En Passant - Nichts für aufrechte Malocher

Parteien werden in ihrer Entwicklung immer zu Machtapparaten. Dabei geben sie ihre Inhalte auf. Wo der Inhalt zur Ware verkommt, wird der Berufspolitiker zum Großmogul

Erschienen in Ausgabe
Illustration: Anja Stiehler/ Jutta Fricke Illustrators
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Die andauernde Führungskrise der SPD, die wohl vor allem eine Identitätskrise ist, habe ich erst so richtig verstanden, als ich kürzlich ein Neumitgliederpaket in den Händen hielt. Es besteht überwiegend aus Luft und erinnert an die edle Verpackung für ein MacBook oder ein Seidentuch von Hermès. Im Inneren der komplex gefalteten Pappschachtel mit angenehmer Haptik finden sich passgenaue Laschen für das rote Parteibuch, den Kugelschreiber und das Moosgummikissen mit der Mitgliedsnadel.

Ein Genosse mit schwieligen Bergarbeiterhänden wird das alles nicht rausgefummelt kriegen. Die aufrechten Malocher, die sich für Schwächere einsetzen und für Gerechtigkeit kämpfen, sind, das ist die tatsächliche Botschaft der Schachtel, als Neumitglieder nicht gemeint. An ihre Stelle tritt der stilbewusste Konsument, der sich den Verführungen des Kapitals – und jetzt auch der Politik – entspannt hingibt. Wo der Inhalt zur Ware verkommt, wird der Berufspolitiker zum Großmogul, die Basis zur Verfügungsmasse.

Parteien mutieren immer mehr zu Machtapparaten

Das Phänomen, dass Parteien in ihrer Entwicklung immer mehr zu Machtapparaten und immer weniger zu Inhaltsträgern werden, betrifft natürlich nicht nur die SPD, wurde aber an ihr prominent untersucht. Es war der Soziologe Robert Michels, ein Kollege Max Webers, der schon 1911 das „Eherne Gesetz der Oligarchie“ entdeckte. In seinem Werk „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“ beschreibt er die Dynamik, mit der Volksherrschaft in Volksbeherrschung transformiert wird. In politischen Organisationen wie etwa Parteien und Gewerkschaften, so seine These, etablieren sich Führungsriegen, die zunehmend ihre eigenen Interessen schützen. Die gesellschaftspolitischen Ziele geraten ins Abseits. Die Mitglieder stützen dann nur noch den bürokratischen Ablauf. Von Angela Merkel etwa weiß man, dass sie mit ihrem Ortsverein kaum noch redet. Man darf das eigenartig finden, es entspricht aber der strukturellen Logik des Parteiensystems.

Irgendwann wird, wie man sieht, jede Partei zur Pappschachtel. Und jede Schachtel kriegt irgendwann 20 Prozent der Wählerstimmen. Insofern erinnert die Verpackung des SPD-Parteibuchs an die schönen Kartons, in denen wir als Kinder unsere geliebten Haustiere zu Grabe trugen. Zum Trost bekamen wir eine Barbiepuppe.

 

Dieser Text ist aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Shop nachbestellen können.

 

 

 

 

 

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