Erstaunliches beim Wahl-O-Mat - Warum punktet die AfD auch bei Sozialdemokraten?

Wer die 38 Thesen des Wahl-O-Mats zur Bundestagswahl beantwortet, muss beim Ergebnis manchmal ganz schön schlucken. Im Selbstversuch stehen plötzlich obskure Gesundheitsforscher an erster Stelle. Und auch sonst ist von mancherlei böser Überraschung zu hören.

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis, und zwar das Ergebnis meiner Wahl-O-Mat-Befragung. Aber nur den ersten und den letzten Platz, ein bisschen Privatsphäre muss schließlich erlaubt sein. 

Platz eins, mit einer Übereinstimmung von 78,8 Prozent, belegt (ich wage es kaum zu sagen) die „Partei für Gesundheitsforschung“. Deren einziges Ziel „seit ihrer Gründung 2015“ ist „die bessere Erforschung altersbedingter Krankheiten“, wie es auf der Wahl-O-Mat-Plattform heißt. Ich habe mich zwar noch nie in irgendeiner Form mit den Leuten von der „Gesundheitsforschung“ befasst und werde ihnen am 26. September auch bestimmt nicht meine Stimme geben. Dass der Wahl-O-Mat mich dennoch als potenziellen Anhänger dieser Partei identifiziert, kann dann prima facie wohl nur heißen, dass auch ich älter werde und meine Präferenzen sich diesem Prozess anpassen. Was will man machen.

Die „Königinnen-Partei“

Die geringste Übereinstimmung (33,8 Prozent) hingegen hatten meine Antworten mit dem Programm von „Die Partei“, auch bekannt als „Satire-Partei“ oder „Titanic-Partei“. Besonders lustig fand ich deren Wahlkämpfe tatsächlich noch nie; allenfalls die Tatsache, dass sie bei einem Sieg zur Berliner Abgeordnetenhauswahl die Herauslösung des Westends aus dem Rest der Stadt in Aussicht stellen und dort mit einer „Königin“ als Kandidatin antreten, könnte mich am Ende noch für diese Truppe erwärmen. Ansonsten leben wir offenbar auf unterschiedlichen politischen Planeten. Gut zu wissen.

Vielleich sollte ich der Vollständigkeit halber erwähnen, dass ich auf fast alle Wahl-O-Mat-Fragen mit „neutral“ gestimmt habe, weil mir das ganze Spielchen reichlich verkürzt vorkommt. Zum Beispiel These Nummer 11: „Die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kindern soll stärker als andere Lebensgemeinschaften gefördert werden.“ Ich bin zugegebenermaßen ein Freund von Familienverbänden, lebe selbst gern in einer „traditionellen Familie“ (mit allen Höhen und Tiefen des Alltags) und habe nicht einmal etwas gegen gelegentliche Familienfeiern. 

Andererseits habe ich auch nichts einzuwenden gegen „andere Lebensgemeinschaften“. Aber um beim Wahl-O-Mat in diesem Punkt mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“ zu antworten, hätte ich schon gern gewusst, welche Art von Gemeinschaften eigentlich gemeint sind, die mehr oder weniger oder genauso „gefördert“ werden sollen wie die Normalo-Familie. Außerdem: gefördert von wem und womit? Wie soll man da anders reagieren als mit „neutral“, wenn einem nicht gesagt wird, um was es genau geht? Ähnliches gilt für die restlichen 37 Wahl-O-Mat-Thesen zur Bundestagswahl. Womöglich ist die „Partei für Gesundheitsforschung“ also einfach nur deshalb meine erste Präferenz geworden, weil sie eine Ein-Themen-Formation ist und ihr außer einer verbesserten Altersmedizin alles andere egal („neutral“) ist.

Warum ausgerechnet AfD?

Jetzt aber noch ein Punkt, der mir im Zusammenhang mit dem Wahl-O-Mat aufgefallen ist. Das Thema ist ein bisschen heikel, ansprechen will ich es trotzdem. Ich habe viele Menschen in meinem Bekanntenkreis, darunter gestandene Sozialdemokraten und sogar Grünen-Wähler der ersten Stunde, die in sehr kleiner Runde und dann auch nur reichlich verdruckst zugeben, dass nach ihrem persönlichen Wahl-O-Mat-Durchgang ausgerechnet die AfD an erster Stelle aufpoppte. Oder vielleicht auch an zweiter – jedenfalls sehr weit oben. Solche Geständnisse werden stets und unverzüglich mit dem Nachsatz versehen, man werde diese Partei natürlich trotzdem nicht wählen. Also auf gar keinen Fall, nie im Leben!

Interessant ist es dennoch. Rein programmatisch scheint die AfD – sollte meine Beobachtung auch nur halbwegs repräsentativ sein – jedenfalls deutlich anschlussfähiger in alle möglichen Milieus zu sein, als das gemeinhin suggeriert wird. Ich würde sagen: Die etablierten Parteien können ganz schön froh sein, dass die „Alternative für Deutschland“ von Personen angeführt wird, die auf die allermeisten Mainstream-Wähler total abschreckend wirken. Was wäre eigentlich los, wenn plötzlich ein junger, smarter Typ an der Spitze der Bewegung stünde? Oder eine charismatische Frau, die den Spagat zwischen Populismus und Pragmatismus mit charmanter Verbindlichkeit beherrscht?

Was ich damit sagen will, und zwar ohne jede Sympathie für die AfD: Wenn diese Partei selbst bei gemäßigten Linken in der Blindverkostung derart gut abschneidet, wie es meinen persönlichen Erfahrungen entspricht – dann läuft im deutschen Parteiensystem und im öffentlich geführten Diskurs irgendetwas gewaltig schief.

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