FDP-Bundesparteitag - Lindners Wirtschaftswunderpartei

Die FDP trifft sich in Berlin zum ersten Bundesparteitag der deutschen Politik seit Beginn der Corona-Pandemie. Aus dem Umfrageloch sollen die Partei ein neuer Generalsekretär und die alten Themen Wirtschaft und Finanzen führen.

FDP-Chef Lindner in Berlin, hinter ihm das Symbol der Baumpflanzerin / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Erinnern Sie sich noch an das silberne 50-Pfennig-Stück, die Frau, die dort den Setzling einer Eiche in den Boden pflanzt? Ein digital verfremdetes Bild dieses Symbols der Wirtschaftswunderjahre hat die FDP an diesem Samstag über die Bühne gehängt. „Mission Aufbruch“ haben die Parteistrategen dazu getextet. Ein Jahr vor der Bundestagswahl hat die Partei, die derzeit in Umfragen bei 5 Prozent dümpelt, einen Aufbruch bitter nötig, vielleicht sogar ein Wunder.

Dieser Parteitag im unerreicht hässlichen Berliner Estrel-Hotel ist unter anderem nötig geworden, weil Parteichef Christian Lindner die vor einem Jahr von ihm vorgeschlagene Generalsekretärin Linda Teuteberg vor wenigen Wochen etwas unschön des Amtes enthoben hat. Die sitzt nun direkt vor der Bühne und beobachtet etwas teilnahmslos, wie der quicklebendige, kampfeslustige Lindner wenige Meter vor ihr die 600 Delegierten auf den Wahlkampf einstimmt.

Traurige Heldin Teuteberg

„Einsamer nie als im Estrel“ kommt einem in den Sinn, als man sieht, wie gequält die 39-Jährige Lindners warmen Worten („Linda Teuteberg ist ein starker Teil unseres Teams. Dieser Satz gilt weiter.“) lauscht, die doch nur ein schön verpackter Rausschmiss sind. Für einen Moment scheint es, als müsste sie weinen, so fleißig zwinkert sie. Als die Delegierten nach Lindners Rede aufstehen, ist sie die letzte, die sich erhebt.

Dass der neue Generalsekretär Volker Wissing später mit 83 Prozent der Stimmen gewählt wird, zeigt, dass es unter den Delegierten noch andere gibt, denen es nicht gefallen hat, wie die fleißige Teuteberg abserviert wurde. Teuteberg, gerade noch Generalsekretärin, meldet sich in der Aussprache mit einem Drei-Minuten-Statement zu Wort, das in seiner leisen Intellektualität beeindruckt, aber auch erklärt, warum der Generalsekretärsposten wohl nicht der richtige für sie war.

Aber gut, es soll ja in der Politik nicht immer nur um Personalien gehen, sondern um Inhalte. Die FDP schreibt sich, so ist den Worten Lindners und seines neuen Generalsekretärs Wissing zu entnehmen, für den Wahlkampf Wirtschaft und Finanzen auf die Fahnen. „Von wegen V-Szenario“, eröffnet die stellvertretende Bundesvorsitzende Nicola Beer den Parteitag, „es wird ein stürmischer Herbst werden.“

„Von wegen V-Szenario“

Nach 40 Quartalen in Folge, sekundiert Lindner, könnten sich viele nicht mehr vorstellen, was eine Rezession eigentlich bedeute. Staatliche Unterstützung für die Unternehmen ja, aber kein Eindringen des Staates in das freie Unternehmertum in Form von Beteiligungen bis hin zu Aufsichtsratsplätzen, das ist die Linie der FDP. „Der Staat muss seine Finger aus dem Teig der Wirtschaft ziehen“, metaphert Wissing später wackelig.

Parteichef Lindner bezichtigt die Bundesregierung, mit der jetzt beschlossenen Verlängerung des Kurzarbeitergeldes Wählerkauf zu betreiben: „Welche Motivation kann es geben, staatliche Hilfen über den Zeitpunkt der Bundestagswahl hinaus zu verlängern“, fragt er rhetorisch. Die FDP will die Partei der soliden Staatsfinanzen sein angesichts der „Ausgabenorgien des sozialdemokratischen Vizekanzlers“ (Beer).

Harald Christ hat noch eine Rechnung offen

Gegen die SPD keilt auch Harald Christ, der die Sozialdemokraten nach 32 Jahren verlassen hat, und am Samstag zum neuen Schatzmeister der FDP gewählt wird. Er sei damals Mitglied der SPD von Helmut Schmidt geworden, eines Mannes mit wirtschaftlichem Weitblick: „Diese SPD gibt es für mich nicht mehr.“ Christ setzt auf diesem Parteitag die härtesten Punchlines. Die Corona-Krise, so tönt er, werde genutzt, „um schleichend den Sozialismus einzuführen.“

Die FDP dagegen tritt ein für weniger Staat und geringere Steuern, und eine Rückbesinnung auf die Stärken der deutschen Wirtschaft. „Arbeiten wir doch für ein neues Wirtschaftswunder“, sagt Lindner. Der Gründungsmythos der BRD sei nicht von einem Staat geprägt gewesen, der sich überall eingemischt hat, sondern von „Tatkraft, von Erfindungsgeist, von Risikobereitschaft, von Offenheit für Technologie“. Komplett ignoriert die FDP dagegen die Flüchtlingsfrage, die gerade in dieser Woche wieder die Gemüter erregt. Der allgemein sehr nüchtern wirkende Wissing gab nur ein allgemeines Toleranzedikt von sich: Man müsse „Unterschiede akzeptieren, damit das Streben der einen zur Chance für viele werden kann.“

Wird Wissing es im Team mit Lindner schaffen, die FDP aus dem Umfrageloch zu holen und zu jener Kraft zu machen, die im kommenden Jahr darüber entscheiden wird, ob eine Jamaika-Koalition mit Grünen und CDU zustande kommt? Nervös blickt die FDP-Führung auf Thüringen, wo sich der Querkopf Thomas Kemmerich im November wieder zum Parteichef wählen lassen will. Die Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen, die dem Ansehen der Partei im Februar massiv geschadet hat, könnte sie wieder einholen. Lindner hat heute sein Schicksal als Parteivorsitzender mit einer Regierungsbeteiligung verknüpft: „Wenn es nach mir geht: Unser Ziel ist es nicht, auf Satz zu spielen, sondern auf Sieg.“

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