ und „Ordnung und Kontrolle“. Davon abgesehen, dass „Weltoffenheit“ im politischen Diskurs die hohlste aller Phrasen ist: Wer wählt eine Partei, die das Eine will und das Andere nicht ablehnt? Die an der Grenze streng sein will – aber nur ein bisschen – und auch lieb, einladend, herzig? Solche Widersprüche feiern nur im Schlagerhimmel Hochzeit, wo es tatsächlich „ein bisschen Frieden“ geben kann.

Das neue Motto der FDP lautet offenbar, in Abwandlung einer Lindner-Losung: Ausreden first, Selbstkritik second. So wird das nix. Und das ist jammerschade. Die Zeit schreit geradezu nach einem kraftvollen Liberalismus, der den Rechtsstaat verteidigt, gelegen oder ungelegen; nach einem energischen Liberalismus, der Freiheitsfeinde und Staatsanbeter in die Schranken weist; nach einem klugen Liberalismus, der das Argument an die Stelle der Emotion setzt, die Vernunft an die Stelle des Vorurteils. Stattdessen hören wir das selbstverliebte Lispeln einer Kleinpartei, die einen Kurs halten will, den niemand zu beschreiben wüsste. Möge die FDP genesen. Sie wird noch gebraucht.
 

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