Evangelische Kirche - Die Scheinheiligen

Einst zog man in den Krieg, heute setzt man sich an einen Tisch. Zumindest will das die EKD jetzt mit teils erzkonservativen Islam-Verbänden tun. Doch gleichzeitig verteufelt der Evangelische Kirchentag die AfD und zeigt damit: Demut ist in Kirchenkreisen schon lange passé. Von Alexander Grau

Es ist ein Kreuz: Zweierlei Maß, wenn es um Toleranz und Offenheit geht / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Toleranz ist mühsam und manchmal tut sie richtig weh. Denn wir alle neigen dazu, unsere eigene Position für wahr zu halten – sonst hätten wir sie ja nicht. Wenn man selbst aber recht hat, dann haben diejenigen unrecht, die eine andere Meinung vertreten. Weshalb aber sollte man mit Menschen, die sich irren, auf Augenhöhe reden?

Besonders knifflig ist das Thema Toleranz naturgemäß für Religionen. Denn Religionen verkünden die absolute Wahrheit, die Offenbarung Gottes. Doch dummerweise haben sich im Laufe der Geschichte mehrere Glaubensgemeinschaften gebildet, die den Anspruch erheben, im Besitz der alleinigen, letzten oder wahrhaftigen Offenbarung Gottes zu sein. Was nun?

Ein Mittel ist Mord und Totschlag. Das aber hat sich im Laufe der Geschichte aber als mühsam und unerfreulich herausgestellt. Deutlich angenehmer lässt es sich leben, wenn man die Religion seines Mitmenschen toleriert, was ja nicht ausschließt, dass man kontrovers miteinander diskutiert.

Toleranz auch für andere letzte Wahrheiten

Insofern ist das von der EKD veröffentlichte „Positionspapier zum christlich-islamischen Dialog“ das Zeugnis eines aufgeklärten Christentums. Darin gibt man sich überzeugt, dass ein Dialog mit dem Islam möglich ist. Man erkennt den religiösen Pluralismus in Deutschland an, fordert aber von anderen Religionsgemeinschaften auch Pluralismusfähigkeit und betrachtet mit großer Sorge den islamischen Fundamentalismus sowie den zunehmenden Islamismus und Terrorismus. Trotz dieser Gefahren warnt das Papier zugleich vor Pauschalisierungen, fordert aber auch Toleranz seitens der Muslime.

Interessant ist die theologische Begründung dieses Toleranzedikts. Es könne nämlich, so das Papier, nicht ausgeschlossen werden, dass Gott auch außerhalb der Kirche zu den Menschen spricht. Tatsächlich: Auszuschließen ist das nicht. Klingt revolutionär, ist aber protestantisches Einmaleins. Das darf allerdings nicht bedeuten, Pluralismus selbst zur Religion zu machen. Doch ein Bewusstsein für die eigene Fehlbarkeit auch in Grundsatzfragen, ein unverstellter Blick auf die Sichtweise anderer und eine prinzipielle Gesprächsfähigkeit auch mit ungewohnten oder gar verstörenden Positionen sollte zur protestantischen Grundausstattung gehören – und zum inneren Koordinatensystem jedes denkenden Menschen.

Ideologische Grenzen der Toleranz

Alles eitel Sonnenschein also? Mitnichten. Denn nur wenige Tage vor der Veröffentlichung der Toleranzerklärung der EKD beschloss das Präsidium des Evangelischen Kirchentags eine Art Bannbulle gegenüber der AfD. Nun ist der Kirchentag eine Laienbewegung und nicht mit der EKD zu verwechseln. Dennoch ist die personelle Verbindung nicht zuletzt über die Synodenmitglieder aus der Politik, Medienvertretern und Theologen eng. Und dass Kirchentagsbewegung und EKD seit Jahrzehnten ideologisch dieselbe Welle reiten und einem eher linken Protestantismus nahestehen, ist ebenfalls kein Geheimnis.

Gerade deshalb ist es ein Offenbarungseid eines gesamten politreligiösen Milieu: Einerseits (zu recht) Dialogbereitschaft gegenüber Islamverbänden zu praktizieren, auch wenn diese Verbindungen zu fundamentalistischen Organisationen haben, andererseits aber Vertretern der AfD den Stuhl vor die Tür zu stellen und jede offizielle Kommunikation zu verweigern. Immerhin eine Partei, die im Bundestag vertreten ist und der als Organisation keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen nachzuweisen ist.

Demut? Fehlanzeige

Um es zugespitzt zu formulieren: Im Milieu des organisierten Linksprotestantismus signalisiert man Dialogbereitschaft gegenüber einer nach westlichen Maßstäben in weiten Teilen homophoben und frauenfeindlichen Religionskultur, mit einer Alice Weidel etwa will man aber nicht reden. Chapeau, das ist immerhin eine Ansage. Man kann ja niemals tiefer fallen als in Gottes Hand. Oder doch? Hier verbarrikadiert sich ein ganzes Milieu hinter Zäunen aus Denk- und Sprachverboten in der Absicht, Offenheit und Toleranz zu leben. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen.

Dabei würde ein Blick in das eigene Toleranzpapier genügen und eine Besinnung auf protestantische Grundsätze: Wir alle sind fehlbar und es ist niemals auszuschließen, dass man sich auch in sehr grundlegen Fragen irrt – in normativen allemal. Darum mahnte schon Jesus von Nazareth: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ Doch von dieser Demut hat man sich in Kirchentagskreisen schon lange verabschiedet.

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