Ergebnisse der Sondierungen - „Für Schulz beginnt jetzt der nächste Leidensweg“

Ein bisschen soziale Gerechtigkeit für die SPD, ein bisschen Obergrenze für die CSU – die Ergebnisse der Sondierungen sollen die eigenen Wähler bedienen. Eine politische Trendwende aber sucht man vergebens. Nur an der SPD-Basis kann die Große Koalition noch scheitern

28 Seiten Papier, um die heftig gerungen wurde / picture alliance
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Autoreninfo

Ernst Elitz ist Autor und Journalist. Bis 2009 war er erster Intendant des Deutschlandradios. Von 1969 bis 1974 war er Redakteur für Bildungspolitik beim „Spiegel“

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Während die Spitzen von Union und SPD sich durch den Schlussmarathon der Sondierungsgespräche quälten, hatten viele Wähler ihr Kreuzchen längst im Kästchen „Neuwahlen“ gemacht. Sie wollten kein Theater, sondern eine Regierung. Sie wollten keine Wortklauberei in Koalitionspapieren, sondern endlich entschlossenes Handeln.

Was SPD, CSU und SPD nächtelang boten, war ein Showlaufen für die eigene Klientel. Die wollte bis zum letzten Komma Kämpfer sehen. Und so steckt hinter jedem Komma ein Stück Klientelpolitik. Bei der SPD war es die Botschaft der sozialen Gerechtigkeit, bei der CSU die Eingrenzung der Migration. Die CDU mit der erprobten Vermittlungsbeauftragten Angela Merkel an der Spitze konzentrierte sich wie schon vor vier Jahren darauf, den Eigennutz ihrer künftigen Partner auf ein gesellschaftlich und ökonomisch akzeptiertes Maß herunter zu dimmen. Die 28 Seiten „Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD. Finale Fassung“ machen die Kanzlerin wieder zur Verwalterin austarierter Interessen, nicht zur Anführerin, die mit Schwung ein neues Kapitel aufschlägt. Ihre Führungsrolle kann sie in Brüssel und dem Rest der Welt genießen.

Anstandspunkte für CSU und SPD

Wie nie zuvor waren die Koalitionsverhandlungen mit dem politischen Schicksal führender Parteifunktionäre verknüpft. Seehofer ging es darum, nach dem Verzicht auf sein bayerisches Ministerpräsidentenamt noch ein akzeptables Austragshäusl zugestanden zu bekommen, etwa ein Berliner Ministeramt. Hätte die CSU ihre Obergrenze von 180.000 bis 220.000 Zuwanderern pro Jahr und eine Verbesserung bei der Mütterrente nicht an das finale Konzept hineinbugsiert, hätte sie jede Hoffnung auf ein solides Ergebnis bei der nächsten Landtagswahl in den Wind schreiben können. Insoweit wurde in Berlin auch über die Zukunft des Vatermörders Söder verhandelt. Auch wenn die Obergrenze wörtlich nicht vorkommt („stellen wir fest, dass die Zuwanderungszahlen die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden.“) Angesichts dieser messbaren Defacto-Obergrenze lässt sich ein wenig Familiennachzug von der CSU durchaus verkraften.

Ähnlich bei der SPD. Hätte Schulz nicht seine Anstandspunkte gemacht, wäre sein Wahlkampfseufzer „Die Leute finden mich peinlich, die lachen doch über mich“ zum Epitaph eines gescheiterten Politikerlebens geworden. Nun hat er sein Lieblingsthema Europa ganz vorn auf der finalen Liste platziert, auch „um die EU finanziell zu stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann“. Verbunden mit dem frühen Wunsch des Griechen-Premiers Alexis Tsipras – er hatte die SPD nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen schnell zu einer Bildung einer Großen Koalition aufgefordert – könnte dies bei nicht so EU-gefestigten Bürgern eher unangenehme Erinnerungen an die Griechenlandhilfen wecken.

Die in der SPD seit altersher stark vertretene antimilitärische Fronde ist mit dem geplanten Zurückschrauben von Rüstungsexporten und dem Umschiffen der Nato-Zielvorgabe von Zwei-Prozent des Bruttosozialprodukts für den Rüstungshaushalt ruhig gestellt. Und fraglich ist, ob soziale Wohltaten wie eine erhöhte Grundrente für langjährig Beschäftigte und die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der SPD hängen bleiben. Dass derlei Wohltaten wie auch die Verbesserung der Pflege am Ende doch der Kanzlerin zugerechnet werden, hat schon die vergangene Legislaturperiode gezeigt. Auch der Ausbau von Polizei und Justiz wird vom Bürger – trotz vieler Schulz-Parolen – kaum als Folge eines heldenhaften Kampfes der SPD-Verhandlungskommission gewertet werden.

Schulz' Leidensweg beginnt erst

Merkel und Seehofer können mit dem Ergebnis der Sondierungsgespräche locker nach Hause gehen. Für Schulz aber beginnt jetzt der nächste Leidensweg. Die Groko-Gegner in der SPD blasen schon wieder Halali. Für sie gilt: 100 Prozent oder nichts. Die Basis ist zerrissen. Schulz' Wankelmut hat das seine dazu beigetragen. Wer wackelt, der kippt. Und selbst wenn Schulz Vorstand und Basis für dieses Ergebnis gewinnen kann, führt er eine Partei ins Kabinett, in der viele in das Opponieren verliebt sind. Seine Aufgabe ist es, erstmal die eigene Partei zu regieren. Erst dann kann die SPD auch das Land regieren.

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