Energiewende - Doppelte Chance

Kolumne: Leicht gesagt. Bei der Energiewende sind elementare Fragen offen geblieben. Es gibt keine einheitliche Antwort bei der Infrastruktur. Dabei liegen Chancen im Ausbau des Netzes in einer Kombination mit dem Glasfaserausbau

Früher liefen Stromtrassen nur vom Erzeuger zum Verbraucher. Heute müssen sie auch in die Gegenrichtung / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht: Dieser Wahlkampf hat keine Inhalte. „Merkel muss weg“ ist sicher noch einfallsloser als „für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“. Mit dieser Einfalt drücken sich beide Seiten vor inhaltlicher Tiefe. Dabei gibt es genug Themen – die wichtigsten aber sind kompliziert.

Eines davon ist die Energiewende. Den Wähler und viele Politiker nervt sie. Ursprünglich setzten sich aber beide Seiten für sie ein: Macher wie Mäkler. Eine große Mehrheit forderte sie 2011, als der GAU von Fukushima Deutschland in Zukunftsangst vereinte. Damals zog nicht nur Merkel den Atomstecker. Etliche Wahlen haben die Entscheidung zum Ausstieg bestätigt. Sowie davor dem Ausstieg aus der CO2-Energie und der Dekarbonisierung, der Deutschland zugestimmt hat.

Zu anstrengend, zu teuer, zu grün

Klar, man könnte nun im Trump-Duktus sagen: Das ist doch alles Quatsch. Zu anstrengend, zu teuer, zu grün. Die Welt wird schon nicht untergehen. Doch nur ein flüchtiger Blick auf das Weltwetter scheint dem zu widersprechen. Als Trump das Pariser Klima-Abkommen in den Wind schlug, applaudierten ihm hierzulande wenige. Ein Zurücknehmen der Energiewende ist nicht wahlkampftauglich.

Wie geht es also weiter? Darüber kann durchaus klug gestritten werden – vereinzelt geschieht das in der Politik. Es geht um die Frage, ob die Energiewende zentral oder dezentral gesteuert werden soll. Die Bundesregierung spricht sich eher für eine zentrale Lösung aus. Das zeigt sich vor allem bei der Frage, wer die Wege zur Stromversorgung regeln soll.

Hier geht es konkret um die Stromtrassen. Früher gab es nur eine Richtung: vom Erzeuger zum Verbraucher. Heute geht es auch in die Gegenrichtung. Denn jeder Bauer, der heute per Windrad Energie auf seinem Feld produziert, kann seinen Ertrag einspeisen. Die gespeicherte Energie muss nun an alle, die den Strom brauchen, weiter verteilt werden.

Netzbetreiber sind zu mächtig

Das Energiewirtschaftsgesetz ermächtigt die Bundesnetzagentur zu überwachen, dass niemand bei der Nutzung der Stromtrassen diskriminiert wird. Sie kontrolliert, wie dieses Netz durch die vier großen Übertragungsnetzbetreiber gewartet und erweitert wird. Diese haben sich Deutschland in Norden (Tennet TSO), Osten (50Hertz Transmission), Westen (Amprion) und Süden (TransnetBW) aufgeteilt. Man muss diese vier Namen nicht kennen. Es reicht zu wissen: Diese vier sollen die Infrastruktur der Energiewende ermöglichen. Die Vier hätten zu viel Macht, kritisieren nun die 900 Stadtwerke in Deutschland. Einige sprechen schon von einem neuen Oligopol – mit Folgen für Preise und Versorgungssicherheit, die nicht zur dezentralen Energiewende passe.

Die Stadtwerke sind organisiert im Verband kommunaler Unternehmen. Deren Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche fordert von der Bundesregierung, bei der Energieversorgung die Verteilnetze vor Ort nicht zu vergessen. Natürlich seien „Stromautobahnen“ wichtig. Ein Land brauche aber auch im Strombereich so etwas wie Bundesstraßen, Landstraßen und Kreisstraßen. Und eigentlich auch bäuerliche Feldwege, wenn tatsächlich jeder Haushalt versorgt werden soll mit dem neuen Strommix. Bisher gehören 1,7 Millionen Kilometer zu dem sogenannten Verteilnetzwerk.

Ausbau der Strom- und Datennetze

Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD), die Rheinland-Pfalz regiert, sieht die Stadtwerke als zentrale Akteure bei der Umstellung auf Strom aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Energien. „Die dezentrale Umsetzung der Energiewende ist ohne die Stadtwerke überhaupt gar nicht vorstellbar“, sagt sie. Die Stadtwerke seien zuständig für die Auf- und Umrüstung der Netzinfrastruktur zur Verteilung des Stroms.

Das klingt alles sehr technisch, und das ist es auch. Doch hier geht es sehr konkret um die Zukunft Deutschlands. Es geht nicht nur um die Grundversorgung mit Strom, sondern zugleich um die Leitungen für den rasant anschwellenden Datenstrom. Derzeit muss geregelt werden, wie Deutschland sich digitalisiert und seine Datenwege ausbaut.

Kompetenzen müssen geklärt werden

So fordert Dreyer von den Stadtwerken in Deutschland schon heute den Aufbau eines Glasfasernetzes für besonders schnelles Internet. Die Kabel könnten zusammen mit Biogas- und Stromleitungen verlegt werden. Überall da, wo gegraben werde und Versorgungsleitungen verlegt werden, müsse man auch die Voraussetzungen für Glasfaserausbau schaffen, verlangt die Bundesratspräsidentin.

Die Bundesregierung hat das Ziel, bis zum Ende kommenden Jahres jeden Haushalt mit 50 Megabits pro Sekunde versorgen zu können. Dafür müssen die Zuständigkeiten dringend geregelt werden. Denn nur wenn alle Akteure gefordert sind, kann die Energiewende und auch digitale Transformation geschafft werden. Der Wahlkampf sollte genutzt werden für produktiven Streit, der Kompetenzen klärt.

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